Sunday, October 6, 2013

Wozu braucht die Klimaforschung die Geisteswissenschaften?

Ich gebeten worden, zur "Nacht des Wissens" am 2. November 2013 an der Universität Hamburg beizutragen. Als Thema habe ich gewählt:
  Wozu braucht die Klimaforschung die Geisteswissenschaften?

Frage an die Klimazwiebel-Leser- und -Diskutanten: Welche Antworten habt Ihr auf diese Frage?

42 comments:

Anonymous said...

Dear Dr. von Storch

A very interesting and relevant topic.

Much climate research, including the IPCC, have for a long time been suffering from a strong ideological bias.

Therefore I really welcomed it When Jochem Marotzke said to the Spiegel before he left for the IPCC summit in Stockholm that ”..climate researchers have an obligation not to environmental policy, but to the truth”. I interpret this as an attempt to go back to Max Webers famous distinction between ”fact” and ”value”, which is really needed more than ever in the climate debate.

In my view a lot of the debates on climate have been charachterized by a combination of apocalytic thinking and intolerance, and a main victim of this is honest, truth-seeking science. Apocalytic thinking and intolerance tend to come together. Unfortunately none of those influences are beneficial for high quality science and research.

I would recommed you to look through two recent books that I believe are quite relevant for your topic:

”The fanaticism of the Apocalypse”, by the french philosopher Pascal Bruckner, and the brilliant ”On Tolerance” by the UK based sociologist Frank Furedi. Both books analyze how climate research to some extent has become integrated into an intolerant, apocalyptic discourse, which in the end leads us into a partly unscientific public debate.

And – good luck!

Anonymous said...

Als Wissenschafter bin ich begeistert von der Kraft, die einen durchströmt, wenn man bei der Wahrheit ist. Warum entdeckt man das erst so spät im Leben, meistens erst nach der Pubertät, manche wohl nie? - Ich freue mich über jede Predigt - entweder zeigt sie die Beschränkung des Pfarrers oder meine.

@ReinerGrundmann said...

Sollte es nicht eher Sozialwissenschaften heissen?

Die Geisteswissenschaften liefern ja einen allseits bekannten Beitrag in Form der Mathematik (Klimamodellierung). Auch in Form der Wissenschaftstheorie sind sie gegenwärtig.

Hans von Storch said...

Nein, es waren wirklich Geisteswissenschaften gemeint, also auch Literatur, Philosophie - aber auch Sozialwissenschaften. Die Konstruktion kulturellen Wissens.

Hans von Storch said...

Die Kultur der Wissenschaft; die Kultur von Gruppen von Wissenschaftlern. Interessen und Wissenschaft. Underdetermination, for instance.

Anonymous said...

Mir wäre die Antwort bei einer Überschrift namens "Wofür braucht die Klimadebatte die Geisteswissenschaften" viel leichter gefallen.

Da liegt zum Beispiel die Diskussion ethischer Aspekte auf der Hand (Wer verantwortet die bisherigen Emissionen, wer trägt hauptsächlich die Folgen?), wer könnte dies besser als die Philosophie diskutieren?

HvS's Frage ist deutlich schwieriger zu beantworten, ich passe.

PS:
Werner Krauß, wo sind Sie? Ich vermisse ihre Beiträge! Ich hoffe, es geht Ihnen gut.

Andreas

Quentin Quencher said...

Klimawissenschaft brauch Geisteswissenschaftler um sich andere Geisteswissenschaftler vom Leib zu halten, damit die Klimawissenschaft nicht von den Geisteswissenschaftlern hoheitlich interpretiert wird.

Anonymous said...

Als Klimawissenschaftler gebrauche ich recht gerne geisteswisenschaftliche Beiträge auf Blogs oder in Zeitschriften zu Zwecken der Unterhaltung. Für meine Arbeit im engeren Sinne (Klimadatenanalyse) brauche ich sie nicht, im weiteren Sinne (Tellerrand) wohl in Form von Wissenschaftstheorie und, da gehen wir schon in "härtere Richtung", Wahrscheinlichkeitstheorie. Daneben verwende ich noch Logik und Mathematik, aber in mir sträubt sich das Gefühl, diese Gebiete, wie Herr Grundmann dies tun will, den Geisteswissenschaften zuzuschlagen.

Manfred Mudelsee

hvw said...

Das ist eine interessante Frage und dass die Kommentare sich bisher darum drehen, welche Geisteswissenschaften das denn wohl sein könnten, finde ich sehr sinnvoll.

Mathematik ist keine Geisteswissenschaft, sondern eine Strukturwissenschaft.

Der interessanteste Kandidat scheint mir die Wissenschaftsgeschichte zu sein. Einerseits gibt es schon einiges an vielbeachteten Klimawissenschaft-spezifischen Beiträgen, die sowohl die naturwissenschaftliche Historie (z.B. Spencer Weart), als auch gesellschaftliche und politische Aspekte (z.B. Oreskes) behandeln. Andererseits können die Historiker am ehesten Hinweise darauf geben, wo und wie denn andere Geisteswissenschaften mal einer Naturwissenschaft dienlich waren.

Ansonsten: Philosophen! Die Modellierer-Community könnte während der Compilerdurchläufe ruhig mal ein bisschen Margaret Morrisson oder Nancy Cartwright lesen.

@Andreas: Ethik passt auch sehr gut. Und zwar auch für die eigentliche Wissenschaft. Denn Forschung wird vor allem auch von den Fragen geleitet, die als wichtig wahrgenommen werden. Um diese gut begründet auszuwählen und präzise zu formulieren könnten Philosophen sicher sehr hilfreich sein.

Ist diese Frage denn ergebnisoffen gestellt? Wäre die Antwort: "Naja, eigentlich kann Klimawissenschaft ganz gut ohne Geisteswissenschaften" eine akzeptable Antwort?

kampmannpeine said...

Eine großartige Idee:

Es gibt eine Parallele zu einem anderen komplexen Gebiet: der Volkswirtschaftslehre. Zwei Briten, Vater und Sohn, beide Ordinarien haben kürzlich ein Buch herausgegeben:

Edward und Robert Skidelsky: Wieviel ist genug? Vom Wachstumswahn zur Ökonomie des guten Lebens.

Das Buch ist eine Fundgrube zur Lösung der derzeitigen wirtschaftlichen Probleme. Es enthält auch Fakten aus der Historie der Wirtschaft zurückgehend bis zu Aristoteles etc.

Insofern kann ich diese Vorgehensweise nur begrüßen und stehe voll dahinter

Viel Erfolg, wenn es zeitlich und geodätisch ;) passt, bin ich bei den Zuhörern

Jörg Kampmann

Anonymous said...

@hvw

"Ethik passt auch sehr gut. Und zwar auch für die eigentliche Wissenschaft. Denn Forschung wird vor allem auch von den Fragen geleitet, die als wichtig wahrgenommen werden. Um diese gut begründet auszuwählen und präzise zu formulieren könnten Philosophen sicher sehr hilfreich sein."

Bitte ganz konkret, nehmen Sie als Beispiel gerne meine Forschung. Ich sitze momentan in den Abendstunden an der zweiten Auflage meines Buches Climate Time Series Analysis. Leiten lasse ich mich, zumindest nehme ich es so wahr, nur von meinem Interesse und Fähigkeiten. Wie kann mir hier ein Ethiker helfen? Die weitergehenden wissenschaftlichen Fragen ergeben sich naturgemäß bei intensiver, eigener Arbeit. Ein paar Antworten, interessante Ungereimtheiten, Nachstöbern usw. Es sind eigene Fragen. Wie kann mir hier eine Ethikerin besseres Fragen beibringen?

Manfred Mudelsee

Anonymous said...

@ Manfred Mudelsee

Vielleicht führte die Beschäftigung mit ethischen Fragen dazu, dass Sie sich nicht an den Schreibtisch, sondern an die Gleise im Braunkohlerevier Hambach fesseln? Muss gerade etwas schmunzeln bei der Vorstellung ;-)

Mir kommt gerade James Hansen in den Sinn: Seine Ethik, seine Moralvorstellungen haben mit Sicherheit sein Handeln, vielleicht auch sein wissenschaftliches Arbeiten beeinflusst.

Gruß,
Andreas

Anonymous said...

@ Andreas

Ob Braun-, Schwarz-, Rot- oder Grünkohle: an Gleise fesseln hätte nichts mit meiner Wissenschaft (mW) zu tun, es wäre maximal eine Konsequenz aus eventuellen Einsichten (keine Angst: ich bleibe am Schreibtisch). Aber umgekehrt: von den Gleisen für mW lernen: ??

Hansen: es geht hier nur um seine Wissenschaft (sW), nicht um sein Handeln. Ich kenne ein paar Papers aus sW zu climate sensitivity: erscheinen handwerklich sauber, kann man lesen, man/er muss trotzdem nicht zu den Gleisen.

Herzlichst

Manfred

kampmannpeine said...

Zusatz zu meinem vorigen Kommentar:

Es gibt noch ein dickes Buch von Nassim N. Taleb: The Antifragile, things that gain from disorder ... 2012 Random House, New York. Interessanter Titel ... ca. 600 Seiten ...

Freddy Schenk said...

Ich finde den Beitrag von Historikern z.B. im Rahmen der historischen Klimatologie sehr wichtig. Zum einen graben sie relevante Informationen überhaupt erst aus. Zum anderen interpretieren sie diese Informationen im Kontext der Zeitgeschichte (kämpfen also gegen das ahistorische Paradigma an). V.a. der letzte Punkt dürfte einem selbst recht schwer fallen.

Anonymous said...

@ Freddy Schenk

Ja, richtig, guter Hinweis: historische Wissenschaft ist wichtig für Klimaforschung. Wenn ich nun fragte, ob jene wirklich ausschließlich eine Geisteswissenschaft sei, handelte ich mir Schelte ein?

Mudelsee

Freddy Schenk said...

Von mir gibts hier keine Schelte. Die scharfe Abgrenzung ist oft nicht zielführend. Man kann auch fragen, wie weit Klimaforschung überhaupt Naturwissenschaft ist. Man kann sich evt. drauf einigen, dass Historiker in Studium und Beruf Methoden und Herangehensweisen lernen, die uns abgehen.

Anonymous said...

This might be of help:

Theory and language of climate change communication

Nerlich, Brigitte and Koteyko, Nelya and Brown, Brian (2010) Theory and language of climate change communication. Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, 1 (1). pp. 97-110. ISSN 1757-7780

Anonymous said...

...and perhaps this as well:

Gabriele Gramelsberger: Computerexperimente. Wandel der Wissenschaft im Zeitalter des Computers, Bielefeld: Transcript 2010

as far as I understood it...

hvw said...

@Manfred Mudelsee

Bitte ganz konkret, nehmen Sie als Beispiel gerne meine Forschung.

Nun, als Zulieferer technischen Know-Hows (nicht falsch verstehen, ich schätze ihre Arbeit sehr) sehe ich auch nicht, wie sie von der Hilfe einer Ethikerin profitieren könnten. Als Statistiker brachen sie sich jedoch kaum über mangelnde Verbindungen zu anderweitigen philosophischen Themen zu beklagen :).

Ich hatte, ehrlich gesagt, an die Umwelt(natur)wissenschaften allgemein gedacht. Dort gibt es viele Fälle, in denen Konzeptbildung und konkrete Entscheidungen bei der praktischen Forschungstätigkeit auf normativen Vorgaben fussen, die hinterfragt und explizit gemacht werden sollten. Z.B. wenn ich einen Index konstruiere, der für Regulierungsmassnahmen relevant sein soll. Das sind alles Themen, die eng mit der Anwendung (Regulierung, Planung, etc) verknüpft sind. Da kann ich auch gerne beliebig konkret und ausführlich werden.

Nun zwingen sie mich aber, konkret über Klimawissenschaft nachzudenken. Ich komme zu dem überraschenden Schluss, dass die Klimawissenschaft im engeren Sinne tatsächlich kaum tiefergehend mit der gesellschaftlichen Anwendung verknüpft zu sein scheint. Die fundamentale normative Grundlage (Generationengerechtigkeit) ist trivial und ohne Einfluss auf die praktische Arbeit. Deshalb besteht wohl auch so ein grosser und kontinuierlicher Konsens, was die Message an Gesellschaft und Politik angeht. Ich war da etwas fehlgeleitet, wohl zu viele Blogs mit Klimasoziologie gelesen ;).


ob/OBothe said...

Vermutlich ähnliche Richtung wie das Gramelsberger-Buch:

Eric Winsberg

Science in the Age of Computer Simulation

Ansonsten würde ich die Frage des Talks als zu eng betrachten: Ich glaube Eduardo verlinkte diesen Sommer Why Study Humanities? What I Tell Engineering Freshmen. Ein Auszug:

We live in a world increasingly dominated by science. And that’s fine. I became a science writer because I think science is the most exciting, dynamic, consequential part of human culture, and I wanted to be a part of that. Also, I have two college-age kids, and I’d be thrilled if they pursued careers in science, engineering or medicine. I certainly want them to learn as much science and math as they can, because those skills can help you get a great job.

But it is precisely because science is so powerful that we need the humanities now more than ever. In your science, mathematics and engineering classes, you’re given facts, answers, knowledge, truth. Your professors say, “This is how things are.” They give you certainty. The humanities, at least the way I teach them, give you uncertainty, doubt and skepticism.

The humanities are subversive. They undermine the claims of all authorities, whether political, religious or scientific. This skepticism is especially important when it comes to claims about humanity, about what we are, where we came from, and even what we can be and should be. Science has replaced religion as our main source of answers to these questions. Science has told us a lot about ourselves, and we’re learning more every day.


Also: "Die Geisteswissenschaften ... geben [uns] Unsicherheit, Zweifel und Skeptik."

Sie helfen uns zu verstehen, wie "(Natur)Wissenschaft" von der Gesellschaft wahrgenommen wird, wie sie eingebunden ist, mit anderen Akteuren interagiert. Sie erhellen, wie Wissenschaft die Wahrnehmung der Welt formt und wie sie sich dadurch verändert bzw. von der "Außen"-Welt verändert wird.

Zudem helfen die Geisteswissenschaften die Entwicklung der/unserer "(Natur)Wissenschaft" nachzuvollziehen, vergangene Wissens-Schaffung zu verstehen. Sie erden auch die eigene Arbeit.

anonymous13 said...

Thanks anonymous!
People might want to peruse this site for further info
And of course Mike Hulme's work
http://www.nottingham.ac.uk/sociology/research/projects/climate-change/research-output.aspx
and also Georgine Endfield's
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10584-012-0416-6
http://www.nottingham.ac.uk/sociology/research/projects/climate-change/research-output.aspx
Brigitte

anonymous13 said...

oups that went wrong for some reason - trying to do this before doing dinner
Our site
http://www.nottingham.ac.uk/sociology/research/projects/climate-change/research-output.aspx
Hulme's article
Meet the humanities
http://www.nature.com/nclimate/journal/v1/n4/full/nclimate1150.html
Endfield's article
Cultural spaces of climate change
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10584-012-0416-6

Brigitte

Andrea Fischer said...

Jede Art naturwissenschaftlicher Forschung bedarf einer kritischen Reflexion durch die Wissenschaftstheorie. Ohne Theorie des Messens, ohne ein Konzept zu Existenz von Hypothesen und deren Verifikation oder Falsifikation bleibt jede Messung ein Artefakt, im wesentlichen ohne Bedeutung. Beispiel: Jede/r hat schon einmal Gegenstände fallen lassen, die wenigsten haben dadurch selbständig das Gravitationgesetz formulieren können. Leider wird an nur mehr wenigen Universitäten NaturwissenschaftlerInnen die für die Forschung nötige philosophische Grundausstattung zwingend mitgegeben. Dabei liesse sich damit zumindest die weit verbreitete Verwechslung zwischen Koinzidenz und Kausalität beheben.

kampmannpeine said...

@Andrea Fischer:

an der TU-Berlin gab es seinerzeit zwangsweise für alle Studenten eine Humanistische Prüfung, die u.a. auch die Philosophie als Fach enthielt ... Das ist leider abgeschafft worden ... sicher, weil es das Studium ziemlich verlángerte ...

Freddy Schenk said...

@Andrea #24:
Studieren sie auf Lehramt? Da kommt man nämlich in den Genuss genau der Dinge, die sie da ansprechen. Ich stimme ihnen zu, dass dies sehr sinnvoll ist, wenn man sich erstmal drauf einlässt nach der Thermodynamik III Vorlesung ;-)

Volker Doormann said...

Wozu braucht die Klimaforschung die Geisteswissenschaften?

Wenn man diese Frage stellt, dann ist darin bereits eine Trennung enthalten, die wohl prinzipiell alles der rationalen Naturwissenschaften von den ‚nichtrationalen’ Geisteswissenschaften als diesen überlegen wähnt.

weiter ...

http://www.volker-doormann.org/frage_hvs.htm


V.

Anonymous said...

Es geht um Fakten. Es geht um naturwissenschaftliche Erkenntnisse und eben nicht um Geisteswissenschaften. Ich sehe es als großes Problem an, dass Leute, die von Naturwissenschaften keine Ahnung haben, sich in die Klimadiskussion einmischen. Meist sind dies Ideologen, die gerne den Weltuntergang prophezeien. Damit schaden sie auch den seriösen Wissenschaftlern.

Hans von Storch said...

Anonymous, #28 - bitte Alias benutzen.

Frage: Was nennen Sie "Fakten" und welche Eigenschaften haben diese? Höre ich da das Wort "Wahrheit" leise im Hintergrund?

Antworten: Wozu wir Geisteswissenschaften brauchen
1) um den kulturellen Hintergrund zu erleuchten, vor dem wir Naturwissenschaftler unsere Arbeit machen; inwieweit kulturell konditioniertes Wissen, vom Schlage "Die Natur schlägt zurück" unsere Kritikfähigkeit mindert.
2) um besser zu verstehen, wie sich naturwissenschaftliches Wissen in politische und soziale Kontexte einpaßt.

Wozu, denken Sie, sind Geisteswissenschaften überhaupt gut?

Nr. 28 said...

Ich bin der Meinung, dass in Deutschland häufig naturwissenschaftliche Fragen ohne den notwendigen Wissenshintergrund diskutiert werden. So gibt es beispielsweise Menschen die Angst vor CO2 haben und dieses Gas für giftig halten. Und aufgrund einseitiger Berichterstattung entsteht oft der Eindruck, die Zusammenhänge rund ums Klima seien mit absoluter Sicherheit geklärt. Daraus entsteht eine politische Diskussion, die einer naturwissenschaftlichen Basis entbehrt.

Quentin Quencher said...

Vielleicht sollte man mal die Frage andersherum stellen: Braucht die Geisteswissenschaft die Klimaforschung?

Wenn ich mir beispielsweise Leggewie anschaue, dann scheint es so:
http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/videos_watch.php?nav_id=4592

Hier geht es zwar um „Zukunftsort Europa“ doch Leggewie kann es natürlich nicht unterlassen die allseligmachende Wirkung der „Erneuerbaren“ zu propagieren, die dann sogar zum gelingen des Projekts „europäische Einigung“ beitragen können.

Um es noch zu erweitern: Für was brauchen die Geisteswissenschaften die Naturwissenschaften?

S.Hader said...

"Ich bin der Meinung, dass in Deutschland häufig naturwissenschaftliche Fragen ohne den notwendigen Wissenshintergrund diskutiert werden."

Das mag mit Sicherheit der Fall sein. Aber oft muss man dann auch sagen, sie wissen es eben nicht besser. Ich erlebe aber in Skeptiker-Forum sehr oft den Fall, dass User meinen, sie kennen den naturwissenschaftlichen Hintergrund und im weiteren Gesprächen scheinen sie regelrecht beweisen zu wollen, dass sie es doch nicht tun. Viele verwechseln da auch eine "politische" Argumentationsweise (ich nenne nur die Pro-, aber nicht die Contra-Argumente) mit einer "(natur-)wissenschaftlichen" Argumentation (durchleuchte alle Für und Wieder und erkenne das "sowohl als auch").

Deshalb denke ich, die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen aus der Geisteswissenschaft ermöglicht dem Naturwissenschaftler den Kontext und Auswirkung seiner Ergebnisse in einer realen Welt besser zu verstehen. Wenn man die Philosophie quasi als die Mutter der Geisteswissenschaften sieht (und eigentlich auch der Naturwissenschaften), dann ging es dort auch immer um die Frage, wie gelange ich überhaupt zu Erkenntnissen und wie kann ich daraus Handeln richtig ableiten.

Nr. 28 said...

"Wenn man die Philosophie quasi als die Mutter der Geisteswissenschaften sieht (und eigentlich auch der Naturwissenschaften), dann ging es dort auch immer um die Frage, wie gelange ich überhaupt zu Erkenntnissen und wie kann ich daraus Handeln richtig ableiten. "

Ich stimme Ihnen zu, dass diese Fragen wichtig sind und beantwortet werden müssen. Meiner Meinung nach bedarf es dafür keiner zusätzlichen Geisteswissenschaft. Diese Fragen sollte auch ein Naturwissenschaftler beantworten können.

Geradezu katastrophal finde ich aber den umgekehrten Fall: Geisteswissenschaftler diskutiert über naturwissenschaftliche Themen, gelangt aber mangels Sachkenntnis zu Ergebnissen, die nicht richtig sind. Wenn er bei seinen Kompetenzen bleibt und nur den Weg der Erkenntnisgewinnung beleuchtet, ist das ja kein Problem und kann die Diskussion bereichern. Ein klassisches Beispiel dürften Klimaszenarien sein.

Hans von Storch said...

#28 - ich bin beeindruckt von Ihrer Selbstgerechtheit. Ihre Einlassung ist schon ein bißchen stereotypisch, nämlich die eines Naturwissenschaftlers, der in der kulturellen Konstruktion eben der Naturwissenschaften derart gefangen ist, daß ihm/ihr der Gedanke, daß Wissenschaft sich in einem sozialen Prozeß entwickelt, Resultat eines sozialen Prozesses ist, und daß eben deshalb eine Selbstreflektion, die Sie gerade vehement ablehnen, für die Naturwissenschaft eine Chance bedeutet zum "Besserwerden". Daß es dummerhafte Geisteswissenschaftler gibt, die ohne Einsicht in die Natur der Dynamik vor sich hin plappern und den Zeitgeist bedienen, konzediere ich Ihnen gerne - aber diesen Typus gibt es in der Naturwissenschaft ebenso.

Nr. 28 said...

Lieber Herr von Storch,

da haben Sie mich aber falsch verstanden. Ich lehne Selbstreflexion keineswegs ab. Ich halte sie sogar für dringend erforderlich, um besser zu werden. In diesem Punkt stimme ich Ihnen völlig zu. Während Sie der Meinung sind, dazu benötige man Geisteswissenschaftler, denke ich, dass Naturwissenschaftler dazu in der Lage sein sollten. Manche sind es leider nicht.Sie sind, wie von Ihnen beschrieben, in den Naturwissenschaften gefangen.

Karl Kuhn said...

HvS bewirbt hier einen multidisziplinären Ansatz, wie er von Forschungförderern mittlerweile überall verlangt wird - ob es nun Sinn macht oder nicht. Seitdem muss überall immer ein Ethnologe/Soziologe etc. dabeisitzen, mitreden und Forschungsgelder abbekommen.

Ob die 'Klimaforschung' die Geisteswissenschaft braucht oder nicht, hängt von den Fragen ab, die sie beantworten möchte. Aber wollen Klimaforscher wirklich Fragen zur "Klimaforschungsforschung" aufwerfen und beantworten, also einen Metadiskurs führen? Nun, manche schon, und ein Ergebnis beansprucht "Die Klimafalle" zu sein. Aber ich glaube nicht, dass die Geisteswissenschaft unterhalb dieses Metadiskurses viel für die Klimaforschung zu bieten hat. Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang auch der heutige geistige Zustand der Geisteswissenschaft. Teilweise herrscht hier, unter einem schicken, aber unverständlichen Jargon getarnt, eine ziemlich antiaufklärerische Haltung (Stichwort "Naturwissenschaft als Konstruktion von Wirklichkeit durch böse weiße heterosexuelle Männer"). Sowatt brauch ich schon mal gar nicht ...

Also, die Frage ist nicht, ob die Geisteswissenschaften gebraucht werden, sondern ob die GWten was zu BIETEN haben, was außerhalb ihrer Binnenwelt mehr als nur Achselzucken auslöst. Und ob sie die wirklich kritischen Fragen stellen möchten.

@ReinerGrundmann said...

K Kuhn

Sie schreiben "Seitdem muss überall immer ein Ethnologe/Soziologe etc. dabeisitzen, mitreden und Forschungsgelder abbekommen." Überall und immer - so schlimm ist es wohl kaum. Meistens werden die Wissenschaftler doch unbehelligt gelassen. Es gibt aber welche, die neugierig sind auf das Angebot der Sozial- und Geisteswissenschaftler. Denn die Fragen, die in der wissenschaftlichen Praxis aufgeworfen werden, verdienen ja einer systematischen Aufmerksamkeit. Viele Wissenschaftler (und Kommentatoren hier auf dem thread) meinen, das könnten sie eben mal "mit links" miterledigen. Die Grenzen dieser Ergüsse zeigen sich dann aber schnell.

Deshalb ist es zu begrüßen wenn hier das Paper von Oreskes et al zur "Verifikation" und Cartwright's Wissenschaftsphilosophie Interesse bei Wissenschaftlern finden. Denn was Theorien und Modelle sind und sollen, wie Daten und Modelle zueinander passen sollen, und ob es so was wie "Naturgesetze" gibt oder nur first principles, das alles wird professionell bearbeitet. Historisch geht diese Aktivität den modernen Wissenschaften voraus.

Otto Neurath (der Cartwright stark beeinflusst hat) sagte einmal, dass die Philosophie nicht dazu da sei, neue Theorien und Begriffe zu erfinden (es gibt schon zu viele), sondern die bestehenden zu klären. Klären im Sinne von definieren, erklären, aber auch erhellen. Insofern ist das Programm als Aufklärung zu Verstehen und nicht als sein Gegenteil, wie sie Spassvogel annehmen.

Nr. 28 said...

"Otto Neurath (der Cartwright stark beeinflusst hat) sagte einmal, dass die Philosophie nicht dazu da sei, neue Theorien und Begriffe zu erfinden (es gibt schon zu viele), sondern die bestehenden zu klären. Klären im Sinne von definieren, erklären, aber auch erhellen. Insofern ist das Programm als Aufklärung zu Verstehen und nicht als sein Gegenteil, wie sie Spassvogel annehmen."

Ich bin zwar nicht der Spaßvogel, aber doch sehr überrascht über diese Diskussion. Werden Sie doch mal bitte konkret. Immerhin geht es hier um Klimawissenschaften. Von einem Geisteswissenschaftler erwarte ich, dass er die Frage stellt, warum eigentlich ausgerechnet das anthropogene CO2 die Basis der Szenarien darstellt. Um sich mit diesem Thema zu beschäftigen, braucht er zunächst einmal eine Haltung, die die Naturwissenschaften respektiert. Das ist leider nicht immer gegeben. Zum anderen sollte er über eine naturwissenschaftliche Grundbildung verfügen. Soll er doch mal überprüfen, ob die Argumentation des IPCC schlüssig ist. Ich bin gespannt auf das Ergebnis.

Karl Kuhn said...

@Grundmann

"Insofern ist das Programm als Aufklärung zu Verstehen und nicht als sein Gegenteil, wie sie Spassvogel annehmen."

Freut mich, wenn ich zu Ihrem Amusement beitragen konnte, und ich werde mich in dieser Hinsicht weiterhin nach Kräften bemühen. Aber wollen Sie uns allen Ernstes erzählen, dass Ihnen das geschilderte Problem in der Philosophie und den Geisteswissenschaften ('Das Klappern der Mühle höre ich wohl, allein, ich sehe das Mehl nicht!', Schopenhauer) unbekannt wäre. Solange dieses Problem in dieser Massivität existiert, lasse ich mir nicht weismachen, dass 'die Geisteswissenschaften' von der Klimawissenschaft gebraucht werden, so wie früher immer ein Geistlicher seinen Segen geben musste. Die Frage, ob Geisteswissenschaften gebraucht werden, ist ähnlich verquer wie die Frage, ob Überraschungseier gebraucht werden. Die Antwort lautet nein, aber viele Leute wollen Überraschungseier trotzdem haben, weil sie ihnen etwas bieten ... und ich bestehe im gleichen Sinne darauf, dass die Geisteswissenschaftler eine Bringschuld haben, und nicht die Klimawissenschaft eine Holschuld.

Gut, machen wir auf Englisch mir Frau Cartwright weiter ...

S.Hader said...

@Karl Kuhn: "HvS bewirbt hier einen multidisziplinären Ansatz, wie er von Forschungförderern mittlerweile überall verlangt wird - ob es nun Sinn macht oder nicht. Seitdem muss überall immer ein Ethnologe/Soziologe etc. dabeisitzen, mitreden und Forschungsgelder abbekommen."

Also ich habe schon an einigen interdisziplinären Forschungsprojekten mitgearbeitet und kann diese Einschätzung erst mal nicht bestätigen. Interdisziplinär heißt ja nicht, es muss immer mindestens einer aus dem und dem und dem Bereich dabei sein, sondern das ergibt sich aus der Aufgabe, die man sich stellt. Die Erfahrungen, die man dabei sammelt, halte ich persönlich für wertvoll.

"Ob die 'Klimaforschung' die Geisteswissenschaft braucht oder nicht, hängt von den Fragen ab, die sie beantworten möchte."

Das denke ich auch.

S.Hader said...

Nr.28: "Um sich mit diesem Thema zu beschäftigen, braucht er zunächst einmal eine Haltung, die die Naturwissenschaften respektiert. Das ist leider nicht immer gegeben. Zum anderen sollte er über eine naturwissenschaftliche Grundbildung verfügen. Soll er doch mal überprüfen, ob die Argumentation des IPCC schlüssig ist. Ich bin gespannt auf das Ergebnis."

Bei der Grundhaltung, die die Naturwissenschaften respektiert, bin ich sofort bei Ihnen. Auch die naturwissenschaftliche Grundbildung (und darüber hinaus) befürworte ich und da muss man vor allem in die Schulen schauen. Aber mit der alleine wird es nicht gelingen, einen Bericht vom IPCC komplett prüfen zu können. Dafür fehlt den Menschen sowohl die Zeit als auch zusätzliches Wissen zu dem Thema. Zur Wissenschaft gehört auch Vertrauen und gleichzeitig der hohe Anspruch der internen Qualitätskontrolle. Auch damit beschäftigt man sich die Geisteswissenschaft, wie Vertrauen auch bei komplexen Themen entstehen kann.

Hans von Storch said...

Ich habe nun gestern meinen Vortrag "Wozu braucht Klimaforschung Geisteswissenschaften?" im Rahmen der Nacht des Wissens an der Universität Hamburg gehalten. Ein reiner Textbeitrag, der auch etwas bezug auf die Beiträge hier nimmt - siehe Academia.