Sunday, November 27, 2011

Interview Focus-Online von Angelika Sanktjohanser am 23. November 2011




Am 23. November 2011 stellte Focus-Online das Interview von Anglika Sanktjohanser "Extremwetterbericht. Wie schlimm es wirklich kommen wird" mit Hans von Storch online aus Anlaß der Veröffentlichung des Summaries for Policymakers des IPCC SREX Berichts. Die Arbeit mit Frau Sanktjohanser war tadellos und professionell; ich drucke hier meinen Input im Original ihm Einvernehmen mit Frau Sanktjohanser ab.



Das Interview wurde schriftlich via e-mail geführt. Zum Zeitpunkt dieser Nachfrage war das Summary for Policymakers gerade eben erschienen. Insofern beruhen meine Antworten in Bezug auf SREX auf der Kenntnis der Pressemitteilung und einem kursorischen Durchgang des SPMs.

Binnen zwei Tagen ist das Interview über 100,000 mal angeklickt worden.


Aus Ihrer Sicht: gibt es eine Häufung von Extremwetterereignissen in den letzten Jahren und wenn ja, ist diese eindeutig auf die Erderwärmung zurückzuführen?

Eindeutig? Die Erderwärmung ist eindeutig, sie ist höchst unplausibel im Rahmen der natürlichen Klimaschwankungen, und wir können Sie ohne die wesentliche Rolle der erhöhten Treibhausgaskonzentrationen nicht erklären. Aber die Wirkung auf diverse Extreme wie Hitzewellen, Sturmfluten und dergleichen – ob die wirklich gehäuft auftreten, oder wir nur konfrontiert sind mit einer erheblich aufmerksameren öffentlichen Wahrnehmung, wird sich erst später zeigen. Dass aber einige Extremereignisse wie Hitzewellen und Starkniederschläge zugenommen haben, das ist schon plausibel. Bei unseren heimischen  Stürmen sehen wir keine ungewöhnlichen Änderungen, und die Erhöhung der Sturmfluten in Hamburg in den vergangenen Jahrzehnten hat zumeist andere Gründe als den Klimawandel.

Gut ist, dass das summarische Gerade von der Zunahme „der Extremereignisse“ vom SREX Bericht zurückgewiesen wird; einige nehmen vielleicht zu, werden plausiblerweise in Zukunft weiter zunehmen, andere nicht. Gleichzeitig tragen andere regionale Faktoren zu Veränderung von Risiken bei, wie etwa das Absinken vieler Deltas mit Megastädten in der Welt. 

Wie zuverlässig sind die Prognosen, die sagen, es werde bis zum Ende des Jahrhunderts immer mehr extreme Wetterbedingungen wie Dürren, Überschwemmungen und Sturmfluten geben?

Es sind ja nicht wirklich Prognosen, sondern Szenarien, die plausiblerweise eintreten können, wenn die Treibhausgase wie antizipiert deutlich ansteigen. Ich persönlich denke, dass eine Zunahme von Dürren, Überschwemmungen und auch Sturmfluten plausibel ist. Frage ist natürlich wie stark. Hier gibt es sicher erhebliche Unterschiede in der Auffassung, und die Zusammenfassung des SREX Berichts macht den alten Fehler, dass man sich davor drückt auszusprechen, welches denn die zentralen Auffassungsunterschiede in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sind. Vielmehr wird wieder so getan, als gäbe es nicht nur einen breiten Grundkonsens zur Tatsache der Erderwärmung und der Plausibilität der menschgemachten Ursache, sondern auch in allen anderen Fragen. In Einzelfragen gibt es erhebliche Unterschiede, etwa im Hinblick auf die gegenwärtige Veränderung der tropischen Stürme und des Anstiegs des Meeresspiegels.

Inwieweit muss man bei diesen Prognosen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterscheiden?

Was die klimatischen Folgen betrifft, so muß man sicher unterscheiden zwischen tropischen und extratropischen Ländern, einfach weil das Wetter, dessen sich ändernde Statistik ja das Klima ist, in den Tropen dynamisch anders funktioniert als unser Wetter oder gar das polare Wetter.

Etwas anderes ist die Frage, wie die Chancen einer erfolgreichen Anpassung an die Risiken des gegenwärtigen Klima und des zukünftigen Klimas gelingt; dies hat mit staatlicher Organisation und Wirtschaftskraft zu tun, und da muß man sicher unterscheiden zwischen voll entwickelten und sich entwickelnden Gesellschaften. Für die Länder der Dritten Welt ist dies viel schwierigere, obwohl man auf große Erfolge verweisen kann, etwa den Katastrophenschutz in Bangladesch im Falle von Sturmfluten, die früher Hunderttausende von Opfern forderten und heute „nur“ noch Tausende.

Offenbar werden zum Beispiel die Alpengletscher tatsächlich immer kleiner. Ein Effekt des Klimawandels? Und wie schätzen Sie die Prognosen für Schneesicherheit ein?

Ich komme aus Nordfriesland und beschäftige mich mit Fragen der Küsten dieser Welt … sie werden verstehen, dass mir Ihre Frage nicht liegt; bitte jemand fragen, der davon mehr versteht. 

Der Extremwetterbericht der IPCC sagt für die Mittelmeerregion und Mitteleuropa mehr Trockenheit, sogar Dürren voraus. Was bedeutet das für unsere Nahrungsmittelversorgung und unsere Gesundheit?

Das kann schon sein, dass sich die Situation so entwickeln wird; die Situation wird im Mittelmeerraum kritischer sein als „bei uns“, denn unsere heimischen Stürme wird es weiter geben, einfach weil wir stromab von der großen Feuchtigkeitsquelle des Atlantik zu liegen kommen. In Mitteleuropa sollten wir damit umgehen können, erwarte ich. Bei den gesundheitlichen Folgen sollte man sich überlegen, dass es zwar erheblich wärmer in Marseille als in Hamburg ist, die Menschen deshalb aber nicht systematischer kränker sind im Süden Frankreichs als im Norden Deutschlands.

Halten Sie eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um zwei bis fünf Grad – wie der Report sie prognostiziert - bis 2100 für realistisch?

Ja.

Ist die Erde dann noch bewohnbar?

Ja.

Kollege Rahmstorff sagte am Montag, er halte mittelfristig Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius in Deutschland für möglich? Wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Diese Erwartung war schon 2009 von einem anderen prominenten Klimaforscher geäußert worden. Das Norddeutsche Klimabüro hat daraufhin die vorliegenden Szenarien des regionalen Klimawandels durchgesehen, ob dies für Norddeutschland plausibel ist (http://www.hzg.de/public_relations/press_releases/008574/index_0008574.html.de). Demnach sind „Höchstwerte von bis zu 44 Grad Celsius sind hier am Ende des 21. Jahrhunderts möglich“ für die Hamburger Metropolregion.

Worauf basieren Ihrer Meinung nach die unterschiedlichen Einschätzungen der Klimaentwicklung, wie sie auch in verschiedenen - durchaus seriösen Studien - sichtbar werden. Ist das auch eine Frage des ideologischen Unterbaus?

Wissenschaftler stehen wie alle anderen Menschen unter dem Einfluß ihres „kulturellen Rucksacks“, und ein Element unseres westlichen Weltbildes ist, dass die Natur uns mittels Extremereignissen signalisiert, wenn wir uns gegen die Natur versündigen. Die Wirkung solcher Vorstellungen ist, dass man, auch als Wissenschaftler, mehr Beweise verlangt, wenn sie einer solchen Grundvorstellung widersprechen. Andererseits ist man sicher unkritischer, wenn erste Ergebnisse konsistent sind mit dem, was man für kulturell richtig hält.

Zwei nachgeschobene Fragen:

Mein Eindruck ist, dass sich die Aussagen über die Zunahme der Extremwetterereignisse in dem neuen IPCC-Bericht gegenüber dem letzten plötzlich abschwächen. Würden Sie das bestätigen und wenn ja, haben Sie eine Erklärung?

Ja, da ist eine Abschwächung in SREX gegenüber AR4, gerade was Hurrikane angeht. Ein Grund mag sein, dass als wesentliches Argument ein Bericht der WMO von 2010 in die Einschäützung einging, die wesentlich balancierter als der Beitrag in AR4 war; das mag auch damit zusammenhängen, dass die Authorengruppe jetzt auch anders als die AR4-Gruppe zusammengesetzt wurde.

Wie sinnvoll sind derartige Prognosen bzw. was taugen die Modelle, die für die Einschätzung der Ab- oder Zunahme von Extremereignissen genutzt werden?

Das hängt davon ab, welche Extremereignisse wir meinen. Den Modellen würde ich nicht viel zutrauen, wenn es um Hagel geht. Andererseits traue ich den Modellen schon zu, nordatlantische Stürme gut darzustellen.


1 comment:

  1. Hier mal ein paar Gedanken zu diesem Interview, die mir beim wiederholten Lesen auffallen.
    Ich finde dieses Interview aus mehreren Gründen bemerkenswert: wie in vorigen Artikeln von Hans von Storch auch, stehen hier klare und einfache Aussagesätze zur Erderwärmung, ohne wenn und aber.
    Statt wenn und aber werden sie ergänzt durch Kommentare zu anderen Aussagen über die Erderwärmung. Die Antworten gehen also immer in zwei Richtungen: einerseits im Hinblick auf Messdaten und Forschungsresultate, zum anderen im Hinblick auf Klima als einen wissenschaftlich-populären Diskurs. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben.
    Und schließlich die Weigerung, über die Alpen zu sprechen. Es ist erstaunlich, dass jemand seinen "kulturellen Rucksack" so demonstrativ in aller Öffentlichkeit packt und zur Schau stellt. Es kommt also, wie ironisch auch immer, noch ein Ort dazu, von dem der Wissenschaftler aus spricht.

    Ich halte das für bemerkenswert, weil man das immer wieder überliest und die "Wahrheit" aus den Aussagen der Wissenschaftler herauszudestillieren versucht. Aber da ist keine "Wahrheit", sondern da sind solche Interviews, die die Bedingungen der Aussagen eigentlich unübersehbar mitliefern. (Das gilt übrigens auch für viele Interviews von vielen anderen Wissenschaftlern - man muss nur genau hinsehen.)

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