Nico Stehr, der Soziologe aus Friedrichshafen, plädiert auf
spiegel-online für eine "Neue Klimapolitik" und fordert: "Vergesst unsere Umweltsünden!" Routinemäßig werden in vielen Kreisen Klimatagungen der UNO als Flop, das Kyoto-Modell als zum Scheitern verurteilt und die Klimapolitik insgesamt als ein Debakel bezeichnet. So auch nach der jüngsten UN Klimatagung in Berlin. Zeit also, wieder einmal auf das
Hartwell-Papier hinzuweisen, das auf der
klimazwiebel ja schon oft diskutiert wurde. Nico Stehr ist einer der Autoren dieses Papiers, zu denen so namhafte Leute wie unser geschätzter Reiner Grundmann, Mike Hulme, Dan Sarewitz, Roger Pielke jr. oder Steve Rayner gehören - alles große Namen, die den "anthropogenen Klimawandel" nicht nur als ein rein naturwissenschaftliches Problem betrachten. Bei den Hartwellern steht nicht die CO2 Reduktion im Vordergrund der Forderungen, sondern das eigentlich eher klimaferne Ziel der "Menschenwürde". Die Entkarbonisierung ist, so Nico Stehr, "nur als ein Nebengewinn zu erreichen (...), der bei der Verfolgung anderer, politisch attraktiver und pragmatischer Ziele abfällt."
Er formuliert drei Ziele:
- Das erste ist "Zugang zu Energie für alle", was ich für ein absolut schlagkräftiges (und ernüchterndes) Argument halte. Wer kann schon dagegen argumentieren, dass alle Menschen ein Recht darauf haben, an Strom angeschlossen zu werden?
- Das zweite ist, "dass wir uns nicht auf eine Weise entwickeln, die wesentliche Funktionsabläufe des Erdsystems untergräbt". Ob damit "Occupy Wall Street" oder aber ein satelittengestützer Weltordnungsplan aus den Powerpoint Präsentationen von Erdsystemforschern gemeint ist? Wir werden es herausfinden.
- Das dritte Ziel ist, "dass unsere Gesellschaften gut gerüstet sind, um den Risiken und Gefahren zu begegnen, die mit den Wechselfällen des Klimas verbunden sind, was immer deren Ursache ist". Womit wohl Anpassungsstrategien gemeint sind, um Leib und Leben zu schützen. Bingo.
Das alles bedarf der nachholenden Lektüre im Hartwell Papier selbst, da der Artikel die Differenz zu den bisherigen Ansätzen - außer in Punkt eins - nicht wirklich herausarbeitet, was auch der Kürze eines Spiegel onlines Artikels geschuldet sein mag. Nico Stehr schließt mit der Bemerkung, die schon den Titel des kurzen Artikels abgibt, dass wir nicht bei den "Umweltsünden der Menschen" ansetzen sollen. Wahrscheinlich ist damit gemeint, nicht eine Politik der Restrikitionen und des schlechten Gewissens zu fahren, sondern eine der positiven Zahlen beim Zuwachs an emissionsfreien Energien etc. Irgendwie wird das aber alles in diesem kurzen Artikel nicht weiter erklärt. Zum Schluss findet jedenfalls Nico Stehr, "dass eine gute Krise nicht ungenutzt bleiben sollte". Zumindest hier ist er sich mit einem Emissionsbekämpfer der alten Schule, Al Gore, einig.
Sehr interessant diese Stellungnahme im Spiegel. Wesentliche Argumente der Skeptiker sind da vorhanden und es zeichnet sich eine neue Erzählung ab, wonach technischer Fortschritt als Motor der Entwicklung gesehen wird und "Klimaschutz" sozusagen als Kollateralnutzen abfällt.
ReplyDeleteIhre Bemerkung, Herr Krauss: "Wahrscheinlich ist damit gemeint, nicht eine Politik der Restrikitionen und des schlechten Gewissens zu fahren, sondern eine der positiven Zahlen beim Zuwachs an emissionsfreien Energien etc," kann ich zumindest aus dem Spiegel-Artikel nicht herauslesen, denn sie steht dieser Aussage entgegen: "Dazu sind verstärkt Investitionen in die innovative Entwicklung von CO2-freien Energiequellen erforderlich, um eine Diversifizierung der Energieversorgungstechnologien zu erreichen - und zwar zu Kosten, die auch ohne Subventionen unterhalb der Kosten einer auf fossilen Brennstoffen basierenden Energieversorgung liegen."
Das ist ein feiner entscheidender Unterschied. Hier wird die "innovative Entwicklung" angesprochen, und dass diese mittels Steuer finanziert werden soll. Und nicht ein Zuwachs von positiven Zahlen. Denn diese emissionsfreien Energien sollen ohne Subventionen auskommen. Das ist derzeit nicht möglich.
Das soll nur eine erste schnelle Bemerkung gewesen sein, ich muss das Hartwell-Papier noch mal lesen, habe das nicht mehr so im Kopf.
Hiereine kritische Meinung zum Hartwell Paper von Prof. Dr. Thomas Bernauer vom ETH Klimblog:
ReplyDeletehttp://blogs.ethz.ch/klimablog/2010/06/24/hartwell-paper-zynisch-oder-gut-gemeint/#comment-20150
Egal welche Alternative, er hlässt kein gutes Haar dran:
"Entweder ist das «Hartwell Paper» ein zynischer Vorschlag, den FCCC/Kyoto-Prozess lahm zu legen und dafür eine billige und sinnlose Alternative aufzugleisen. Oder es ist ein gut gemeinter, letztlich aber nicht zielführender Versuch, die Blockade nach Kopenhagen zu überwinden.
Einen ganz praktischen Wert des «Hartwell Papers» möchte ich abschliessend aber doch noch nennen: Dozentinnen und Dozenten können dieses Paper als Paradebeispiel nutzen, um ihren Studierenden (anhand qualvoller und deshalb in Erinnerung bleibender Lektüre) beizubringen, wie man ein policy-paper nicht schreiben sollte."
Hmm, der Unterschied zwischen Theorie und Praxis?
ReplyDeleteIch gehe auch nicht jeden Schritt des Hartwell-Papiers mit, aber als "policy-paper" ist es eines der klügeren und nützlicheren Sorte.
" ist das «Hartwell Paper» ein zynischer Vorschlag, den FCCC/Kyoto-Prozess lahm zu legen und dafür eine billige und sinnlose Alternative aufzugleisen"
ReplyDeleteDas ist zuviel der Ehre. Bernauer scheint entgangen zu sein, dass sich der Kyoto Prozess selbst lahm gelegt hat.
oder eher doch lahmgelegt wurde? Sicher nicht von diesem Aufsatz, aber von Interessengruppen, die auch dieses Paper hauptsächlich gesponsort haben.
ReplyDelete@Werner
ReplyDeletewo genau sehen sie dieses Papier auf dem Vormarsch? Nur weil ein Autor Werbung dafür im Spiegel macht? Hm, ich finde das zweifelhaft. Es wirkt geradezu putzig, wie die Zwiebelisten hier oft einen Blog missverstehen.