Friday, November 15, 2013

Zu kompliziert für die Jugend


Mich erreichte diese Anfrage:

"bei Schekker (www.schekker.de), dem Jugendmagazin der Bundesregierung, dreht sich nächsten Monat alles rund um das Thema "Fernweh". In Erfahrungsberichten, Filmbeitträgen, Votings und Co wird das Thema von jungen Autoren für junge Leser unter die Lupe genommen.

Im Experten-Interview würden wir gerne mit Ihnen die Klimafolgen des Reisens beleuchten. Was passiert eigentlich mit unserer Umwelt durch unsere "Reisewut"? Kann man nachhaltig reisen?

Das Interview wurde von einem unserer jungen Autoren in enger Absprache mit der Redaktion vorbereitet. Da unsere Autoren in ganz Deutschland verteilt sind, könnte das Interview auch telefonisch stattfinden."

Nachdem ich im Interview dann erklärt habe, dass das Konzept "Reisen als Klimakiller" ziemlich idiotisch ist, bekam ich dann diese Absage:

"Vielen Dank, dass Sie das Interview zu "Reisen als Klimakiller?" mit unserem Autor ... geführt haben. Leider können wir es nicht verwenden. Die Antworten sind wohl zu kompliziert und daher ungeeignet für unsere Zielgruppe."

Hier nun das abgestimmte (autorisierte) Interview:



Herr von Storch, die Deutsche Bahn fährt mit Ökostrom und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Fluggesellschaften sind mit solchen Projekten noch nicht in Erscheinung getreten. Muss die Politik den Markt regulieren, um Bahnfahren attraktiver zu machen?

Ich muss ein paar Fragezeichen hinter Ihre Feststellungen setzen. Sie meinen die Wirkung der Treibhausgasemissionen auf das Klima. Da muss man sich fragen: Wer setzt wie viel frei? Wer spart wie viel? Was bewirkt das? Die Gesamtemissionen von Deutschland  sind nicht sehr groß. Wenn nur wir komplett aufhören würden, zu emittieren, wäre die Wirkung fast zu vernachlässigen. Wir müssen sehr viel mehr Menschen als die Europäer dazu zu bringen, aktiv zu werden. Man hört bisweilen das Argument, dass wir als Vorreiter ein gutes Vorbild seien. Das ist albern. Wir sind für die Chinesen und Inder kein Vorbild. Wir müssten einen Mechanismus entwickeln, der jene Methoden, die wir zur Minderung der Emissionen entwickeln, als wirtschaftlich attraktiv von Menschen in anderen Teilen der Welt übernommen wird. Ein reines Vorleben bringt da überhaupt nichts. Es hat nur die negative Folge, dass man glaubt, man habe mit kleinen Beiträgen seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Das hat man aber nicht.

Ist es dann dem einfachen Bürger überhaupt möglich, durch sein Reiseverhalten zum Klimaschutz beizutragen?
Indirekt, indem er die Entwicklung von Reiseprodukten befördert, die weltweit ökonomisch attraktiv sind, sodass andere Menschen aus wirtschaftlichen Gründen diesem Beispiel folgen. Durch den Hinweis, dass es hilft, wenn wir weniger fliegen, wird das Problem Klimawandel lächerlich gemacht. Man glaubt, dass man mit minimalstem Einsatz eine Wirkung erzielen könnte.

Wie könnten konkrete Maßnahmen aussehen?
Zum Beispiel könnten wir im Sinne des Energieeinsparungsgesetzes die Entwicklung von fortschrittlichen Technologien, die mit verminderten Emissionen Energie zur Verfügung stellen, befördern. 

Welche Auswirkungen hat der Massentourismus auf die Ökosysteme in den einzelnen Reiseländern?
Das ist keine Klimafrage mehr. Das hat damit zu tun, wie sich die Umwelt in den Zielländern ändert. Das kann erheblich sein, etwa durch Hotelkomplexe in empfindlichen Ökosystemen. Außerdem wirkt es sich auf die kulturellen Bedingungen vor Ort aus.
Ich habe oft den Eindruck, dass die eigentliche Sorge verschiedenster Interessensverbände die Frage der kulturellen und ökologischen Beeinflussung ist. Der Klimawandel wird nur als Vehikel für andere Argumente genommen. Nach dem Motto: Wenn ich nach Zypern fahre, um mir die Kultur anzuschauen, ist das okay. Wenn ich zum Saufen hinfahre, geht das nicht. Auf das Klima bezogen ist der Zweck meiner Reise egal.

In den Reiseländern hängen oft viele Arbeitsplätze vom Tourismus ab, die durch einen Rückgang der Urlauberzahlen bedroht wären. Wie sieht ein ökologisch und sozial „sauberer“ Tourismus aus?
Wir überweisen jeden Monat 100 Euro an einen Fonds und gehen zu Hause an der Alster spazieren. Das Geld wird ausgezahlt an die Menschen in den ökologisch gefährdeten Gebieten. Dann sind wir zwar nicht im Urlaub, retten aber die Ökosysteme woanders.

Also ist eine Kombination von beidem nicht möglich?
Sie ist schwierig. Der Urlauber muss in den Reiseländern wohnen, essen, auf Toilette gehen. Er fährt meistens dahin, wo es billig ist, sodass weniger Geld für die Sicherung der Ökosysteme vorhanden ist. Wer wirklich ein guter Mensch werden will, sollte spenden und nicht reisen.

Wenn ich aber unbedingt Urlaub in der Karibik machen möchte, wie plane ich diesen möglichst klimafreundlich?
Sie wechseln das Thema, Sie sprechen jetzt von „klimafreundlich“, nicht mehr von „ökologisch sinnvoll“. Das sind zwei verschiedene Ziele. Das eine ist, CO2-Emissionen zu vermindern. Das andere ist, Druck auf regionale oder lokale Ökosysteme zu vermeiden. CO2-Emissionen stellen höchstens indirekt über das Klima einen Stress auf Ökosysteme dar. Sie verhindere ich, indem ich zuhause bleibe.

Wenn ich mich trotzdem entscheide, hinzufliegen: Was kann ich tun, um die Ökosysteme dort möglichst wenig zu  belasten?
Das hängt vom Einzelfall ab, von den Ökosystemen vor Ort. Ich würde immer auch einen Blick auf die kulturellen Systeme dort werfen. Leichtbekleidete Damen sind in bestimmten Gebieten nicht gut für das gesellschaftliche Wohlergehen dort. Wenn man etwas mehr Geld hat, macht es Sinn, ein Reiseziel mit minderer Belastung für die Wasser- und Luftqualität und die einheimische Bevölkerung zu wählen.

Um auf Ihre Unterscheidung zwischen „Klima“ und „Ökosysteme“ zurückzukommen: Werden durch eine Belastung des Klimas die Ökosysteme in den Ländern nicht indirekt belastet, indem die ökologische Ausgleichfunktion eingeschränkt wird?
Ja, aber Sie müssen immer nach der Größenordnung der Wirkung fragen. Bringt das überhaupt etwas? Das ist häufig nicht der Fall - bezogen auf das Klima. Wenn man sich um einen umweltfreundlichen Tourismus bemüht, sollte man sich um die regionalen und lokalen Umweltfragen kümmern, die konkret betroffen sind und hoffen, dass ein kleiner Teil für das Klima abfällt. Man sollte sich um das eigentliche Problem kümmern, und nicht um das indirekte Problem der Klimaschädigung, von der man glaubt, sich für hundert Euro freikaufen zu können. Das ist ein richtiger Ablasshandel, der da stattfindet.

Ist es überhaupt möglich, Urlaub zu machen, ohne der Umwelt zu schaden? Gegenfrage: Können wir überhaupt leben, ohne die Umwelt zu schädigen? 

Haben Sie eine Antwort?
Das können wir nicht. Oft wird die Antwort auf plakative Aussagen reduziert, die dazu führen, dass sich der eine dem anderen überlegen fühlt und eine Anleitung zum „richtigen“ Leben gibt. Die letzte Bundestagswahl hat gezeigt, dass das in der Bevölkerung nicht sehr attraktiv ist.

5 comments:

  1. Bravo, beknackte Frage ernsthaft beantwortet. Kommt in die "Gegenmittel für Klimagutmenschen"-Kiste. Schade, dass die Redaktion von Schekker offenbar zu doof für die Jugend ist.

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  2. hvw: Erstens danke, zweitens: Ich denke, wir sollten die Fragen nicht kritisieren - denn sie sind "echt" (so erscheinen Sie mir), Ausdruck gesellschaftlicher Realität - sie spiegeln Vorstellungen, Sorgen, Perspektiven in der Gesellschaft, die Antworten brauchen, und dazu natürlich formuliert werden müssen.

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  3. Hans von Storch,

    genau, die sind echt. Ich höre im Alltag jedefalls dauernd solche Fragen (und implizite Antworten). Woher kommt denn das, ist das typisch deutsch? Dieses Sentiment ist ja auch nützlich - für Verkäufer des neuesten Klimaretter-Duschwarmwasserverbrauchszählers, z.B. Ich möchte nicht die Fragen kritisieren, sondern die Erwartung einer bestimmten Antwort. Antworten, die keine klaren Verhaltensregeln liefern, kommen nicht so gut an; vielleicht erklärt der vorletzte Satz des Interviews warum das so ist.

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  4. hvw: "Ich möchte nicht die Fragen kritisieren, sondern die Erwartung einer bestimmten Antwort. Antworten, die keine klaren Verhaltensregeln liefern, kommen nicht so gut an; vielleicht erklärt der vorletzte Satz des Interviews warum das so ist."

    Es ist ja eigentlich mit jedem Thema, was in der Neuzeit in Erscheinung tritt. Es erweist sich bei genauerem Hinschauen als komplexer, als man es zuvor vermutet und auch erhofft hatte. Einfache Antworten, ein verständlicher Wunsch vieler Menschen. Vielleicht ist es manchmal das, was man Kindern als Botschaft mitgeben sollte; es ist nicht alles zu einfach, wie es ausschaut, aber wir haben gelernt mit unvollständigem Wissen vernünftig umzugehen.

    Übrigens denke ich, dass der Klimaskeptizismus bei sehr vielen darauf beruht, dass sie sehr einfache Antworten haben wollen, und das wissenschaftsnotwendige "Sowohl-als-auch" als Rumreden um den heißen Brei wahrnehmen.

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