Im Juni 2015 wurde ich von der Pressestelle der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), zu der auch das Helmholtz Zentrum Geesthacht gehört, gebeten, eine kurze Stelllungnahme abzugeben zur Frage "Macht
es Sinn, am 2o-Ziel festzuhalten?“. Dabei erwartete man zutreffenderweise von mir eher eine negative Antwort, weshalb eine zweite, eher positiv erwarftete Stellungnahme anderweitig eingeholt werden sollte. Diese zweite Stellungnahme lieferte dann Raimund Schwarze vom Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ).
Beide Stellungnahmen sind nur auf den web-Seiten der HGF verfügbar, wobei eine geringfügige redaktionelle Kürzung vorgenommen wurde.
Beide Stellungnahmen sind nur auf den web-Seiten der HGF verfügbar, wobei eine geringfügige redaktionelle Kürzung vorgenommen wurde.
Meine Originalantwort, die durch die HGF-Bearbeitung nicht wesentlich verändert wurde, lautete so:
"Macht
es Sinn, am 2o-Ziel festzuhalten?“ werde ich gefragt. Für den
sozialen Prozess Wissenschaft hat dies Ziel eher negative Konsequenzen, weil es
eine politische Steuerung „der“ Klimawissenschaft aufbaut; „der“ Politik erlaubt es, ein legitimes politisches
Ziel zu formulieren.
Das 2o-
Ziel besteht in der Vorgabe, den Anstieg
der global gemittelten bodennahe Lufttemperatur bis 2100 auf einem Niveau von
höchstens 2 Grad zum Stillstand zu bringen. In der Öffentlichkeit wird diese
Vorgabe meist als wissenschaftlich unabweisbar angesehen, wenngleich ein Proponent
im SPIEGEL in 2010 klar stellte: „…
natürlich kommt es nicht bei 2,01 Grad zum Weltuntergang…. Aus heutiger
wissenschaftlicher Sicht könnte man vielleicht auch mit einer Erwärmung
zwischen 2 und 3 Grad leben. In diesem Korridor sollten wir aber spätestens zur
Ruhe kommen, weil jenseits davon unbeherrschbare Prozesse angestoßen würden wie
das Kippen von Eisschilden und kontinentalen Ökosystemen.“ Ich stimme zu,
dass menschliches Tun das Klima ändert, und dass diese Änderung umso größer
ausfällt, je mehr Treibhausgase freigesetzt werden. Die Gefahr von sehr starken
Änderungen nimmt zu, je weiter die Temperatur steigt, und es ist daher
naheliegend, diesen Anstieg so weit einzugrenzen, wie dies unter Beachtung
anderer gesellschaftlicher Ziele möglich erscheint. Aber dass die Grenze gerade
2o sein soll? – Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun, ist vielmehr
ein Ergebnis der Abschätzung politischer Wirksamkeit. Im gleichen Interview heißt es: „Die Politik hat gern klare Vorgaben, und eine einfache Zahl ist besser
zu handhaben als ein komplexer Temperaturkorridor. Außerdem war es wichtig,
überhaupt eine quantitative Orientierung ins Spiel zu bringen, an der sich die
Klimarahmenkonvention 1992 noch elegant vorbeigemogelt hat. Und seien wir doch
ehrlich: Selbst wenn wir das 2-Grad-Ziel ansteuern, werden wir am Ende etwas
oberhalb landen.“
Derzeit
erwärmt sich das Erdsystem weiter, die Emissionen wachsen, und das Einhalten
des 2o-Ziels kann nur noch mit der Einführung negativer Emissionen in klimaökonomische
Modellen plausibel
beschrieben werden. „Die“ Wissenschaft verdaddelt ihr Kapital der
gesellschaftlichen Anerkennung, und „die“ Politik hat sich in die 2o-Ecke
gemalt und weiß nicht, wie sie wieder rauskommen soll. Was nun?
"Dabei erwartete man zutreffenderweise von mir eher eine negative Antwort,..."
ReplyDeleteAn deren Stelle hätte ich eher auf eine Ablehnung getippt verbunden mit dem Hinweis, dass politische Fragestellungen nicht von einem Klimawissenschaftler zu beantworten sind.
Was meinen Sie mit
"„Die“ Wissenschaft verdaddelt ihr Kapital der gesellschaftlichen Anerkennung,..."
Befürchten Sie, dass die Klimawissenschaft für negative Effekte des Verhandlungsprozesses mitverantwortlich gemacht werden? Oder sehen Sie einen Schaden darin, dass man (unwahrscheinliche) Szenarien anbietet, die ein 2°-Ziel (theoretisch) noch erreichbar erscheinen lassen?
Was auch immer gemeint ist: ich finde, als Klimawissenschaftler kann man sich da entspannter zurücklehnen. Letzten Endes wird die Politik ihre Politik verantworten müssen.
Andreas
Der Raimund Schwarze, den man laut HvS ja nur deshalb auch gefragt hat, weil man noch eine gegenteilige Antwort haben wollte, ist Politikwissenschaftler/Ökonom mit Klimaspezialisierung. Also Experte für diese Frage, würde ich sagen. Das ist alles total verwirrend.
ReplyDeleteBei aller nachvollziehbarer Kritik am 2°-Ziel: Was soll die bessere Alternative sein? An dieser Stelle klafft eine Lücke.
ReplyDeleteEine Metapher aus dem SPIEGEL-Interview des "Proponenten" (Schellnhuber):
Und seien wir doch ehrlich: Selbst wenn wir das 2-Grad-Ziel ansteuern, werden wir am Ende etwas oberhalb landen. Auch dort, wo ein Tempolimit vorgeschrieben ist, haben die meisten Autofahrer ein paar Stundenkilometer zu viel auf dem Tacho.
Mir scheint, fünf Jahre später hat man sich darauf verständigt, dass sich jeder aussucht, wie schnell er fährt. Auf Tempokontrollen wird weitgehend verzichtet. Immerhin sorgt das 2°-Ziel dafür, dass die Bleifußfahrer am öffentlichen Pranger stehen werden.
Andreas
ich finde, Hans von Storch sieht die 2-Grad-Grenze dogmatischer sieht als sie je gedacht war und es jeder versteht. Die Frage ist: will Hans von Storch die Grenze falsch verstehen, damit er was zu meckern hat? Die Idee kam ja u.a. aus dem PIK (weder ursprünglich, noch am deutlichsten, aber immerhin), und damit ist es für Hans von Storch per sé schlecht. Man kennt ja die gegenseitige Liebe zwischen von Storch und Rahmstorf oder Schellnhuber.
ReplyDeleteMich als Laie machen diese Kindereien und Professoren-Stutenbissigkeiten doch eher traurig. DAS SCHADET DEM ANSEHEN DER WISSENSCHAFT. Nun ja, Prof. von Storch hat soviele spannende und wichtige Dinge zu sagen, leider spricht in der Öffentlichkeit meist Mr. Hans von Storch.
Have fun,
GHB.
Kein Politiker in Deutschland nimmt das 2° Ziel Ernst, oder warum werden Kernkraftwerke in Deutschland abgeschalten.
ReplyDeletehvw/#2.
ReplyDeleteIch habe das mißverstäändlich geschrieben. Raimund Schwarze wurde nicht als Reaktion auf meinen Beitrag hereingeholt. Vielmehr wollte man zwei HGF-Leute, die verschiedene Meinungen haben. Wer in welcher Reihenfolge eingeladen wurde, weiss ich nicht; kann auch sein, dass beide unabhängig voneinander gewählt wurden.
Hallo,
ReplyDeleteIch habe Ihnen versprochen Sie "nicht mehr" zu "belästigen" mit meinen Kommentaren und tue es nur zu sehr aussergewöhnlichen Anlässen.
Die aktuelle Entwicklung des Flüchtlingsproblems ist m.E. ein solcher Anlass, der es rechtfertigt dass ich Ihnen wieder eine unangenehme Frage zu ihrer Wissenschaft, bzw. zur Postmodernen stelle.
Immer wieder wurde hervorgehoben, wie ausserordentlich wichtig und herausragend das Klimaproblem, im Vergleich zu allen anderen Problemen auf diesem Planeten ist.
Glauben Sie mir ab dieser Woche, dass eine kleine Gruppe von fanatischen Gotteskriegern ein weit grösseres Problem für Afrika, Europa und sogar die ganze Welt bedeutet, als es der Klimawandel jemals könnte?
Ist es nicht offensichtlich dass der Kampf um Ressourcen bald alles andere in den Schatten stellen wird und dass das vor allem mit Demographie, Krieg und Fanatismus und nur marginal mit Klimatologie zu tun hat?
Würden Sie mir heute Recht geben, dass das Klimaproblem nur eines unter vielen ist und bei weitem nicht das dringenste?
Vielen Dank für Ihr Verständnis und den netten Umgang mit Andersdenkenden (vor allem Hans Von Storch und Eduardo Zorita),
Yeph
@Yeph, eine ernstgemeinte Frage, wird ein Problem vollkommen unbedeutend, weil es ein anderes Problem gibt, welches momentan (gefühlt) an der obersten Stelle der Prioritätenliste steht?
ReplyDeleteEs ist ein klassisches Mittel der politischen Rhetorik, den Namen des Proponenten einer Idee bewusst nicht zu nennen. Damit kann der Opponent zum einen seine größtmögliche Missachtung des Proponenten als Person zum Ausdruck bringen und zum anderen den Eindruck erwecken, es ginge ihm allein um die Sache. Eine rhetorische Strategie, die z.B. im Wahlkampf oft eingesetzt wird - mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
ReplyDeleteWenn ein Wissenschaftler auf diese Strategie zurückgreift und zudem absichtlich unvollständige Quellenangaben macht, dann ist dies zumindest gewöhnungsbedürftig, auch wenn es sich nur um einen Meinungsbeitrag und keinen wiss. Artikel handelt. Immerhin lautet das Argument ja, die Wissenschaft vor ihrem Missbrauch zu retten. Aber das ist vielleicht auch nur Geschmackssache.
Dass es vielleicht politisch gar keinen Sinn mehr macht, am 2 Grad Ziel festzuhalten, ist eine ganz andere Frage - die Herr Schwarze so leider auch nicht stellt. Meiner Meinung nach engt das 2 Grad Ziel und die damit verbundene Verpflichtung globaler Abkommen den Handlungsspielraum eher ein. Die Alternative ist keineswegs das Geo-Engineering, wie Herr Schwarze nahelegt, sondern Politik - akteurszentriert und polyzentrisch, wie man z.B. hier bei Oliver Geden und Silke Beck sehr schön nachlesen kann.
Aber auch der gegenwärtig präferierte polyzentrische Ansatz braucht eine Art von Referenzwert, an dem die Qualität der vorgelegten INDCs festgemacht werden kann. Ich sehe daher den polyzentrischen Ansatz nicht als eine Alternative zum 2°-Ziel, sondern als einen anderen Ansatz, ein vorgegebenes Ziel zur erreichen.
ReplyDeleteDas 2°-Ziel gibt den Bürgern in Ländern wie z.B. Australien oder Kanada die Möglichkeit, die INDCs ihrer Regierung als unzureichend zu brandmarken und Druck auf ihre Regierung auszuüben. Die niederländische Regierung wurde kürzlich sogar per Gerichtsurteil aufgefordert, ihren Beitrag zur Erreichung des versprochenen 2°-Ziels zu leisten. Was sollte man gewinnen können, wenn man dieses einzige Druckmittel aufgibt?
Mein Argument ist dasselbe, was kürzlich in der ZEIT zum Thema Entwicklungsziele zu lesen war (http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-08/un-entwicklungsziele-nachhaltigkeit-vereinte-nationen), der ganze Artikel lässt sich 1:1 auf Klimapolitik und 2°-Ziel übertragen:
Viel Aufwand also um nichts? Dagegen spricht der Erfolg der alten Millenniumsziele. Auch sie wurden anfangs als überambitioniert und unrealistisch kritisiert. Doch weltweit mobilisierten sie die Bürger. Prominente, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Regierungen setzten sich für sie ein. In Deutschland warben Benno Fürmann, Herbert Grönemeyer und David Garrett, international trommelten Bob Geldof und Bono für mehr Engagement.
Ähnlich könnten auch die neuen Entwicklungsziele funktionieren. Immerhin: Sie markieren einen Anspruch. Und schon alleine dadurch, dass sie im September öffentlichkeitswirksam auf einem großen UN-Gipfel in New York verabschiedet werden sollen, entsteht politischer Druck. Jede Regierung, die sich danach untätig zurücklehnt, muss mit öffentlicher Kritik rechnen. Das ist zwar keine harte Sanktion, aber politisch zumindest unangenehm. Letztlich wird der Erfolg der SDGs deshalb auch davon abhängen, wie sehr die Bürger ihre Regierungen in die Pflicht nehmen und den politischen Druck auf die Mächtigen aufrechterhalten können.
Meiner Meinung nach führt das 2°-Ziel zu einer Mobilisierung der Akteure bottom, was für bottom-top-Ansätze doch sehr relevant sein sollte.
Ob jetzt jedes Entwicklungziel realpolitisch erreichbar ist, ob man jede im Ziel genannte Zahl wissenschaftlich begründen kann (kann man nicht), erscheint mir von nachrangiger Bedeutung zu sein.
Andreas
Andreas,
ReplyDelete(hier nochmal etwas korrigiert):
verstehe, aber reicht als Referenzgröße nicht der IPCC insgesamt aus? Das 2 Grad Ziel ist selbst zu wacklig, und es weist Wissenschaftlern eine zu wichtige Rolle in der Klimapolitik zu - wie der "Dialog" über das 2 Grad Ziel zeigt, sind diese sich da selbst nicht so einig. Es mag allerdings schon stimmen, dass die generellen Entwicklungsziele sinnvoll sind (will ich mal hoffen, so heillos wie Wissenschaft heute darin verstrickt ist). Aber kritisch würde ich anbringen, dass diese tendenziell immer neue Expertenkommissionen hervorbringen, die Politik auch nicht ersetzen können, bestenfalls unterstützen. Und im Gefolge dieser Expertenkomissionen kommen dann Geldorf, Bono und Co als Klimapopstarmediatoren, Weltrettungsmilliardäre wie Bill Gates, start-up think tanks und vielleicht noch eine Klimatroika, die dann weltweit die Ziele durchsetzt - ich will da nicht völlig dagegen argumentieren, aber so richtig dran glauben mag ich auch nicht. Aber natürlich ist es für NGOs und andere Aktivisten wichtig, dass sie sich auf eine mehr oder weniger neutrale Größe beziehen können - wobei ich da den IPCC Report für ausreichend halte; die 2 Grad müssen zu sehr gegen Kritiker verteidigt werden, das lenkt oft auch ab.