Friday, August 21, 2015

Moderne Zeiten

Hier mein Kommentar zu dem Statement von Hans, und zwar in Form einer Polemik. Das heißt, ich übertreibe ein bisschen in meiner Kritik, um meinen eigenen Punkt herauszuarbeiten. Eine Polemik hat den zusätzlichen Vorteil, dass sie manchmal auch eine Diskussion auslöst. Außerdem macht es Spaß, sie zu schreiben – und hoffentlich auch, sie zu lesen.

Das Statement liest sich wie eine letzte Verteidigung des „Westens“ als einer „kulturellen Umwelt“ und damit der Moderne als einer Existenzweise, wie Latour sie in seinem neuen Buch anthropologisch untersucht. Diese Moderne basiert auf einer Ordnung, in der Wissenschaft eine „überlegene Wissensform“ ist und als Kriterium zur Unterscheidung anderer Existenzweisen – religiöser, kultureller, irgendwie andersartiger – dient. Die Verfassung einer solchen Moderne beruht auf einer strikten Trennung von Wissenschaft, die der Erkenntnis der Fakten dient, von Politik, welche Entscheidungen fällt, und einer Gesellschaft, die von „Werten“ determiniert ist. Zwischen Wissenschaft, Politik und „Entscheidungsträgern“ gibt es einen "Dialog". Wer als Entscheidungsträger gilt, welche Wissensform anerkannt wird, und wer vom politischen Prozess ausgeschlossen wird und keine Stimme hat – dieser Prozess wird dabei nicht thematisiert oder unter „Kultur“ subsummiert, genauso wie die Kämpfe um Macht, Geld und Einfluss – Begriffe, die in dem Statement gar nicht auftauchen. Dafür wird das Idealbild einer reinen Wissenschaft beschworen, die überlegenes Wissen produziert und die frei von Interessen (Geld, Macht, Einfluss) zur Erkenntnis gelangt. Die eigentliche Aufgabe besteht dann nur noch darin, Betrüger, Scharlatane und falsche Propheten zu enttarnen, welche die Wissenschaft „politisch“ missbrauchen – womit das Ideal- bzw. Trugbild der unpolitischen Wissenschaft noch einmal bestätigt wird.


Dieses moderne Weltbild steht in Kontrast zu demjenigen von science & technology studies und anderen Disziplinen, die Wissensproduktion untersuchen. Dort resultiert Gesellschaft als ein dynamisches Gebilde aus unterschiedlichen Impulsen, die sich in immer neuen Kräftefeldern formieren. Es gibt dort keine Gesellschaft, die „resistent“ werden könnte gegenüber dem Alarmruf mancher Klimaforscher, aber es gibt unterschiedliche Reaktionen auf die diversen Impulse, die von den Klimawissenschaften ausgehen. Das Problem, das STS interessiert, ist daher auch weniger, dass auch Wissenschaftler eine Meinung haben und irgendwie biased sind, sondern dass Wissen über Natur und Gesellschaft nicht von der Wissenschaft allein, sondern in einem kollektiven Prozess hervorgebracht wird:

“The ways in which we know and represent the world (both nature and society) are inseparable from the ways in which we choose to live in it. […] Scientific knowledge [..] both embeds and is embedded in social practices, identities, norms, conventions, discourses, instruments and institutions (Jasanoff, 2004: 2-3).“

Wissenschaft ist hier nicht „auch“ kulturell, sondern sie ist eine kulturelle Praxis. Sie steht dabei keineswegs immer in Konkurrenz zu anderen Wissensformen, wie z.B. kürzlich die Enzyklika von Papst Franziskus, wo der Klimaforscher Schellnhuber als honest broker agierte, gezeigt hat. Dieses Beispiel ist keineswegs willkürlich gewählt. So argumentiert Mike Hulme in letzter Zeit immer mehr dafür, Klima nicht als rein physikalische, sondern vor allem als eine kulturelle Größe zu verstehen, und er fordert, dass Religionen und ihre Werte mehr die Rolle übernehmen, die Randbedingungen der Realität zu bestimmen – und nicht nur die tipping points, targets oder planetary boundaries der Klima- und Erdsystemforscher. Mike Hulme fordert also als Konsequenz aus seiner Kritik an diesen Begriffen nicht etwas die Rückkehr zu Merton  in die Moderne, sondern er nimmt die Vielstimmigkeit der Klimadebatte ernst und eröffnet neue Wege, das Klimaproblem zu denken. (Man muss nicht gleich nach der Religion rufen, es reicht schon, Sprache, Vorstellungen und Bilder als Randbedingungen zu akzeptieren - denn ohne diese können wir nicht über Realität kommunizieren).

Auch die postnormal science verdankt sich ja dem Umstand, dass die Wissenschaft gerade NICHT die Randbedingungen der (Klima-) Realität bestimmen kann (übrigens genausowenig wie andere Disziplinen dies für ihre Gebiete können). Und da es keinen Weg zurück in die Moderne und zur normalen Wissenschaft gibt, schlägt die postnormal science die Ausweitung der epistemic communities, der peer communities vor – alle, die es jeweils angeht, melden sich zu Wort und haben eine Stimme. Die Waffen werden vor der Tür abgegeben, alle tragen sich in die Rednerliste ein, auch die Wissenschaftler. Diese Aushandlungsprozesse und Verschiebungen interessieren mich weit mehr als die Frage, wer jetzt „Recht“ hat oder welche Wissensform jetzt die „überlegene“ sei. Recht haben hieße hier lediglich, die Diskussion über einen fortlaufenden Prozess einfach abzubrechen und dafür wieder für „die Wissenschaft“, „die Politik“ und „die Gesellschaft“ als Platzhalter einzusetzen und weiterzumachen wie bisher. Bisher ist aber nicht genug. Der Ruf nach Merton reicht allein nicht ausauch wenn das mainstream sein mag. Nicht die vermeintlichen Krakeeler und Ideologen sind das Problem (zumindest nicht mehr oder nicht das eigentliche), sondern dass wir Modernen nicht wissen wer wir sind und nicht verstehen was passiert, das ist das Problem.






22 comments:

  1. Wissenschaft war noch nie ganz rein und frei von Interessen. Heißt das im Umkehrschluss, dass es in der Regel nicht ratsam sei, auf das zu hören (oder besser gesagt zur Kenntnis zu nehmen), was die Wissenschaft uns zu sagen hat? Zum Glück nicht. Im Durchschnitt sind wir damit sehr gut gefahren, der Wissenschaft einen hohen Stellenwert einzuräumen. Ich fände einfach eine Portion Pragmatismus in der gesamten (Klima-)Debatte angebracht. Wir müssen uns bewusst machen, dass selbst die wichtigsten Lebensentscheidungen, die wir treffen, als auch relevante gesellschaftspolitische Entscheidungen auf unvollständige, ja sogar auf fehlerhaften Informationen beruhen. Von daher sollten bei uns auch etliche Signalleuchten angehen, wenn einige Diskutanten nur dann politische Maßnahmen für gerechtfertigt ansehen, wenn die Wissenschaft sich bei einer Sache absolut sicher ist.

    Eine unpolitische Wissenschaft ist mit Sicherheit ein Ideal, nach dem es sich zu streben lohnt, aber jede reale Abweichung davon macht Wissenschaft nicht nutzlos. Politische Entscheidungen sind schließlich kein Automatismus aus wissenschaftlichen Aussagen. Ja, ich bin sogar ganz froh, dass es da noch jede Menge Schichten im politischen Entscheidungsprozess gibt, die man da durchdringen muss, ehe wirklich eine Veränderung stattfindet. Oder um es mal polemisch auszudrücken, bei der gesamten Wissenschaft-Politik-Debatte einfach mal den Ball flach halten.

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  2. Werner,

    ich bin mir nicht sicher dass du da eine Polemik geschrieben hast. Im Wesentlichen stimmst du doch mit Hans überein. Die Betonung, dass Wissenschaft einen äußerst beschränkten Ausschnitt aus der Realität bearbeitet, dass Wissenschaftler Fachidioten sind, dass es einen Dialog geben soll (bei dir kollektiver Prozess bezeichnet), etc -- ziemlich nah beieinander finde ich. Der einzige wirkliche Differenzpunkt ist die Frage ob Wissenschaft überlegenes Wissen produziert oder nicht. Tatsache ist, dass sowohl Wissenschaftler wie Nicht-Wissenschaftler die Erwartung hegen, die Wissenschaft produziere verlässliches Wissen, mit besonderen Methoden. Theorien und Apparaten. Insofern ist wissenschaftliche Kommunikation eine Spezialkommunikation in der Gesellschaft, überlegen ist wahrlschinlich der falsche Begriff dafür, da er ablenkt vom Umstand, dass man sich auf das Wissen verlassen können will.

    Warum glaubst du stellt sich kein Wissenschaftler vor das Publikum und sagt, seine Erkenntnisse seien das Resultat von kulturellen, politischen und finanziellen Einfüssen?

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  3. Reiner,

    mag sein oder auch nicht, auf jeden Fall regten mich die Reihung von Begriffen wie "kulturelles Umfeld", "westliche Welt", "überlegene Wissensform" etc dazu an, mir noch einmal genauer die ontologische Grundlage dieser Weltordnung und die daraus direkt begründete wissenschaftliche Vorgehensweise anzusehen. Der Ruf nach Merton, die Arbeitsteilung zwischen Klimawissenschaften = klimatische Randbedingungen und Kultur-und Sozialwissenschaften = gesellschaftliche Randbedingungen (Werte) implizieren eine mögliche Rückkehr zu einer Normalität, die meiner Meinung nach eine Illusion ist.

    Mike Hulme und Sheila Jasanoff versuchen das nicht, sie gehen davon aus, dass die zugrundeliegenden Trennungen selbst wissenschaftliche Setzungen sind - und nicht deren Voraussetzungen. Wer bestimmt denn, wer zum Westen gehört? Wer bestimmt, was Fakt und was Wert, was Natur und was Kultur ist? Und haben Gesellschaften wirklich Werte? Das klingt wie Kulturdeterminismus aus dem 19. oder Anfang des 20. Jahrhundert, und der war genauso falsch wie der Klimadeterminismus. Mike Hulme bringt unzählige Beispiele, wie genau Geographen oder Ethnologen das untrennbare ineinander von Klima, Wetter und Kultur beschrieben haben, lange bevor Klimawandel ein aktuelles Thema wurde. Erst die Klimawissenschaften haben diese absolute Trennung vollzogen - und riefen dann plötzlich nach den Sozialwissenschaften, allerdings nur solche, die wie sie vorgehen - quantitativ, Modellbezogen, falsifizierend etc. Von daher ignorieren sie auch bis heute viele der Einsichten der Science &Technology Studies und ethnographisch arbeitenden Disziplinen, da diese interpretativ und aus einer kritischen Tradition stammen, also keine "richtige" Wissenschaft sind.

    Mike Hulme ist durchaus ernst zu nehmen wenn er sagt dass Klima nicht vornehmlich eine physikalische, sondern eine kulturelle Größe ist; das impliziert weitreichende Konsequenzen, die durchaus auch die Vorherrschaft der quantitativen, big data und Technologie-affinen Wissenschaften in der Politikberatung kritisiert. Soviel Theoriearmut wie in der derzeitigen Klimapolitikberatung war nämlich noch nie, und das 19. Jahrhundert feiert fröhliche Urständ.

    Von daher würde ich schon beanspruchen, dass mein Post eine Polemik beinhaltet. Natürlich ist Hans da vielleicht zu sehr meiner Auffassung, aber manche der Begrifflichkeiten in seinem Statement sind meiner Meinung nach irrlichternd bzw. gehen auch nicht weit genug. Es reicht nicht, nur die postnormal sciences zu zitieren, ohne dann wirklich die Konsequenzen zu ziehen und die peer community zu erweitern. Die Wissenschaft ist eben keine überlegene Erkenntnisform, sondern eines der vielen Elemente kollektiver Wissensproduktion, zu der auch Erkenntnisweisen wie Religion, Recht, Wirtschaft, Überlieferungen, Gemeinrecht, Erbregeln etc gehören - die alle genau so viel Wert sind. Die Vorherrschaft von Wissenschaft zu behaupten führt nur zur Expertenregierung, zur Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen und zu der Klimapolitik, unter deren Unergiebigkeit wir nun schon so lange leiden.

    Aber Hans wäre auch der erste, der in einem Vortrag zugibt, dass seine Erkennntnisse "das Resultat von kulturellen, politischen und finanziellen Einflüssen" sind - und hinzufügen, dass er sich dennoch an Mertons Regeln gehalten hat. Vermute ich mal. Denn das ist überhaupt kein Widerspruch. Es ist allerdings bedauerlich, dass das in den Naturwissenschaften so selten gemacht wird - das Beschwören von Objektivität, Neutralität, CUDOS und Interesselosigkeit verdeckt eben leicht, dass die Geschichte der Naturwissenschaften auch eine des beispiellosen Opportunismus ist.

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  4. @Werner Krauss

    Nicht nur Opportunismus, sondern auch Hybris und Scharlatanerie.
    Denn genau das ist es was die postnormale Naturwissenschaft hervorbringt.
    Die Hybris und die Scharlatanerie von angeblich naturwissenschaftlichen Institutionen und Organisationen die für uns Menschen stellvertretend die Welt interpretieren.
    Hans von Storch hat ein Plädoyer dafür gehalten, dass Naturwissenschaftler in ihren Aussagen als Naturwissenschaftler wieder kleinere Brötchen backen, sonst ist es Hybris und Scharlatanerie. Als Politiker und Staatsbürger brauchen sie das nicht. Recht hat er.
    Ich schließe mich Reiner Grundmann an. So weit sind sie nicht von HvS entfernt.
    Sie kommen nur von der anderen Richtung. Was sie richtig erkannt haben. Naturwissenschaft ist keine überlegene Wissensform, sondern bietet nur eine Methode, um in eng begrenzten Fachgebieten zu reproduzierbaren Ergebnissen zu kommen.
    Darüber hinaus ist es eine kulturelle Praxis. Interpretation und Schlussfolgerungen sind eben nicht frei vom kulturellen Kontext.
    Die vielgepriesene Interdisziplinarität ist ein moderner Mythos.
    Deshalb sind auch die Schlussfolgerungen eines Honest Broker der den Papst oder die Politik berät politische Aussagen. In der Naturwissenschaft sollte man kleinere Brötchen backen.

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  5. Herr heß,

    vielen Dank für den Kommentar. Nicht dass wir uns hier missverstehen: ich bin ein großer Freund der postnormalen Wissenschaft und halte es für sinnvoll, wenn ein Herr Schellnhuber dafür sorgt, dass der Papst seine Enzyklika wissenschaftlich korrekt untermauert (was er hoffentlich getan hat). Die Botschaft des Papstes geht ja weit über Wissenschaft hinaus, er propagiert eine Haltung zur Welt - kein schlechter Ansatz in der Klimadebatte, was auch immer man nun von dieser speziellen Haltung denkt.

    Ich glaube nicht so recht an diese spezialisierte Nischentheorie. Vom IPCC über Horizon 2020, Future Earth und andere Forschungsprogramme ist Wissenschaft eng vernetzt mit Politik und Planung. Mit Opportunismus meine ich, dass vor allem die Naturwissenschaften ihre Verstrickungen in Programme - auch solche, die wir heute für gar nicht mehr gut halten - vergleichsweise selten reflektieren. Wie oft hört man in der Klimadebatte, dass das Heer der Forscher doch mit der Politik gar nichts am Hut habe - kein schönes Argument, wie ich finde. Unter irgendeiner Flagge segelt man immer, und ich finde es richtig und notwendig, das mitzureflektieren - erst dann ist man ein richtiger Wissenschaftler. Dann kann man sich auch ruhig einmischen. Der honest broker ist somit eine notwendige Größe im gesellschaftlichen Entscheidungsprozess, kein Scharlatan.

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  6. Lieber Herr Krauss,

    völlig einverstanden wenn sie diese verschränkten Programme wie Horizon2020 oder das IPCC ansprechen. Da wird dann gerne vermischt, dass zielgerichtete Forschung und Entwicklung etwas anderes ist als ergebnisoffene Grundlagenforschung. Falls es das letztere überhaupt noch gibt.
    Wie gesagt Sie kommen aus der anderen Richtung. Top down sozusagen. Bottom up sieht es anders aus. Das Ergebnis deckt sich.

    Es dauert im Schnitt etwa 9 Jahre, um aus einem Studenten der Physik oder der Chemie einen selbständig arbeitenden Naturwissenschaftler (5 Jahre Studium, 1 Jahr Diplomarbeit, 3 Jahre Doktorarbeit) in seinem Spezialgebiet zu machen.
    Danach ist er in der Lage die Schwierigkeiten zu würdigen und zu reflektieren im eigenen Fachgebiet eine reproduzierbare Messung zu machen, sowie daraus ein abheftbares Ergebnis oder eine plausible und falsifizierbare Interpretation abzuleiten. Aber selbst bei der Interpretation im eigenen Fachgebiet ist man nicht vollständig frei von Denkschulen und anderen Einflüssen aus der Ausbildung und der Arbeitsgruppe bzw. der „Community“. Ich denk das hat Latour gut beschrieben und das sollte in der Tat jedem Naturwissenschaftler bewusst sein. Wenn man sich jetzt mit seiner Interpretation in die politische Debatte einmischt, sollte man das im Namen der eigenen subjektiven Interpretation tun und nicht im Namen der Wissenschaft. Ich denke das meint HvS mit seinem Beitrag und das meine ich mit kleinere Brötchen backen.

    Genau wie ein gewählter Politiker seine subjektive Entscheidung verantworten sollte indem er eben nicht die Verantwortung auf die Wissenschaft zurückdelegiert in dem er zum Beispiel sagt: „Die Wissenschaft hat .... gezeigt, deshalb ist es alternativlos folgendes zu tun.“ Das ist feige und verantwortungslos.
    Stattdessen sollte er sagen: „Nach Abwägen der Fakten und der mir vorgelegten Interpretationen und Argumente verantworte ich die folgende Entscheidung.“
    Das ist die Art und Weise und gute Praxis wie man Entscheidungen unter Unsicherheit trifft und verantwortet.
    So habe ich HvS verstanden und Recht hat er. Leider scheint die erstere Variante bei Politikern beliebter zu sein. Aber das ist mein subjektiver Eindruck aus den Medien.
    HvS interpretiere ich so, dass er kritisiert, dass einige Wissenschaftler auch gerne die erste Rolle spielen und der Politik die Verantwortung abnehmen möchten.

    Ein Honest Broker ist deshalb meines Erachtens jemand der deutlich macht was seine eigene subjektive Interpretation ist und der auch die Gegenargumente auf den Tisch legt und würdigt, denn einen neutralen Vermittler der nicht beeinflusst ist kann es es ja nach ihrer These und da stimme ich zu, gar nicht geben.
    Im Gegensatz zu Ihnen halte ich völlig subjektiv Schellnhuber nicht für einen Honest Broker. Wäre er das würde er Mitmenschen nicht als Klimaleugner diffamieren wie er das in seinem Buch "Der Klimawandel" getan hat.

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  7. @Werner Krauss
    eine Formel, Modell, Computerprogramm oder Raketenkonstruktion ist "unpolitisch" und "rein". So hat man es als Natur- und Ingenieurwissenschaftler vielleicht leichter nicht reflektieren zu müssen. Dafür sind vielleicht Geistes- und Sozialwissenschaftler vom Forschungsgebiet her schon politisch beeinflusst. Man muss es reflektieren, weil es der Forschung direkt innewohnt. Bei der Naturwissenschaft kann man Politik und Wissenschaft gedanklich trennen, auch wenn es nicht getrennt ist.

    Vielleicht kommt daher ihre Einschätzung.

    Gruß,
    GHB

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  8. @Heß

    einen Wissenschaftler als "Alarmist", "Betrüger", oder gar "Verschwörer" zu bezeichnen, ist auch nicht Honest Broker-haft. Oder?

    GHB

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  9. zu honest broker: Mit "honest broker" ist übrigens ein Verfahren oder eine Positionierung in einem Entscheidungs- oder Beratungsprozess gemeint, nicht eine bestimmte Person. Wenn der Papst fragt, ob er die scientific basics richtig dargestellt hat in seiner Enzyklika, dann ist es eigentlich egal, ob er HvS oder Schellnhuber fragt. Weil für den Papst ist der Klimawandel kein physikalisches Problem, er will nur die Physik richtig haben.

    zum Thema: Sheila Jasanoff sagt, dass Wissen über die Natur und über die Gesellschaft immer ko-produziert wird. Ich habe das Statement von HvS mal als Beispiel dafür genommen. Als Klimawissenschaftler entwirft er ein Weltbild, ein "kulturelles Umfeld" namens "westliche Welt", in dem wissenschaftliche Erkenntnis als überlegene Wissensform gilt, und in dem Wissenschaft (Merton), Politik (Entscheidung) und Gesellschaft (Werte) fein säuberlich getrennt sind.

    Sheila Jasanoff und andere, z.B. Mike Hulme, weisen daraufhin, dass es sich bei dieser Weltordnung nicht etwa um ein Abbild der Realität handelt, sondern dass es hier um einen Macht- und Deutungsanspruch geht. Die Wissenschaft ist nicht nur von ihrer Umwelt - Institutionen, Diskurse, Praktiken etc - beeinflusst, sondern sie legitimiert diese Institutionen, Diskurse und Praktiken zugleich und sichert sich so ihren Status als überlegene Wissensform. Die Überlegenheit der Wissenschaft ist eine Behauptung, die erst dann zur Tatsache wird, wenn man sie zum Beispiel durch Umfragen dazu erhebt. Solche Gechichten, davon erzählen Foucault und die science & technology studies immer und immer wieder, auch wenn die Adressaten nur ungern zuhören.

    Vereinfacht kann man sich das auch so vorstellen: die Klimawissenschaften machen eine Weltkarte nach dem Prinzip "Malen nach Zahlen", und die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften kolorieren dann die einzelnen Felder je nach gesellschaftlichen Werten. Diese Weltkarte dient dann als Grundlage für Entscheidungsträger und Politiker. Sie hat zwar nichts oder kaum etwas mit der realen Welt zu tun, aber sie leistete bis Anfang des 20. Jahrhunderts gute Dienste, um die wirtschaftliche Ausbeutung des globalen Südens zu legitimieren - im Namen der Wissenschaft, der Aufklärung, des Klimas oder der Kultur oder was auch immer. Sie leistet auch heute noch gute Dienste dabei, Klimaverhandlungen so zu führen, dass sich daran für "die westliche Welt" nicht so viel ändert. Davon erzählen die Geographie und die Ethnologie, unter anderen.

    Wenn das alles in der Politikberatung miterzählt wird, dann ist es allerdings wirklich gute Politikberatung, oder? Am Ende sind die eigentlichen Weltverbesserer ja gar nicht die Alarmisten, sondern diejenigen, die glauben dass "wir" mit unserer "überlegenen Wissensform" das Klimakind schon schaukeln werden. Werden wir natürlich nicht, aber wir können ja noch was dazu lernen. Und wenn es sein muss, womöglich vom Papst. Mitgefühl, Gerechtigkeit und sone Sachen. Nun aber genug polemisiert und ab ins kühle Wasser!

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  10. @GHB

    Wieso sollte eine Formel rein sein. Das benutzen einer empirischen Formel hängt unter Umständen genauso vom kulturellen Umfeld ab, wie
    die Aussage eines Geisteswissenschaftlers. Empirische Formeln oder semiempirische Modelle beschreiben in den Naturwissenschaften Beobachtungen, ohne dass sie etwas mit den grundlegenden Mechanismen der Natur zu tun haben müssen. Oft gibt es mehrere konkurrierende Modelle. Welches in einer Arbeitsgruppe benutzt wird hängt auch von der Community ab und erinnert manchmal auch stark an Glauben.

    Genau das hat Latour beschrieben und ehrlich gesagt kann man das auch selbst beobachten. Das zu reflektieren ist essentiell für einen Naturwissenschaftler.

    Nein, Herr Krauß hat schon Recht Naturwissenschaft ist keine überlegene Wissensform genausowenig wie die Geisteswissenschaft.
    Politikberatung ist deshalb auch keine Wissenschaft, sondern die Erzählung eines Wissenschaftlers oder einer Gruppe von Wissenschaftlern.

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  11. @GHB

    In welchem Buch hat Schellnhuber denn das geschrieben?



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  12. Während wir die Honest Broker-Rolle in der Wissenschaftskommunikation präferieren, gibt es in der Gesellschaft aber auch Leute, die geradezu fordern, dass die Wissenschaftler beim Kolorieren mitspielen. In der jüngsten Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft stieß ich auf eine Rezension des Buches Schlusskonferenz - Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie von Nick Reimer und lese in der Rezension:

    Es handelt sich um ein Versagen der Weltklimapolitik, das auch ein Versagen der Klimawissenschaft ist. Konkrete Klimaschutzkonzepte und -empfehlungen seitens Politik und Wissenschaft liegen kaum vor, geschweige denn, dass sie energisch verfolgt werden. Die Weltklimadiplomatie kann daher beim besten Willen nicht mehr leisten, als das wenige auszuschöpfen, was Politiker ihr an Entscheidungsfreiheit zugestehen und Kliawissenschaftler ihr an konkreten Vorschlägen zuliefern. Angesichts dessen schreibt Reimer ohne Ironie, dass sich die Hoffnungen der Klimawissenschaftler auf eine "Weltbürgerbewegung für den Klimaschutz" richten, die die Verfehlungen der Weltklimapolitik ausbügeln soll.

    Rezensent: Lutz Wicke (Direktor des Instituts für Umweltmanagement an der privaten Wirtschaftshochschule ESCP, ehemaliger Staatssekretär im Land Berlin)

    Witzig, oder? Klimawissenschaft soll das leisten, was Politik und "Weltbürgertum" alleine nicht hinkriegen.

    Aber so oder so, eines steht fest: In dem Moment in der Zukunft, wo sich die Folgen des Klimawandels doch als ernster herausstellen werden als gedacht, wird die Gesellschaft den Finger anklagend auf die Klimawissenschaft richten und fragen: "Warum habt ihr nicht eindringlicher gewarnt?". Jede Wette. Wenn was schiefgeht, braucht man einen Sündenbock.


    @ Günter Heß

    Ein Honest Broker ist deshalb meines Erachtens jemand der deutlich macht was seine eigene subjektive Interpretation ist und der auch die Gegenargumente auf den Tisch legt und würdigt,...
    Vollkommen einverstanden. Es verwundert mich nur, dass Sie noch nie diese Maßstäbe an Curry oder Christy angelegt haben. In ihren letzten Testimonies haben beide eklatant gegen diese Leitlinien verstoßen.

    Stattdessen nennen Sie Schellnhuber und sein Buch. Ich finde, ein Buch ist keine Politikberatung und darin hat auch ein Klimawissenschaftler ein Recht auf Meinungsfreiheit. Auch (oder besser: gerade!) ein Klimawissenchaftler hat ein Recht auf Teilhabe an der politischen Debatte. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, das Honest Broker-Prinzip wird von manchen vorgeschoben, um manche Klimawissenschaftler aus der politischen Debatte auszuschließen.


    Andreas

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  13. @Andreas

    Werner Krauss hat in der Diskussion Schellnhuber als Honest Broker bezeichnet. Nach meiner Wahrnehmung ist er das gerade nicht.
    Wem man Vertrauen als Honest Broker schenkt ist ja auch subjektiv. Es ist ja auch eine Rolle die man einnehmen kann, wenn man den Hut auf hat und die Rolle gebraucht wird. Nicht jeder ist geeignet und kann die eigene Meinung trennen und Gegenargumente auf den Tisch legen.
    Wenn man keinen hat, ist manchmal auch ein Moderator von ausserhalb besser. Politiker sind ja auch alt genug, um ohne Honest Broker auszukommen. Politikberatung funktioniert mit Lobbyisten sehr gut. Man muss nur dafür sorgen, dass beide Seiten an den Tisch kommen. Das versucht ja der Mainstream und unser Zeitgeist zu verhindern.

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  14. @Andreas

    Was Du beschreibst von diesem Lutz Wicke ist genau die Feigheit und Verantwortungslosigkeit die wir in der Politik nicht brauchen können.

    Denn genau so darf ein Entscheidungsträger die Verantwortung nicht an die Berater zurück delegieren.

    Schönes Beispiel für das was ich oben geschrieben habe:

    "Genau wie ein gewählter Politiker seine subjektive Entscheidung verantworten sollte indem er eben nicht die Verantwortung auf die Wissenschaft zurückdelegiert in dem er zum Beispiel sagt: „Die Wissenschaft hat .... gezeigt, deshalb ist es alternativlos folgendes zu tun.“ Das ist feige und verantwortungslos. "

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  15. Günter Heß,

    im Windschatten des Statements von HvS behaupten Sie hier eine ideale gesellschaftliche Ordnung, in der Entscheidungsträger, Wissenschaftler und Politiker jeweils genau definierte Rollen einnehmen. Sie benützen dann diese Hilfskonstruktion, um deftige Urteile gegen Schellnhuber oder "diesen Lutz Wicke" auszusprechen und ziehen dann mächtig vom Leder gegen "feige und verantwortungslose Politiker" oder Entscheidungsträger. Mir kommt da ein bißchen der Verdacht, dass sie diese Verantwortungs- und Staatskunderhetorik nur vorschieben, um ihre Sympathien und Antipathien mit Autorität aufzuladen. Lässt man diese Rhetorik nämlich weg, bleibt eigentlich nur dass "wir Feigheit und Verantwortungslosigkeit in der Politik nicht brauchen können". Naja, hört man ja öfters dieser Tage. Ist es nicht eher so, dass Sie einfach anderer Meinung sind? Wenn man genauer hinguckt, ist es ja dann doch oft ein bißchen komplexer, mit den Politikern, den Entscheidungsträgern und der Wissenschaft und so. Da spielen dann auch inhaltliche Argumente eine Rolle, und Dialogfähigkeit. Zum Beispiel beim honest brokering in extended peer communities.

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  16. Lieber Herr Krauss,

    Na ja, ihre persönlichen Unterstellungen setzen ja meine Argumente nicht außer Kraft.
    Dialogfähigkeit demonstrieren sie damit auch nicht.


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  17. Lieber Herr Heß,

    mit den Zuschreibungen "feige und verantwortungslos" war bei mir wohl eine Grenze erreicht. Es war dennoch eine feine Diskussion, hat Spaß gemacht, vielen Dank für Ihre Beiträge.

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  18. Lieber Herr Krauss,

    wieso sollte ich schmollen. Ich kenne ja ihre Argumentationsweise schon seit einiger Zeit. Seit ich über den Historikerstreit gelesen habe, kann ich die auch einordnen.

    Das Beispiel das Andreas von Lutz Wicke beschrieb, zeigt meines Erachtens eben gerade wie das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik nicht sein sollte. Es führt kein Weg daran vorbei, dass derjenige der die Entscheidung trifft die Verantwortung hat und nicht derjenige der berät. Wenn das nicht klar geregelt und verstanden ist, funktioniert meiner Erfahrung nach das Zusammenspiel zwischen Beratung und Entscheidung nicht. Wenn also die Politik "keine Entscheidung" trifft hat sie auch die Verantwortung dafür.
    Im übrigen ist eben nichts zu tun oder nicht das zu tun was der Berater vorschlägt auch eine mögliche Entscheidung.

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  19. Einen Aspekt zum Thema Politikberatung würde ich noch gerne mit einbringen. Und zwar anhand eines sehr hochaktuellen politischen Themas. Es sind nicht nur wissenschaftliche Institute oder Lehrstühle die Politikberatung machen. Es gibt auch bundeseigene Behörden, die Ministerien und Bundesländer mit Prognosen versorgen. So war es das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, welches am Anfang des Jahres vorhersagte, dass 2015 mit ca. 200.000 Asylanträgen zu rechnen sei. Auf welche Zahl mittlerweile die Prognose nach oben korrigiert wurde, dürfte wohl jedem bekannt sein.

    Ich weiß nicht, inwieweit Wissenschaftler und wissenschaftliche Methoden für diese Aussage herangezogen wurden. Obwohl es auch noch alternative Schätzungen gab, die deutlich höher als die 200.000 lagen, waren diese Zahlen vom Bundesamt quasi Gesetz für die Planung der Länder und Kommunen. Für mich ein sehr eindringliches Beispiel, was passieren kann, wenn ein Risiko systematisch unterschätzt wird.

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  20. @S.Hader said...

    „Auf welche Zahl mittlerweile die Prognose nach oben korrigiert wurde, dürfte wohl jedem bekannt sein.“

    Es bewegt sich im Rahmen des letzten Jahres, wegen Uneinigkeit innerhalb der EU diesmal bis Ende des Jahre mit einem Plus von 20-30%. Die Zahl 800000-1000000 ist eine Panikzahl des deutschen Paternalismus, um endlich wieder richtig am „Asylrecht“ drehen zu können.
    Bundesamt fuer Migration und Flüchtlinge

    In der Statistik auf Seite 3 bitte das Jahr 1993 beachten, und dies war das Ergebnis:
    Deutschlandradiokultur

    Und anhand der weltweiten Flüchtlingszahlen, die ein Global Player wie Deutschland mit zu verantworten hat, eine sehr geringe Zahl.

    „Mitte 2014 wurden weltweit 51,3 Mio. Menschen auf der Flucht gezählt – das ist die höchste Weltflüchtlingszahl seit dem zweiten Weltkrieg.“
    Proasyl

    @S.Hader said...

    „Für mich ein sehr eindringliches Beispiel, was passieren kann, wenn ein Risiko systematisch unterschätzt wird.“

    „Allein in Deutschland wurden 50 Millionen Impfdosen bestellt.[] Im Schnitt sterben in Deutschland pro Jahr bis zu 20.000 Menschen an der "normalen" jährlichen Grippe. An der Schweinegrippe sind jedoch nur wenige Menschen verstorben.“
    Thema Schweinegrippe

    U.a. ist ein Zeichen von Paternalismus, wenn „Mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird“! Man muss schließlich seine Unersetzlichkeit unter Beweis stellen und der deutsche Michel, wie ich an diesem Kommentar wieder erkennen kann, jubelt erneut. Parallelen zum Thema des Blogs sind natürlich „rein“ zufällig!

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  21. War mit Kanonen auf Spatzen geschossen, weil die Schweinegrippe im konkreten Fall nicht die verheerende Auswirkung hatte oder weil es vollkommen unrealistisch war, dass es diese Auswirkung erreichen kann?

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