Sunday, August 26, 2012

Klima, Wandel & Sonntag



Die Schriftstellerin und Theaterautorin Sybille Berg ist auch Kolumnistin auf spiegel-online und denkt heute über den Klimawandel nach:
 Dieses unbestimmte Unbehagen, wenn wir von der Dürre in Amerika hören, von den Polarkuppen, die schmelzen. Dieses unbestimmte Grauen, wenn auch in unserer Nachbarschaft die Flüsse neuerdings über die Ufer treten, Hurrikane durch Deutschland fegen, im Süden Europas die Wälder kaum mehr zu brennen aufhören. 

Sollte man da nichts gegen machen? Oder sich doch eher um naheliegendere Sachen kümmern, den nervenden Chef, Stuttgart 21 oder den Kampf gegen Windräder? Und außerdem:
Oder vielleicht ist ja alles auch nur übertrieben? Vielleicht gibt es die Ökolobby, die uns alle belügt? Ich habe keine Meinung, und ich sortiere Müll, ich fahre mit der Bahn, ich weiß es doch nicht besser, so viel ich auch lese. Ich weiß nichts, und das macht, dass ich stillhalte, ruhig bin, mich über irgendetwas aufrege, das ich verstehe.

 Und sie liest Artikel, die gerade die Runde machen, und macht sich wieder Gedanken:
Nach dem Lesen denkt man: Und jetzt? Jetzt also alles wieder auf Katastrophe? (...) Wir haben unser Gewissen beruhigt mit verschiedenfarbigen Mülltonnen. Und die Zahlen in dem Artikel von Bill McKibben lassen sich vermutlich sofort widerlegen. Wissenschaftler sind ja auch nur Menschen. (...) Zahlen, die wir alle nicht begreifen. Was wir verstehen, ist das Unbehagen und den Regen zu seltsamen Jahreszeiten. Die Überschwemmungen, der Hagel, die Stürme, die in jedem Jahr stärker werden. Und Klimaexperten, die lächelnd sagen: Alles ist im normalen Mittel.

Ob Sybille Berg darauf wartet, angesprochen und belehrt zu werden, wie es wirklich läuft? Oder handelt es sich hier um eine andere Art von Ratlosigkeit, auf die es keine einfachen Antworten gibt? Wir wissen es nicht.
Was sollen wir denn noch machen? Was bekämpfen? Wogegen demonstrieren? Die Sonne scheint. Es ist warm. Wir haben ja noch Zeit. Alles in Ordnung.
(Abgang Berg auf den Balkon)

(Collage von Ror Wolf)





12 comments:

OBothe said...

Laden Sie doch Frau Berg zu einer Diskussion Berg/Krauss/von Storch (oder vielleicht lieber Marotzke oder ...) an den Klimacampus ein.

Anonymous said...

"Ich weiß nichts, und das macht, dass ich stillhalte, ruhig bin, mich über irgendetwas aufrege, das ich verstehe."

Vielleicht sollte Pielke jr. seine Kritik am Defizitmodell noch einmal überdenken.

Andreas

Werner Krauss said...

@Andreas

Pielkes Idee am Defizitmodell? Könnten Sie das bitte kurz mal erklären?

Anonymous said...

Hallo Werner,

das Defizitmodell besagt, dass wenn die Menschen erst einmal die wiss. Fakten etc. zum Komplex Klimawandel wissen, sie hinreichend belehrt sind, dann folgen politische Maßnahmen dagegen von alleine.
Pielke meint, die meisten Klimaforscher denken so, und das ist dumm.


Natürlich gibt es unzählige weitere Hemmnisse, Sibylle Berg nennt auch Beispiele dafür:

Wissenschaftler sind ja auch nur Menschen. Und bei den aufgelisteten Feinden der Welt, den Feinden, für deren Wachstum die Vernichtung der Welt nicht nur in Kauf genommen wird, sondern Bedingung ist, den Ölfirmen, arbeiten die besten von ihnen.

und

Wir müssen Experten werden, ob wir wollen oder nicht, wir müssen unsere Welt retten, denn Exxon-Chef Rex Tillerson wird es nicht tun. Die Regierungen, die weltweit über unser Leben bestimmen und die von der Wirtschaft kaum zu trennen sind, werden es nicht tun.

Witziger Text jedenfalls von Sibylle Berg. Was ist noch Parodie und was meint sie ernst? Ich hab's so verstanden, dass sie die Denkweise eines Menschen karikiert, der sein Gewissen damit beruhigt, dass alle Erkenntnis umstritten sei und man ja außerdem schon seinen Müll trennt. Sie auch?

Andreas


Anonymous said...

Nachtrag zum Defizitmodell:

http://rogerpielkejr.blogspot.de/2010/11/nisbet-on-deficit-model-vs-engagement.html

Werner Krauss said...

Andreas,

ich verstehe den Text eher so, dass Sybille Berg mit einer leichten Antäuschung die versammelte Klimaexpertise von besorgten Warnern über Skeptiker bis hin zu freundlichen Klimaexperten mal eben ins Leere laufen lässt. Samt dem pausenlosen Geplapper über ölfinanzierte Wissenschaftler, Ökolobbys und freundliche Klimaexperten, die doch nur der Gesellschaft dienen. Ich stelle mir diese Experten (also auch uns) als befrackte Herren vor, die sich lautstark um den richtigen Rat für die Dame streiten und sich die Argumente um die Ohren hauen, während diese längst den Raum verlassen hat und auf dem Balkon steht (womöglich ziehen gegen Abend bedrohliche Gewitterwolken auf)...Daher meine Assoziation zu Ror Wolf, dessen Collagen mir sogleich dazu einfielen. Bei Ror Wolf werden Sie noch mehr von dem komisch-heroischen Kampf der Herren Experten sehen, wie sie mit beeindruckendem Instremuntarium den oft beunruhigenden Erscheinungen zu Leibe rücken und sie zu bannen versuchen - Sonnenfinsternisse, fliegende Züge, Riesenlibellen, Damen!

Kein Wunder eigentlich, dass wahrscheinlich niemand der Frau Berg eine sie zufriedenstellende Antwort wird geben können. Erstaunlich, was so ein kleiner literarischer Einfall doch vermag!

Günter Heß said...

Yep, Carpe Diem auf dem Balkon.
Sie hat sich die Antwort selbst gegebenen und das ist es auch. Niemand kann einem die Antwort abnehmen.

Zustimmung Herr Krauss.

hvw said...

Werner,

halten Sie es denn nicht für möglich, daß Frau Berg auf dem Balkon einem fähigen Journalisten, der einen gelehrten Klimawissenschaftler interviewt, begegnet, zuhört, und nach einigen "Aha!", "Schade!", "Ach so!", tatsächlich anfängt, eine Meinung zu entwickeln? Auch wenn die zum grossen Teil auf der Kenntnis dessen, was die Experten auch nicht wissen, basiert?

Ich mag Frau Berg's Kolumne, und hier stellt sie gekonnt die Verwirrung derjenigen dar, deren Wissen, Urteil und Geisteszustand von eifrig plappernden, um Kurzfristaufmerksamkeit buhlenden Medienhappen bestimmt wird. Wie z.B. mein Geisteszustand, wenn ich ans Thema "Eurokrise" denke; das Gleiche in blau.

Werner Krauss said...

hvw,

klar halte ich das für möglich. Interessanter finde ich allerdings die Überlegung, ob es denn immer eine Meinung sein muss in Verbindung mit Wissen verstanden als Information. Kann es denn nicht sein, dass eine veränderte Beziehung oder ein verändertes Verhältnis oder so was hier gefragt ist? Nicht als Gegenteil von Wissen als Information, sondern als dessen Erweiterung. Die Hybris mancher Klimaerklärung besteht ja darin, dass sie auf der Ansicht basiert, man könne sein Welt- bzw. Klimaverhältnis rein aus einer rationalen Überlegung ableiten. Geht ja gar nicht, oder?

Anonymous said...

Ein schöner Text passend zum Thema, ich zitiere als Appetizer eine Aussage von Daniel Kahnemann:

‘The way scientists try to convince people is hopeless,’ he states with a broad grin, ‘because they present evidence, figures, tables, arguments, and so on. But that’s not how to convince people. People aren’t convinced by arguments. They don’t believe conclusions because they believe in the arguments that they read in favour of them. They’re convinced because they read or hear the conclusions coming from people they trust. You trust someone and you believe what they say. That’s how ideas are communicated. The arguments come later.’

Ergänzen sollte man noch, dass eigene vorgefertige Meinungen, politische und moralische Überzeugungen das eigene Urteil prägen. Und noch schwieriger, wenn Joe Public in den USA mit einer Medien- und Politikwelt konfrontiert wird, die täglich auch den größten Unsinn als Klimaforschung verkauft und Joe Public sich mühelos die Versatzstücke herauspicken kann, die ihm genehm sind.


Aber müssen wir überhaupt Frau Berg (stellvertretend für den deutschen Joe Public) überzeugen? In der Eurokrise beschließt die Politik am laufenden Band neue Gesetze, wo nicht nur Frau Berg nicht mehr durchblickt und nur noch staunt. Warum nicht beim Klima?

Ich denke, man konnte auch in der Eurokrise beobachten, dass Politik (insbesondere die deutsche) immer dann handelte, wenn es gar nicht mehr anders ging bzw. wenn ohne eine Entscheidung Griechenland zusammengebrochen wäre. Klimawandel dagegen vollzieht sich langsam und schleichend, das kann man besser auf die lange Bank schieben.

Und zum Schluss:
Ich denke, die Wetterkapriolen in den USA der letzten beiden Jahre haben mehr Überzeugungskraft bei Joe Public geleistet als 10 Jahre wissenschaftliche Forschung. Und dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob diese Extremereignisse anthropogen verursacht sind oder nicht.

Andreas

Anonymous said...

Nachtrag:

Der Link zum Artikel über D. Kahnemann fehlte, hier ist er:

http://www.spectator.co.uk/issues/28-july-2012/mad-money

Lesenswert!

Werner Krauss said...

Andreas,

sehr schöne Überlegungen, aber auch: das Gift des Missionarischen steckt da immer noch drin ("das kann man auf die lange Bank schieben" etc). Es geht aber nicht ums missionieren. Selbst der Dalai Lama hats aufgegeben, das sollte zu denken geben!