Resolution von Professorinnen und Professoren der Lehrstühle für Wasserbau und Ingenieurhydrologie an deutschen Universitäten vom 15.06.2013
Das Hochwasser im Juni 2013 hat immense Schäden verursacht. Wie 2002 und 2005 wurden wiederum weite Teile Deutschlands überflutet. Die Frage nach den Ursachen trifft den Kern unseres Verständnisses des Zusammenwirkens von Natur und Menschen. Wir sind der Auffassung:
Hochwasser entstehen im Ergebnis extremer Witterungsbedingungen. Das Hochwasser 2013 resultierte aus extremen Regenmengen (200 mm Niederschlagshöhe innerhalb von drei Tagen), die auf extrem feuchte Flächen (höchste Bodenfeuchte Ende Mai 2013 seit 50 Jahren) trafen.
Seit Jahrhunderten siedelt der Mensch an den großen Flüssen. Wenn wir Teile unserer Flussauen auch zukünftig als Siedlungsgebiete nutzen wollen, können wir auf technischen Hochwasserschutz nicht verzichten. Jedes Hochwasser ist ein Unikat und zeigt unsere naturgezogenen Grenzen in der Beeinflussung dieser Ereignisse auf. Der Mensch kann den Ablauf dieser Extremhochwasser durch technische Maßnahmen nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen und muss sich deshalb vor den Folgen der Hochwasser schützen. In vielen Bereichen Deutschlands haben die Deiche und Hochwasserrückhaltesysteme, insbesondere die nach dem Ereignis 2002 ertüchtigten oder neugebauten Anlagen, ihre Schutzfunktionen erfüllt.
Ein vollständiger Hochwasserschutz ist ökonomisch nicht sinnvoll und oftmals auch technisch nicht möglich. Jede Erhöhung des Hochwasserschutzgrades erfordert den gesellschaftlichen Konsens. Der Vergleich Grimma- Eilenburg zeigt, dass Hochwasserschutz die Bereitschaft zur eigenen Risikowahrnehmung und zur Mitwirkung voraussetzt. Hierzu ist auch die Eigenverantwortung der betroffenen Bürger gefordert, die die staatliche Hochwasservorsorge ergänzen muss. Die Gesellschaft muss sich entscheiden: Wie viel Sicherheit ist sicher genug? Welches Risiko wollen wir auch zukünftig eingehen? Technischer Hochwasserschutz muss stets mit Hochwasservorsorge einhergehen (Was passiert, wenn…?). Ein Versagen von Schutzsystemen ist nie gänzlich auszuschließen. Es existiert immer ein Restrisiko, dessen Minimierung auch durch die Wirksamkeit der Katastrophenabwehr bedingt wird. Wir haben Möglichkeiten, um die Folgen des Versagens technischer Systeme abzuschätzen. Es ist erforderlich, vorab zu klären was keinesfalls passieren darf (z.B. der Verlust von Menschleben oder das Versagen kritischer Infrastrukturen) und den vorbeugenden Hochwasserschutz auf Gefährdungsschwerpunkte zu konzentrieren. Ein derartiges Hochwasserrisikomanagement erfordert die Einheit von Hochwasservorsorge, technischem Hochwasserschutz und Katastrophenabwehr.
Jeder vermiedene Deichbruch erhöht das Hochwasserrisiko der Unterlieger. Deshalb werden große steuerbare Flutpolder und Hochwasserrückhaltebecken verbesserte, standsichere Deiche ergänzen müssen. Die Ertüchtigung und der Neubau der Deiche in den jetzt betroffenen Gebieten erfordern deshalb länderübergreifende Hochwasserschutzkonzepte.
Die alleinige Forderung nach „mehr Raum für die Flüsse“ wird der Komplexität der Problemlage nicht gerecht, lenkt von derzeit machbaren Lösungsansätzen ab und kann die Hochwassergefahren in den vor uns liegenden Jahrzehnten nicht wirksam mindern. Der Rückbau von Deichen ist wie die Umsiedelung der Bewohner der Überflutungsflächen für uns eine mögliche Handlungsoption, die allerdings nur dann greifen wird, wenn hierzu der politische Wille und die gesellschaftliche Akzeptanz vorhanden sind. Die vielfältigen Ausnahmeregelungen zur Ausweisung neuer Baugebiete in Überschwemmungsgebieten des Wasserhaushaltsgesetzes lassen daran zweifeln.
Wir sind in Deutschland in der Lage, den Hochwasserschutz zu verbessern. Dies erfordert Sachverstand, den wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einbringen können und wollen. Viele neue Entwicklungen könnten bereits umgesetzt werden (z.B. neue Systeme zur Deichüberwachung und -sicherung, neue großräumige Planungsinstrumentarien zur Entwicklung flussgebietsbezogener, länderübergreifender Hochwasserschutzkonzepte, welche die föderale Zersplitterung im Hochwasserschutz in Deutschland überwinden, neue bautechnische Ansätze für den Objektschutz und hochwassersichere Bauten). Dies erfordert jedoch das Bewusstsein, dass Hochwasserschutz keine von Zeit zu Zeit wiederkehrende Aufgabe ist, sondern in weiten Bereichen unseres Landes zur Daseinsvorsorge zählt.
Eine Verbesserung des Hochwasserschutzes erfordert den gesellschaftlichen Dialog im Umgang mit Risiken, Offenheit im Denken, Realitätsbewusstsein und den Willen sowie die Kraft zur Veränderung. Wir bieten bei der Umsetzung unsere Mitarbeit an.
Diese Resolution wurde von folgenden Personen verfasst:
Prof. Peter Fröhle, Technische Universität Hamburg-Harburg
Prof. Kai-Uwe Graw, Technische Universität Dresden
Prof. Uwe Grünewald, Brandenburgische Technische Universität Cottbus
Prof. Uwe Haberlandt, Leibniz Universität Hannover
Prof. Reinhard Hinkelmann, Technische Universität Berlin
Prof. Jürgen Jensen, Universität Siegen
Prof. Günter Meon, Technische Universität Braunschweig
Prof. Heribert Nacken, Rheinisch- Westfälische Technische Hochschule Aachen
Prof. André Niemann, Universität Duisburg-Essen
Prof. Peter Rutschmann, Technische Universität München
Prof. Torsten Schlurmann, Leibniz Universität Hannover
Prof. Andreas Schumann (Initiator), Ruhr- Universität Bochum
Prof. Holger Schüttrumpf, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Prof. Jürgen Stamm, Technische Universität Dresden
Prof. Stephan Theobald, Universität Kassel
Prof. Silke Wieprecht, Universität Stuttgart
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