Sunday, October 19, 2014
"Wissenschaft trifft Kunst ": Ein Bericht aus der HfbK
by
Werner Krauss
Einige Eindrücke von
der Begehung der Ausstellung und vom Symposium am 16. Oktober in der Hochschule
für bildende Künste:
Am Nachmittag fand vor vollbesetztem Hörsaal das
Symposium statt. Die Soziologin Simone Rödder von Clisap stellte noch einmal
das Projekt vor. Sie verwies auf Parallelen im Arbeitsprozess und bei der
Entwicklung von Ideen und wies auf die Notwendigkeit von Deadlines hin, ohne
die nie zumindest vorläufige Produkte herauskommen würden – weder bei den einen
noch bei den anderen. Friedrich von Borries, Professor an der HfbK, definierte
die Anlässe, Voraussetzungen und Bedingungen einer Kooperation zwischen Kunst
und Wissenschaft, die sowohl instrumenteller, hochschulpolitischer als auch erkenntnistheoretischer
Natur sind. Hans von Storch (dessen Vortrag hier online steht) konzentrierte
sich auf den Aspekt der Nützlichkeit von Kunst für die Wissenschaft und machte
klar, dass ihn eine simple Übernahme und Illustrierung wissenschaftlicher Modelle
nicht interessiere; vielmehr erwarte er sich genuin andere Entwürfe von
Klimawandel. Diese anderen Realitäten könnten dann den Wissenschaftlern als
Spiegel dienen, um den eigenen Dogmatismus zu erkennen und „auszuhebeln“. Frauke
Feser, Wissenschaftlerin am Helmholtz Zentrum, berichtete von Momenten des Kontaktes
zwischen ihr und den Künstlern: sie entdeckte dadurch die ihr vertraute
Arbeitsumwelt plötzlich neu. Zudem stellte sie so manche Parallelen zwischen
wissenschaftlichen Postdocs und Kunststudenten fest, nicht zuletzt im Hinblick
auf die jeweilige unsichere berufliche Zukunft.
Morgens fand eine gemeinsame Begehung der Ausstellung statt:
die KünstlerInnen zeigten ihre Werke „ihren“ WissenschaftlerInnen, bei und mit
denen sie gearbeitet hatten. Laura Reichwald und Katja Lell führten jeweils
Filme vor, in denen Parallelen zwischen der Erforschung der geologischen
Schicht (Vulkan Ätna bzw. Labor der Bodenkunde) und der des menschlichen Körpers
gezogen wurden. Jessica Leinen verwandelte Rechenfehler, die in der
theoretischen Meteorologie vorkommen, zurück in – ebenfalls fehlerhafte –
„real“ gezeichnete Meereswellen. Philip Prinz und Hagen Schümann „erfanden“
eigene wissenschaftliche Verfahren um daraus weiße Flecken auf verbranntem
Backpapier (Prinz) bzw. gescannte und gedruckte Flächen aus hunderten von zerknüllten
und lackierten Papieren (Schümann) herzustellen. Reto Buser ließ vor einer Fensterscheibe
auf einer speziell präparierten Fläche in einer Simulation Tautropfen
entstehen, und Alice Peragine lieferte in Ausschnitten eine VJ-Performance, eine
live kreierte Sound- und Videoscape des Klimarechenzentrums und der
Datengewinnung. Die WissenschaftlerInnen bekamen so in den Räumen der HfbK ihre
eigene Welt aus völlig unerwarteten Blickwinkeln vielfach gebrochen
zurückgespiegelt. Es entwickelten sich Dialoge geprägt von großer Neugier und
gegenseitiger Achtung, über Disziplin- und andere Grenzen hinweg.
Der Kulturwissenschaftler Sacha Kagan von der Universität
Lüneburg hingegen zeigte sich verwundert über den eher unpolitischen Ansatz in
den bisherigen Vorträgen und auch in den gezeigten Kunstwerken. In seinem theoriefesten
Grundsatzreferat erweiterte er den Rahmen beträchtlich und entwickelte eine
über bloße Kommunikation hinausgehende aktivistische Perspektive. Er nannte das
besetzte Gängeviertel in Hamburg als einen derjenigen „spaces of
possibilities“, die mit Hilfe von Kunst geschaffen werden können und weit über
das bloße Befrieden von Bedürfnissen oder eng gesetzten technokratischer Zielen
wie Resilienz hinausgehen. Die Frage laute vielmehr: „how much do you want to
go further?“ Es geht um Freisetzung von Kräften, um Selbstorganisation und
Diversität.
Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Vera Tollmann aus Berlin
stellte Beispiele aus Ausstellungen und Projekten vor, wobei der Begriff des
Anthropozän im Mittelpunkt stand. Den größten Kontrast bildeten dabei z. B.
eine Installation, die einen Rollkoffer mit Wasserflasche in einem Flughafen
ähnlichen Raum zeigte, und eine mongolische Steppenlandschaft, wo eine Herde
von Ziegen die von einem Künstler aufgestellten Plakatwände mit Darstellungen
von Urtieren beschnupperte. Letzteres Beispiel stammte aus einer Kunstaktion von 10 (?) KünstlerInnen in der Mongolei, die sie kuratiert hatte. Manche liefen kilometerweit rückwärts durch die Steppe, andere übernachteten auf Felsvorsprüngen und hüllten sich in Filzkokons wie Insekten. So wurden verschiedene ontologische Entwürfe
oder „anthropo-scenes“ experimentell in Szene gesetzt, in der Tradition der landscape art: unterschiedliche Daseinsformen und Wahrnehmungen der Welt
gerieten so in den Blickpunkt.
Zum Abschluss sprach der science fiction Autor Dirk C. Fleck
– ein Vortrag, der selbst zur performance geriet. Er erklärte, wie er zu seinem
Thema „Ökothriller“ (Das Tahiti Projekt, Das Südsee Virus, 3. Band ist in
Arbeit) gekommen ist und zitierte Hans Joachim Schellnhuber mit den Worten,
dass wir bald aus einer Phase der Verharmlosung in die des Entsetzens übergehen
werden. In bester alarmistischer Manier zeichnete er ein von einem dekadenten
Europa und Amerika ruinierten Zustand der Welt und hielt dem das Urwissen der
Schamanen, der Urvölker und der Natur entgegen. Sein von Verschwörungstheorien
getränktes Katastrophenszenario gipfelte in der Aussage, dass der komplette
Umbau der Konsumgesellschaft die größte Aufgabe sei, vor der die Menschheit je
gestanden habe.
Naturgemäß brachte diese Provokation die dem Thema
Klimawandel innewohnende Spannung auf den Siedepunkt und löste eine lebhafte
und kontroverse Diskussion aus. Durch die schrille Performance eines
Medienprofis fanden sich plötzlich alle wieder im Jahrmarkt der Eitelkeiten,
der Ängste, der Karrieren, der Wahrheiten, der Zukünfte und der Disziplinen. Kein
schlechter Effekt, und die Diskussionen setzten sich in der Halle vor dem
Hörsaal fort. Zur Abkühlung gabs tropische Getränke, vegetarische Speisen und
eine finissage von Alice Peragine.
Das Symposium umspannte somit einen weiten Bogen von der
Frage der gegenseitigen Nützlichkeit und Befruchtung über den Entwurf unterschiedlicher
Daseinsformen hin zu künstlerisch inspirierten Formen des Aktivismus. Stand
anfangs die Rezeption der Kunst durch die Wissenschaft noch im Vordergrund, so
blickte im Laufe des Tages die Kunst immer wieder verwundert zurück und
behauptete sich als eine Kraft, die sich nicht ohne weiteres in Dienst nehmen
lässt – weder als Kritikerin noch als Therapeutin. Vielmehr erweiterten und
befragten die KünstlerInnen und Vortragenden den Imaginationsraum Klimawandel,
der von den exakten Wissenschaften präzisiert wird, den auszugestalten sie aber
bei weitem überfordert sind. Es waren die beinah intimen Momente bei der
gemeinsamen Begehung der Ausstellung und die lauten Momente in den Diskussionen
beim Symposium, in denen das Projekt Kunst trifft Wissenschaft seine ganze
Schönheit entfaltete: in der gegenseitigen Fremdheit, der wiederum mit Neugier
begegnet wurde. Momentweise standen hier nicht Wissenschaft gegen Kunst oder
die Frage nach der Wahrheit oder dem Rechthaben im Vordergrund, sondern etwas
Anderes, Neues, dem oft noch die Sprache fehlt. Sacha Kagan hatte auf die
Rolle der Kritik hingewiesen, die es in diesem Bereich der Öko-Art oder
Klima-Art bisher einfach noch nicht gibt und wo dieses Projekt vielleicht eine
Pionierstellung einnehmen kann.
Es ist erstaunlich, wie souverän die StipendiatInnen diesem
ganzen Druck und der Anspannung, die einem solchen Projekt und vor allem auch
der Thematik innewohnen, umgegangen sind. Der Dialog zwischen Kunst und
Wissenschaft zeigte, dass Klimawandel von Kommunikation und Relation handelt –
und damit auch von uns, egal, ob Wissenschaft, Kunst, Aktivismus, Bürgersinn
oder was auch immer uns antreiben. Ein interessantes Projekt, in dem noch viel
Potential steckt und das hoffentlich noch lange nachwirken wird.
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