Durch eine Nachricht in der Süddeutschen Zeitung vom 30.10.2014 wurde ich auf den Aufsatz von M. Jacob, J. Steckel, S. Klasen, J. Lay, O. Edenhofer, N. Grunewald, S. Renner und I. Martinez-Zarzoso zu „Feasible Mitigation Options in Developing Countries“ in der Zeitschrift „Nature Climate Change“ aufmerksam gemacht. Ich selbst bin Soziologe mit dem wissenschaftlichen Schwerpunkt auf der Erforschung des Verhältnisses von Hochschule und Gesellschaft. Mein Spezialgebiet in Forschung und Lehre ist also die sozialwissenschaftliche Hochschulforschung. Die sozialwissenschaftliche Klimaforschung verfolgte ich früher intensiver, seit einigen Jahren allenfalls am Rande. Mein Beitrag stellt deshalb eine Außenperspektive dar.
In dem Beitrag wird gut und nachvollziehbar argumentiert, warum die Autoren im Hinblick auf „overly optimistic expectations regarding the opportunities to drastically re-orient development paths towards low-carbon growth“ skeptisch sind und stattdessen auf „‘feasible mitigation actions‘ that seek to maximize mitigation as a positive co-benefit of policies with different objectives“ setzen, wie bereits zu Beginn angekündigt. Am Ende wiederholt sich dieses Credo. „(S)pontaneous leap-frogging to less energy-intensive development paths seems highly unlikely”. Aufgrund der Unwahrscheinlichkeit des „leap-frogging“ in Entwicklungsländern sollte „ a piecemeal approach that relies on ‚low hanging fruits‘“ verfolgt werden, der zwar suboptimal ist, aber ambitionierte Optionen offenhält.
Nur: Was ist daran neu, worin besteht der Erkenntnisgewinn? Ohne polemisch sein zu wollen, aber mir ist etwas schleierhaft, worin der Erkenntnisgewinn besteht gegenüber den mittlerweile klassischen Arbeiten von Herbert A. Simon zur begrenzten Entscheidungsrationalität und dem „satisfycing“, nicht „optimizing“ als daraus folgendem Entscheidungskriterium, für die er Jahre später mit dem Ökonomie-Nobelpreis geehrt wurde, und den ebenso klassischen Arbeiten von Charles E. Lindblom zur inkrementellen Planung („piecemeal approach“), die im Übrigen seit Jahrzehnten gerade mit Bezug auf Entwicklungsländer eine wichtige Rolle spielen. Beide Autoren werden in dem beeindruckenden Literaturverzeichnis nicht zitiert, ebenso wenig Stephen H. Schneiders Buch „Global Warning. Are We Entering the Greenhouse Century?“ von 1989, in dem eine ‚tie in‘-Strategie in Bezug auf die Klimapolitik vertreten wird, die darin besteht, Klimaschutz über andere Ziele zu erreichen, so dass die Verlangsamung des Klimawandel eher als Nebeneffekt zu erreichen ist - auch diese Überlegung ist wieder ganz auf der Linie der Autoren des Beitrags.
In meinem Forschungsgebiet erlebe ich es leider häufig, dass individuelles Lernen mit wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt in eins gesetzt wird. Dabei ist es mir nicht immer klar, ob dies daran liegt, dass man allgemeine und grundlegende sozialwissenschaftliche Erkenntnisse nicht kennt, oder dass man diese Erkenntnisse bewusst nicht zur Kenntnis nimmt, um solchermaßen Erkenntnisgewinn für sich zu postulieren. Es kann aber auch sein, und das halte ich als Außenstehender in dem vorliegenden Fall für sehr gut möglich, dass sich ein Forschungsgebiet in interne Diskussionen verstrickt und man kaum haltbare Annahmen aufstellt, wie das selbstkritisch eingeräumte übermäßig optimistische „leap-frogging“, die man dann mit Mühen revidieren muss. Ein Blick in die allgemeine sozialwissenschaftlichen Entscheidungs- und Planungstheorie hätte das Aufstellen derartig unrealistischer Annahmen frühzeitig verhindern können, ebenso wie deren spätere Revision. In dem vorliegenden Fall frage ich mich, ob ein engeres Verhältnis von sozialwissenschaftlichen Entscheidungs- und Planungstheorie und sozialwissenschaftlicher Klimaforschung einen solchen intellektuellen ‚lock-in‘-Effekt frühzeitig hätte verhindern können.
6 comments:
Die Hauptkritik des Autors besteht aus folgendem Satz:
"Was ist daran neu, worin besteht der Erkenntnisgewinn?"
Es geht in dem kritisierten Artikel aber nicht primär um "begrenzte Entscheidungsrationalität", "satisfycing" versus "optimizing", "inkrementelle Planung ("piecemeal approach")" als solche, sondern um konkrete "feasible actions" (nicht "options", BTW). Insofern geht die Kritik an der Zielsetzung des Artikels vorbei, finde ich.
Ein guter Check ist übrigens immer, ob man selber das hätte schreiben können, was man bei anderen als redundant und 'alles schon mal dagewesen' kritisiert.
Ich denke Georg Krücken weist auf einen wichtigen Umstand hin. Klimapolitik wurde über lange Zeit von voluntaristischen Ansätzen dominiert. Die 'wissenschaftlich notwendige' Reduktion an Emissionen wurde postuliert ohne sich zu überlegen wie diese Ziele realistischerweise umgesetzt werden können. Sozialwissenschaftler die es eigentlich besser wissen sollten haben da mitgemacht (wir hatten einige Debatten hier auf der Zwiebel, die letzte über Latour). Es ist deshalb ausserordentlich zu begrüßen wenn ein Sozialwissenschaftler mit etwas Distanz zur Materie auf die grundlegende Literatur hinweist.
PS
Es ehrt das PIK wenn es ebenfalls zu diesen Einsichten gelangt -- better late than never.
Ich stimme Reiner Grundmann zu - die Begründung für die notwendige Politik - Minderung der Emissionen mit maximaler möglicher Intensität - ist zunächst Ausdruck von Überlegungen eienr im wesentlich physikalisch denkenden Community. Die Frage ist schon - wo waren und sind Sozial- und Kulturwissenschaftler, die diesen Prozeß der Politikberatung kritisch begleiten, wo die Soziialwissenschaftler, die sich ansehen, inwiefern die "neuen" Zugänge gerecyclte Ansätze der Vergangenheit sind? Dafür danke ich dem Kollegen Krücken.
„‘feasible mitigation actions‘ that seek to maximize mitigation as a positive co-benefit of policies with different objectives“
Ist das nicht die wesentliche Argumentationslinie des Hartwell-Papiers?
Wenn ein Edenhofer auf diese Linie einschwenkt, scheint mir das ein bedeutender Paradigmenwechsel zu sein. Wenn Herr Krücken fragt, wo da die Neuigkeit stecke, dann frage ich zurück, ob er denn die Klimadebatte so wenig verfolgt hat?
Und wenn das alles für Fachleute auf diesem Gebiet logisch ist und auf der Hand liegt, dann frage ich mich, warum diese Fachleute sich nicht früher entsprechend zu Wort gemeldet haben?
Unter diesem Blickwinkel die gegenwärtige Klimapolitik zu analysieren, wäre jedenfalls eine erkenntnisbringende Aufgabe.
Ich schlage ein Realexperiment vor: Einen organisationssoziologischen Artikel (recycled Krücken 1996) bei nature climate change einzureichen und testen, wie weit er kommt.
Das realexistierende IPCC beziehungsweise dessen Leitung ist gar nicht soweit weg von solchen Überlegungen - bereits 2011 haben sich Gary Yohe and Michael Oppenheimer auf das Thema Unsicherheiten und "Nicht-wissen" eingelassen und das IPCC Meinungsmonopol unter anderem von Tol sehr kritisch betrachten lassen. Vgl mein Beitrag bei http://www.kaltesonne.de/klimastan/ Man sieht doch anhand der Energiewende, wie wenig tauglich und ausgereift die derzeitigen Lösungsansätze sind. Da ist viel Platz für sozialwissenschaftler mit technischem Verständnis - wie auch Geowissenschaftlern, dies sich auf sozialwissenschaftliches einlassen.
Glück auf
Serten
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