Es sind die Ähnlichkeiten zu meinen eigenen Studien zur Produktion von Wissen in der Küsten- und Klimaforschung und zur Klimafalle, die mich hier veranlassen, ein paar Punkte aus dieser Reportage über die "Tagesthemen" herauszugreifen, über die es sich lohnt, nachzudenken.
Carolin Emcke zitiert aus dem Auftrag des Fernsehens, dass dieses "Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung" zu sein habe. Aus der unendlichen Vielfalt der Informationen gilt es, die für die repräsentative Demokratie relevanten Nachrichten herauszufiltern und objektiv zu präsentieren. Um herauszufinden, wie die Tagesthemen diesen Auftrag erfüllen, setzt sich die Journalistin nicht einfach vor den Fernseher oder analysiert Nachrichtentexte, sondern sie recherchiert vor Ort:
Gewiss, die Sendungen ließen sich auch, vermutlich sogar leichter, aus der Distanz betrachten und, noch leichter, kritisieren. Dazu brauchte es nicht mehr als eine virtuelle Wanderung durch die Archive der Mediatheken von ARD und ZDF. Aber Nachrichten werden gemacht. Sie werden nicht nur gesendet, sie werden auch gefertigt.
Ähnlich wie die Tagesthemen ist Wissenschaft ein Ritual, und sie denkt und arbeitet in Projekten; wenn auch im Zeitlupentempo verglichen mit einer Nachrichtensendung, muss auch die Wissenschaft vorausplanen und systematisch vorgehen, und beide erleben dabei Überraschungen:
Es beginnt mit der Planungssitzung und einem Klassiker: Die Wirklichkeit verhält sich anders als geplant. (...) Wenn die Tagesthemen ein Ritual sind, dann sind Listen das liebste Ritual innerhalb des Rituals. Wie die Gans an Weihnachten oder der Karpfen blau, das traditionelle Familiengericht, das immer scheitert, weil es nie der Erinnerung an das Rezept entspricht, so enttäuscht die Wirklichkeit, weil sie nie der Fantasie der Planung entspricht.
Es ist ein kleines Team, das die Nachrichten auswählt und so formuliert, wie wir sie dann zu sehen und zu hören bekommen:
Das Team, das entscheidet, was für unsere demokratische Gesellschaft relevant sein soll, besteht aus einer Mischung aus Jung und Alt, es sind Männer und Frauen zwischen 34 und 62 Jahren, Geisteswissenschaftler und Volkswirte, den exotischsten Migrationshintergrund (wenn man Ostfriesland nicht wertet) hat ein ostdeutscher Kollege. Ihre professionelle und analytische Kompetenz, aber auch ihre ästhetischen, kulturellen und politischen Reflexe gestalten ihre (und unsere) Wahrnehmung der Welt.
Und an wen richten sich die Nachrichten? Zu wem sprechen die Nachrichtensprecherin oder der Klimaforscher eigentlich? Eine komplizierte Frage, und es gibt verschiedene Theorien darüber wie die, dass man zum Beispiel die Leute da abholen muss, wo sie gerade stehen. Doch in der Realität endet früher oder später hier wie dort alles beim gleichen Lied:
Wer christlich, heterosexuell und bürgerlich ist, neigt dazu (nicht nur im Journalismus, aber auch dort), sich selbst für neutral und den eigenen Blick für verallgemeinerbar zu halten. Das ist keineswegs Bosheit, sondern mangelnde Vertrautheit mit den Weisen des Sehens und Fühlens anderer. Das ist der Grund, warum der fiktive Zuschauer meist verdächtig ähnlich aussieht und denkt wie die realen Journalisten in den Redaktionen...
Der Journalistin, die die Journalisten bei der Arbeit beobachtet, ergeht es letztlich nicht anders als dem Ethnologen, der die Kollegen Küsten- oder Klimaforscher beobachtet: Sie wird schneller Teil des Feldes als sie denkt:
In der Planungssitzung am Morgen, in der es um die Wahlen in Pakistan geht, rutscht mir ein "Warum machen wir denn nicht...?" heraus. Kurzes Stocken, dann brechen alle am Tisch in Gelächter aus über die Entzauberung meiner Simulation einer objektiv-distanzierten Beobachterperspektive.
Doch sie bleibt hier nicht stehen, sondern vollzieht genau an diesem Punkt eine Wendung, die wir auch in der "Klimafalle" vollzogen haben:
Was war das auch für ein unmögliches Konstrukt: als Journalistin andere Journalisten zu beobachten, die sich denselben ethischen und ästhetischen Aufgaben stellen, sich vor denselben Fehlern fürchten wie man selbst und die schließlich von denselben Fragen bedrängt werden, die die gesamte journalistische Branche (und die Parteien) umtreiben: was die Digitalisierung der Gesellschaft für die Meinungsbildung in einer Demokratie bedeutet. Was die beschleunigte, partizipative Kommunikation im Netz für den klassischen Journalismus bedeutet.
Auch in der Klimafalle spielen wir nur in der Einleitung das Spiel vom Ethnologen als distanziertem Beobachter und den Klimaforschern als Indianern - in einer so metaphorischen Weise, das schnell klar ist, dass hier vielmehr eine gemeinsame Reflektion, ein Dialog stattfindet über den Klimawandel und das Verhältnis von Klimaforschung, Klimapolitik und Medien. Auch Carolin Emcke weicht von der herkömmlichen Reportage ab und geht über zu einer Reflektion über die Medien selbst - wobei sich die thematischen Grenzen zwischen den Feldern Nachrichtenproduktion und Wissensproduktion endgültig auflösen:
Längst sieht sich der Journalismus durch einen ähnlich tiefgreifenden Wandel gefordert wie die klassische Kartografie: Weil durch die technischen Veränderungen heutzutage jeder jederzeit sich per GPS orten kann und jeder Laie Geo-Daten lesen kann, ist das ehemals exklusive Wissen der Zunft der Kartografen plötzlich für jeden verfügbar und egalitär verteilt. Ja, mittlerweile stellt sich die Frage, ob es so etwas wie die klassische Landkarte überhaupt noch gibt. Ganz ähnlich hat die universale Vernetzung der Kommunikation einen weniger hierarchischen Zugang zu Wissen und vielfältigere Deutungen der Welt ermöglicht, als es viele Journalisten wahrhaben wollen. Ob es so etwas Abgegrenztes wie eine Nachrichtensendung oder eine klassische Meldung überhaupt noch gibt, ist auch fraglich.
Die Wissenschaft reagiert ähnlich wie die Nachrichten auf die Digitalisierung der Medien, nämlich zeitverzögert und letztlich distanziert. Tief innen drin ist der Glaube verankert, dass es sich hierbei um technische Neuerungen, um Objekte handelt, nicht aber um eine grundsätzliche Änderung auch der inhaltlichen Produktion - doch das kann sich leicht als Trugschluss erweisen:
Längst verhandeln und erörtern weltweit auf Twitter und Facebook Menschen ihre Sicht auf Ereignisse, die ihr Leben bestimmen, sie und ihre Freunde entscheiden selbst, was ihnen relevant erscheint, sie kommentieren und korrigieren die offiziellen Lesarten der Politik, erzählen ihre Versionen der Geschichte, stellen Bilder und Videos ins Netz und bilden eigene Öffentlichkeiten – so wie die bürgerlichen Salons im 18. Jahrhundert eigene Gegenöffentlichkeiten zur feudalen Gesellschaft ausbildeten.
In der Klimafalle haben wir am Beispiel von der Klimazwiebel, Jerry Ravetz und der postnormal science einmal nacherzählt, wie eng verzahnt in der Wissensproduktion in der Klimaforschung und ihrer medialen Vermittlung heutzutage die Blogosphäre, traditionelle Rituale wie Workshops und schließlich peer-reviewed Veröffentlichungen oft sind. Auch wenn die Nachrichtenproduktion natürlich andere Schwerpunkte und Zielsetzungen hat, lohnt es sich auch hier, Carolin Emcke weiter zu folgen:
Netzaffine, jüngere Journalisten wie die Redakteurin Marjan Parvand verkörpern den kommunikativen Imperativ der digitalisierten Gesellschaft und zeigen, warum Social Media integrierter Bestandteil aller Redaktionen sein sollte (....) "Anfangs hatten wir kein Vertrauen in die Quellen", sagt Parvand, "wir haben niemandem geglaubt." Doch nach und nach hätten sie ein Verfahren entwickelt zur Überprüfung der Authentizität des Materials. Inzwischen, berichtet die persischsprachige Parvand, gibt es ein weltweites Netz aus vertrauenswürdigen Netzaktivisten, mit denen sie kommuniziert via Skype und Facebook und denen sie neues Material schickt, das sie im Netz entdeckt, und dann sucht sie jemanden, der eine Straßenecke auf einem solchen Video identifizieren kann, jemanden, der einen lokalen Dialekt heraushören kann. So entsteht ein Netz an Zeugen, die sich wechselseitig korrigieren und verifizieren. Ob sich der Blick auf die Welt verändert? "Das, was ich im Netz an Bildern vom Krieg in Syrien gesehen habe", sagt Parvand, "übersteigt alles, was hier vorstellbar ist."
Ich will hier die Analogie nicht allzuweit strapazieren, lasse das einfach mal so stehen und empfehle allen, die weiterlesen wollen und sich für diesen medialen Aspekt interessieren, vielleicht das Kapitel "Ausweitung der Kampfzone: Die Blogosphäre" in der Klimafalle unter diesen Gesichtspunkten noch einmal zu lesen. Meiner Meinung nach war die Klimaforschung von Anfang an immer auch eine mediale Wissenschaft, und dieser Aspekt spielt eine bisher vielleicht immer noch zu wenig beleuchtete Rolle in unserem Verständnis des Klimaproblems.
26 comments:
Tagesthemen, überhaupt die Nachrichtensendungen, wie auch die Printmedien, verlieren an Glaubwürdigkeit. Das hat erst einmal nichts mit der Klimawandelfrage zu tun, sondern ist wohl eine Folge des veränderten Leserverhaltens und der erweiterten Möglichkeiten durch das Internet.
Dann etwas was am Rande mit dem Thema zu tun hat. Das Spiegelgespräch mit Hans von Storch wurde kaum aufgegriffen. Ich habe jetzt nicht gegoogelt welche Zeitung darüber berichtete, oder ob es eine Meldung in den TV-Nachrichten wert war. Dies scheint mir etwas verwunderlich, bergen doch die im Gespräch gemachten Äußerungen einigen Sprengstoff.
Liegt das nun daran, dass das Thema Klimawandel keine Quote mehr bringt, oder daran, dass die Aussagen nicht recht in die sonst so geliebten Katastrophenszenarien passen?
"Dann etwas was am Rande mit dem Thema zu tun hat. Das Spiegelgespräch mit Hans von Storch wurde kaum aufgegriffen. Ich habe jetzt nicht gegoogelt welche Zeitung darüber berichtete, oder ob es eine Meldung in den TV-Nachrichten wert war. Dies scheint mir etwas verwunderlich, bergen doch die im Gespräch gemachten Äußerungen einigen Sprengstoff."
Subjektiv betrachtet mag man ein Interview oder generell ein Thema für absolut relevant halten. Aber das müssen andere nicht genauso sehen. Gerade als Nutzer von Klima-Foren neigt man sehr leicht dazu, die Bedeutung dieses Themas in der Öffentlichkeit zu überschätzen. ;)
Viel entscheidender hinsichtlich des HvStorch Interviews ist die Neuausrichtung bei spiegel-online nach dem Wechsel der Chefredakteure: offensichtlich werden Artikel aus dem print nicht mehr automatisch online gestellt und erfahren daher eine ganz andere Verbreitung. Das hat sicherlich mit irgendwelchen Marktüberlegungen hinsichtlich der digitalen Zukunft von Zeitungen zu tun.
Interessant auch, dass es sich bei dem Interview um ein follow-up von einem Interview von vor zehn Jahren handelt, also um eine Geschichte, die sehr schöne meine obigen Ausführungen illustriert: Wissen ist heute eine Koproduktion von Medien und Wissenschaft in einer öffentlichen Sphäre, deren Konturen und Grenzen zur "Wissenschaft" völlig unklar und durchlässig sind. In der Klimawissenschaft wurden von Anfang an die Medien von einzelnen Forschern gezielt eingesetzt, um Klimapolitik zu machen: Klimapolitik innerhalb der Wissenschaft und darüber hinaus.
Es geht nicht darum, ob das Interview nun in den Tagesthemen erwähnt wird oder nicht (warum sollte es?) - es geht (mir) viel eher darum, unter welchen Bedingungen Wissen / Nachrichten produziert, ausgewählt und vermittelt werden. Latif im Fernsehen, von Storch im Spiegel, Rahmstorf, Schellnhuber und andere im Comic, die diversen Blogs etc etc: die Grenzen zur "richtigen" Wissenschaft sind völlig verwaschen, unklar. So wie Carolin Emcke die Frage stellt, ob es eigentlich noch "die Nachricht" gibt, so stellt sich hier die Frage, ob es noch "das Wissen" oder "die wissenschaftliche Tatsache" noch gibt - oder ob diese nicht auch längst seltsame mediale Koproduktionen sind.
@ Werner Krauss,
ich denke, Sie sind auf der richtigen Spur wenn sie die Klimawissenschaft, vielleicht Wissenschaft insgesamt, in einen größeren Kontext stellen. Wie wirken die Medien auf die Wissenschaft und umgekehrt. Die Durchlässigkeit der Grenzen und die Wechselwirkung zwischen beiden zu betrachten, führt uns aber noch nicht zu der Beantwortung der Frage, warum bestimmte Wissenschaften zu speziellen Zeiten eine besondere Aufmerksamkeit erlangen und zu andern Zeiten eben nicht.
An welche gesellschaftliche Strömungen docken sowohl die Wissenschaften als auch die Medien an, sind beide vielleicht nur Spielbälle der Strömungen, oder schaffen Wissenschaft und Medien erst diese Strömungen, bzw. verstärken sie?
Ich sehe das eigentlich in einem noch größerem Kontext.
"die Grenzen zur "richtigen" Wissenschaft sind völlig verwaschen, unklar."
Finden Sie, Werner Krauss? Auch wenn ich den Eindruck habe, dass in modernen Zeiten viele Grenzen verwischen, in Bezug auf Medien und Wissenschaft sehe ich nach wie vor eine klare Trennung. Mein Doktorvater (und sicher nicht nur er) sagte mal, alles was nicht publiziert wurde, existiert in der Wissenschaft nicht. Und damit meinte er sicherlich keine Publikationen in den Medien. Im Gegensatz dazu scheinen viele Bürger in der Bevölkerung zu denken, das Wissenschaft das ist, was in den Massenmedien darüber zu sehen ist.
S Hader,
natürlich kann man auch weiterhin die Tagesthemen anschauen und sich informiert fühlen, und man kann auch weiterhin in die Unibilbiothek gehen, wo viele kluge Bücher stehen und sich über das aufgeregte Gegacker der Wichigtuer in den Blogs und die dummen Bürger, die alles glauben, lustig machen. Nur manchmal, da gibt es Risse in diesem Fenster, und eine andere Wirklichkeit scheint auf.
Kann man denn das, was Carolin Emcke am Beispiel der Kartografie und den zweifelhaften Realitätsgehalt von Nachrichten beschreibt, wirklich einfach so wegwischen? Oder was HvStorch und ich geschrieben haben über die Blogosphäre, das Unsicherheitsmonster und die Auslagerung skeptischen Denkens in die Blogs?
Ich glaube eigentlich, dass Sie doch auch ein bißchen nervös sind, so engagiert wie Sie sich auf diversen Blogs für die "richtige" Wissenschaft einsetzen. Eigentlich ist es doch reizvoll darüber nachzudenken, was da gerade vor sich geht. Jedenfalls ist der Klimaforscher als Prophet mit Supercomputer derzeit auch nicht viel glaubwürdiger als Caren Mioska in ihrem blauen Studio, auch wenn sich beide mächtig Mühe geben den Eindruck zu vermitteln, sie würden die Realität adäquat abbilden. Tun sie ja auch, irgendwie, aber der Verdacht schleicht sich ein, das da noch mehr ist als "Drei Tote bei Aufständen in Ägypten" oder "Auch wenns draußen regnet, wirds trotzdem wärmer". Seltsamerweise finden diese Zwischenwelten, diese Diskussionen dann doch eher im Internet statt, oder im Spiegel, wie das eben wirklich interessante Interview mit HvStorch.
Werner,
manchmal habe ich den Eindruck, dass Du die wissenschaftliche Praxis, also, das was die meisten Wissenschaftler tun, verkürzt auf jenen Teil, der einen Widerhall - von allein oder gepusht - in den Medien und im öffentlichen Interesse (Blogs) findet, oder auch: den Du wahrnimmst. Aber es gibt auch noch diese andere Praxis, teilweise knochentrocken, für die sich nur eine Handvoll von Leuten interessiert und bestimmt keine Journalist - Tagungen, zu denen kein Anthropologe geht, obwohl auch da Wissen generiert wird.
Zugegebenerweise achte ich in meinem Umfeld darauf, daß die mögliche gesellschaftliche Signifikanz von Resultaten herausgearbeitet wird - aber es gibt auch andere Institute, wo dies nicht so ist.
Es könnte sein, daß diese verschiedenen Praxen verstehen lassen, wieso Du und S. Hader so verschiedene Sachen beobachten.
Hans,
dieser Post ist ganz explizit über Wissenschaft und die Medien und eben nicht über die Grundlagenforschung, die zumeist im Stillen stattfindet (und übrigens vor allem in der Küstenforschung vom Ethnologen ausgiebigst teilnehmend beobachtet wurde, ganz ohne Presse). Wir reden hier also ganz explizit über das, was einen großen Widerhall in den Medien findet. Und ich bleibe dabei: die Klimaforschung war immer großes Kino und ist daher besonders gut zu denken im Hinblick auf neuere Entwicklungen.
Aber Grundlagenforschung ist doch auch Wissenschaft? Manche Grundlagenforschung findet erheblichen Widerhall, und andere angewandte Forschung findet keinen Widerhall. Mögen wir diese Aufteilung noch, Grundlagen und angewandte? Oder geht es um normale und postnormale Wissenschaft, sofern man im Einzelfall unterscheiden kann.
Ich hatte das so verstanden, daß Du über Klimaforschung im Allgemeinen redest. Mir ging es darum, dass vielleicht der eine oder die andere sich in deiner Beschreibung nicht mehr wieder findet - weil es manchmal so klingt, als würdest Du Wahrheiten verkünden. Wahrheiten mit der Autorität eines Anthropologen. Da ist vielleicht manchmal eine Klarstellung vonnöten oder zumindest hilfreich.
Hallo Werner Krauss, mir ist sehr wohl bewusst, dass der Thread sich um die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft dreht. Ich will die dort genannten Punkte auch nicht alle in Frage stellen. Gewundert hat mich aber schon die Aussage, dass die Grenzen zwischen Medien und richtiger Wissenschaft immer mehr verwaschen. Vielleicht gehöre ich auch einer Minderheit an, aber für mich war immer klar, was Wissenschaft ist und was andererseits eine mediale Projektion oder eine populärwissenschaftliche Veröffentlichung ist. Ich finds immer wieder schade, dass in Internetforen so getan wird, als wenn die mediale Darstellung von Wissenschaft, tatsächlich die Wissenschaft abgebildet wird. Viele User, die es scheinbar nicht besser wissen, informieren sich über die Klimawissenschaften ausschließlich über Nachrichtensendungen und Zeitungsschlagzeilen und glauben dann, alles darüber zu wissen. Und dann darf man sich mit denen wieder rumschlagen, um ihnen zu erklären, nein, informiert euch doch mal in den wissenschaftlichen Quellen selbst, wenn ihr wissen wollt, was dort Stand des Wissens ist.
Kurzum, ein deutlichere Hervorhebung der Trennung zwischen Medien und Wissenschaften halte ich für wünschenswert. Auch hier.
"Viele User, die es scheinbar nicht besser wissen, informieren sich über die Klimawissenschaften ausschließlich über Nachrichtensendungen und Zeitungsschlagzeilen und glauben dann, alles darüber zu wissen. Und dann darf man sich mit denen wieder rumschlagen, um ihnen zu erklären, nein, informiert euch doch mal in den wissenschaftlichen Quellen selbst, wenn ihr wissen wollt, was dort Stand des Wissens ist."
Lieber Herr Hader, Ihre Komeptenz in allen Ehren, aber hier bin ich als ansonsten stiller Mitleser einmal zum klaren Widerspruch aufgefordert:
Nein, so einfach kann man es sich nicht machen! Nehmen Sie mein Beispiel. Klimaforschung halte ich für höchst spannend und ich verfolge gerne die allgemeine Debatte. Nun bin ich leider Jurist und verstehe daher von Rechnen und Zahlen nur sehr wenig (das war schon inder Schule so). Was habe ich denn für eine Chance, mich zu informieren, wenn nicht über Nachrichtensendungen oder Zeitunsschlagzeilen? Oder soll ich mich, da des naturwissenschaftlichen Fachsprechs nicht mächtig, einfach einer Meinung enthalten? Sorry, aber das möchte ich als überzeugter Demokrat, dem eine informierte Entscheidung über ein politisch höchst kontroverses Thema wichtig ist, nun wirklich nicht tun.
Gruß
dari
Für alle hier angestellten Überlegungen wird der verbleibende Handlungszeitraum überaus knapp. Das in der EU immer noch festgeschriebene Zwei-Grad-Ziel bis 2050 dürfte wesentlich früher überschritten worden sein. Diese Aussicht geht beispielsweise aus der amerikanischen Studie "Climate Change & International Security: The Arctic as a Bellwether" hervor, die von der Website des Weißen Hauses heruntergeladen werden kann, und die insofern die erzielbaren Ergebnisse aus dem von Präsident Barack Obama am 25. Juni angekündigten Klimaplan vorwegnimmt. In der Studie wird auf S. 11 das Abschmelzen der arktischen Eisdecke bis spätestens 2040 als unabwendbar dargestellt. Die thermische Trägheit der dafür verantwortlichen Vorgänge in der Erdatmosphäre und in den Ozeanen, in welchen zusammen über 90% der anthropogen verursachten Wärme gelagert sind (IPCC 2007), wäre selbst bei einer beschleunigten Umstellung auf die erneuerbaren Energien nicht mehr aufzuheben. Unter diesem Umstand kann die weitere staatliche Förderung von CO2-Minderungsmaßnahmen wie etwa CCS (Carbon Capture and Storage) oder von sparsamer Verbrauchstechnik mit dem Schutz des Weltklimas nicht schlüssig begründet werden. Diese Erkenntnis müsste eigentlich befreiend wirken, weil die ressourcenintensive CCS-Technik ohnehin jedem sparsamen Umgang mit Naturrohstoffen entgegensteht. CCS ist nicht nur auf einen Mehrverbrauch von Kohle und Kühlwasser, von Pipelines und geologischen Lagerstätten, sondern auch auf einen unterbrechungsfreien Betrieb zur Amortisierung der vergleichsweise teuren Anlagentechnik angewiesen. Der dazu erforderliche Aufschluss von weiteren Braunkohletagebauen, wie das derzeit in den neuen Bundesländern ansteht, verdeutlicht dabei die unzureichende Fähigkeit zur Mäßigung gegenwärtiger Zielvorstellungen zugunsten der Handlungsoptionen von kommenden Generationen. Bei Fortsetzung der bisherigen kohlebasierten Industriepolitik wird eine Anpassung an alle CO2-bedingten globalen Veränderungen zur zwingenden Notwendigkeit, deren Ausmaß und Kosten allenfalls von den Rückversicherern abgeschätzt worden sind. In vielen Fällen, so beispielsweise im US-Bundesstaat Florida, wird inzwischen bereits allen Grundstückseigentümern eine Flutversicherung aufgrund der steigenden Eintreffwahrscheinlichkeit von Überschwemmungskatastrophen verweigert.
Weitere Einzelheiten gehen aus meiner kürzlich erschienenen CCS-Studie hervor:
http://www.airclim.org/sites/default/files/documents/apc-28.pdf
Im folgenden Beitrag wird die fehlende Aussicht auf eine Zwei-Grad-Zielerfüllung durch den Verlass auf CCS begründet:
http://www.energypost.eu/index.php/ccs-a-pipedream-of-policymakers/
Hans #7 und #9
nachdem Du nun die Möglichkeit meiner Inkompetenz (Tagungen, wo keine Anthropologen anwesend sind..) und von Anmaßung (Wahrheit, Autorität eines Anthropologen) dargelegt und Dich selbst zum Anwalt unmündiger KlimazwiebelleserInnen (der eine oder die andere nicht mitgenommen gefühlt) aufgeschwungen hast: könntest Du vielleicht dann auch noch das eine oder andere Sachargument zur Debatte hinzufügen? Oder reicht es, den Ethnologen zu erschießen, um sich des Problems zu erledigen?
sich des Problems zu entledigen, muss das natürlich heißen - anyway, die Idee hat was -:)
Hallo dari, ich finde es wirklich gut, dass Sie Widerspruch anmelden. Heißt es doch, dass Sie darüber reflektieren, wie Sie sich über das Thema Klimawandel informieren. Es klingt provokant, wenn ich schreibe, dass viele User (nicht alle!) sich nur über Nachrichtensendungen und Zeitungsschlagzeilen über den Stand der Klimawissenschaften informieren. Verstehen Sie mich nicht falsch, da ist erst mal nix auszusetzen. Es ist für viele der erste Weg, sich dem Thema zu nähern. Problematisch finde ich, wenn diese User dann meinen, (fast) alles wissenswerte über das Thema zu wissen. Es geht auch nicht darum, sich beim demokratischen Disput der Stimme zu enthalten, ganz und gar nicht. Man kann auch eine Meinung zum deutschen Rechtswesen haben und sie kundtun, ohne selbst Jurist zu sein. Aber man sollte sich schon inhaltlich an der Sache orientieren und sich nicht für schlauer als die Experten halten, kommt nicht wirklich gut an. ;)
Ich hoffe, dass meine eigentliche Aussage für Sie und andere Leser deutlicher geworden ist und welchen Aspekt ich für problematisch halte.
S Hader,
worauf beruht eigentlich Ihre Kenntnis darüber, wie "user" ticken? Sind Sie auch Experte auf dem Gebiet der Gesellschafts-, Demokratie und Medientheorie, oder sagt Ihnen das einfach Ihr gesunder Menschenverstand? Mich erinnern Ihre Ansichten über "user" jedenfalls an die Versuche der Tagesthemensprecher, sich ihr Publikum vorzustellen. Carolin Emcke beschreibt dieses Dilemma und auch die Konsequenzen der Fehleinschätzung sowohl des Publikums als auch der Rolle der digitalen Medien ja ausführlich. Bei Ihnen habe ich den Eindruck - aber das kann natürlich täuschen - dass sie diesen Teil der Argumentation von Carolin Emcke einfach ignorieren und die entsprechenden Theorien gar nicht kennen. Falls das so ist, gilt dann nicht auch für Sie, was Sie dari zum Meinung haben auf fremden Fachgebieten vorgeschlagen haben:
"Aber man sollte sich schon inhaltlich an der Sache orientieren und sich nicht für schlauer als die Experten halten, kommt nicht wirklich gut an. ;)"
Weil durch die technischen Veränderungen heutzutage jeder jederzeit sich per GPS orten kann und jeder Laie Geo-Daten lesen kann, ist das ehemals exklusive Wissen der Zunft der Kartografen plötzlich für jeden verfügbar und egalitär verteilt.
Diese Analogie ist ausbaufähig. Die Autorin ist offenbar der Auffassung, dass "kartographisches Wissen" darin bestünde, Karten lesen zu können. So ist diese Aussage gleich auch ein Symptom des gemeinten Phänomens: Ein verbesserter Zugang zu den Produkten von Expertenwissen wird mit dem Wissen selbst verwechselt. Das ist hier verständlich, denn wenn man kartographische Produkte bisher nur in Form von Strassenkarten benutzt hat, fühlt man sich plötzlich als Karograph. Ich mache meine Karte (Navi on, maps.google.com), bestimme meine Position ohne ein Konzept von "Himmelsrichtung" zu brauchen (GPS, grüner Punkt), und finde meinen Weg (auf die nette Frauenstimme horchen).
Dass die keineswegs erledigte Aufgabe der Kartographen seit der Antike auch durch Druckerpresse, Farbdruck, GIS und GPS konstant geblieben und keineswegs erledigt ist, ist für den Konsumenten allerdings schwieriger denn je zu realisieren. Es sind immer noch die Experten, die die das Bild der Erde bestimmen, die Kartographen bei Google, z.B. Das nötige Wissen, Karten zu benutzen, galt hierzulande einmal als Allgemeinbildung, was dann auch die Fähigkeit, die Kartographie hinter einer Karte kritisch zu hinterfragen, mit such brachte. Findet hier wirklich eine "Demokratisierung" statt, wenn technischer Fortschritt Wissen überflüssig macht? Quatsch kein Blech, immerhin weiß mein Navi sogar den Weg zum besten Hotel und Google zeigt mir das tollste Restaurant.
Ach ja, die Analogie. Ein verbesserter Zugang zu den Produkten von Expertenwissen wird mit dem Wissen selbst verwechselt. Die Anwendung von wissenschaftlichem Wissen (hier: "beeindruckend und überzeugend etwas behaupten") ist einfach. Thema aus dem Spiegel, Fachartikel auf Knopfdruck, sich einen Reim drauf machen (Wikipedia hilft), bisschen was zitieren (scholar.google.com) - und im Blog publizieren. Der Laie (der andere) kann das nicht mehr von echtem Wissen unterscheiden. Man kommt also auch ohne "knochentrockenes" langwieriges Studium ans (bescheiden gesteckte) Ziel ("überzeugend behaupten" = "von A nach B kommen"). Und denkt womöglich, "Wissenschaft (Kartographie), ha, kann ich auch - voll demokratisch jetzt".
Der tatsächliche Effekt könnte eher antidemokratisch ausfallen: Die Mehrheit der Menschen hat vielleicht immer weniger das Bedürfnis, sich selbst ein Bild (eine Karte) zu machen, und das egalitär verteilte, demokratische nicht-mehr-Herrschaftswissen verkümmert. Ist ja auch viel anstrengender zu lernen, als zu nehmen was man so praktisch vorgesetzt bekommt. So werden unsere Wege, Rastplätze, Sehenswürdigkeiten, interessanten Themen und Fragen, "wissenschaftlichen Fakten" und überzeugenden Gedanken steuerbarer, vorhersagbarer, einförmiger, und zumindest in meiner Wahrnehmung, flacher, unbefriedigender und folgenloser.
Sehr geehrter Herr Krauss, es stellt meine persönliche Einschätzung dar, die zudem eine Verallgemeinerung ist. Es resultiert aus meiner Erfahrung vieler Diskussionen zum Thema Klimawandel und Klimawissenschaft in einigen Foren. Man muss diese Erfahrung ja nicht teilen und Gegenstimmen erfreuen mich sogar eher, weil das auch ein Feedback darstellt. Ich sehe mich da auch nicht schlauer als ein Experte an, sondern werfe das einfach als These in den Ring für eine offene Diskussion.
Kurzum, einen Irrtum meinerseits schließe ich nicht aus, aber auf der anderen Seite muss ich ja nicht deshalb danebenliegen, weil jemand anderer bei einem ganz anderen Thema auch danebenlag. Das wäre mir dann doch zu viel Analogieschließerei. ;)
S.Hader said...
"Aber man sollte sich schon inhaltlich an der Sache orientieren und sich nicht für schlauer als die Experten halten, kommt nicht wirklich gut an. ;)"
Ok Herr Hader, point taken, wobei natürlich die Grenzziehung fließend sein kann:
Was ist z.B., wenn ich mich im Widerstreit zweier Experten für eine Seite entscheide (z.B. weil mit als Laie die Argumente einer Seite einfach einleuchten)? Halte ich mich dann schon für schlauer als ein Experte (immerhin widerspreche ich ja mit meiner Parteinahme implizit dem Experten, dem ich mich nicht anschließe.)?
Fragen über Fragen...
Gruß
dari
"Ok Herr Hader, point taken, wobei natürlich die Grenzziehung fließend sein kann"
Hallo dari, das sehe ich ähnlich.
"Was ist z.B., wenn ich mich im Widerstreit zweier Experten für eine Seite entscheide (z.B. weil mit als Laie die Argumente einer Seite einfach einleuchten)? Halte ich mich dann schon für schlauer als ein Experte (immerhin widerspreche ich ja mit meiner Parteinahme implizit dem Experten, dem ich mich nicht anschließe.)?"
Gute Frage, sich widersprechende Experten sind in der Wissenschaft eigentlich nichts ungewöhnliches. Und natürlich kann man aus einer Intuition heraus eine These für plausibler als eine andere halten. Aber auch da muss man genauer hinschauen, finde ich. Man sollte zumindest zur Kenntnis nehmen, ob es sich bei der These um eine in Wissenschaftskreisen weit verbreitete handelt oder kaum Anklang gefunden hat oder fällig abgelehnt wird. Wenn man das völlig ignoriert, kann das in Diskussionen zum Teil seltsame Blüten treiben. Dann heißt es beispielsweise, ein Physik-Professor hätte den atmosphärischen Treibhauseffekt widerlegt und der müsse doch Recht haben, sonst wäre er doch kein Physik-Professor und wenn hundert andere Experten was anderes sagen, dann würde das trotzdem nichts ändern. Glauben Sie mir, diese Art von Diskussionen, wo solche grundsätzlichen Zusammenhänge ignoriert wurden, habe ich in einigen Internetforen schon geführt und die sind doch gelinde gesagt ermüdend. ;) Das ist ungefähr so, als wenn jemand Ihnen erklären würde, warum Deutschland als Staat gar nicht existent ist. Also ich bin immer dafür zu schauen, welche Ansichten es zu einer konkreten wiss. These gibt, um zumindest eine Grobbewertung vornehmen zu können.
Wie werden die Ereignisse ausgewählt, über die wir uns als demokratische Gesellschaft verständigen sollen? Die Journalistin Carolin Eimcke suchte die Antwort bei den "Tagesthemen", ich habe das auf die (Klima-)Wissenschaft und die Frage, wie diese die Gesellschaft informiert, übertragen.
Über den Verlauf der Diskussion hier bin ich etwas erstaunt. Die Antwort lautet, so kommt es mir zumindest vor:
"Wir ziehen einfach wieder den weißen Kittel an, setzen die Gesellschaft auf die Schulbank und erklären den Leuten (und dem Ethnologen) in einfachen Worten, wie Wissenschaft und das Klima funktionieren."
("Wissenschaftler arbeiten hart, sie publizieren, sie sind manchmal nicht einer Meinung, aber das ist normal!" - sind das wirklich Informationen, oder soll nicht vielmehr der Angesprochene klein und der Sprecher groß gemacht werden?).
Diese Art des "Dialogs" erinnert an das Problem der "Tagesthemen", das Carolin Eimcke so detailliert schildert. Den Tagesthemen geht das Publikum verloren, der Altersdurchschnitt der Zuschauer beträgt 59 Jahre, und die Leute informieren sich offensichtlich anderswo. Vor allem aber, so Eimcke, setzen die Tagesthemen nicht mehr die Agenda. Und dies nicht, weil die Leute einfach zu blöd sind, Nachrichten zu gucken, sondern weil - so die Vermutung - die Tagesthemen die Realität einer digitalen Gesellschaft nicht mehr adäquat abbilden können.
Die digitalen Medien haben die Gesellschaft, aber auch die Art, wie Wissen produziert und verteilt wird, verändert. Auch die Wissenschaft muss sich neu erfinden - der weiße Kittel, der Titel, das männerbündlerische Verhalten, das Statusbewusstsein allein reichen nicht mehr aus. Ansonsten produzieren die Klimawissenschaften Wissen über eine Welt, die außerhalb ihrer Modelle nicht existiert und für ein Publikum, das längst nicht mehr zuhört. Und das wäre schade, da der Klimawandel eine jener drängenden Herausforderungen ist, über die sich die Gesellschaft demokratisch verständigen muss, um damit klarzukommen.
Dass wir hier als Wissenschaftler auf einem Blog interdisziplinär diese Fragen diskutieren, ist eine Tatsache, die vielleicht eine Ahnung davon verleiht, wohin die Reise geht. Dies ist keine Bedrohung für die Klimawissenschaft, sondern eine Chance - auch wenn um den Preis, das der weiße Kittel und die dazugehörende Pose im Schrank bleiben müssen. Wie die richtige Kommunikation und Repräsentation aussieht, wissen wir genausowenig wie die Macher der Tagesthemen - aber das kluge Nachfragen wie in dem Artikel von Carolin Emcke ist schon mal ein erster Schritt.
"Über den Verlauf der Diskussion hier bin ich etwas erstaunt. Die Antwort lautet, so kommt es mir zumindest vor:
"Wir ziehen einfach wieder den weißen Kittel an, setzen die Gesellschaft auf die Schulbank und erklären den Leuten (und dem Ethnologen) in einfachen Worten, wie Wissenschaft und das Klima funktionieren.""
Hallo Werner Krauss, also ich für meinen Teil wäre ja schon zufrieden, wenn in Medien und Internet-Foren nicht im Übermaß ein schiefes oder gar falsches Bild von der Wissenschaft dargestellt wird. Ob es dazu notwendig ist, ein ganzes Volk wieder auf die Schulbänke zurückzuschicken, ich hoffe nicht. ;) Nein im Ernst, ich habe ja gar nicht die naive Vorstellung, dass mediale Darstellungen über die Wissenschaft, diese 1:1 richtig abbilden sollen und können. In den meisten Fällen stört mich das auch alles nicht, aber wenn es zu arg wird, dann sage ich dazu auch was. :)
"Auch die Wissenschaft muss sich neu erfinden - der weiße Kittel, der Titel, das männerbündlerische Verhalten, das Statusbewusstsein allein reichen nicht mehr aus"
Reichen nicht mehr aus für was? Was sollte das generelle Ziel von Wissenschaft sein?
"Dass wir hier als Wissenschaftler auf einem Blog interdisziplinär diese Fragen diskutieren, ist eine Tatsache, die vielleicht eine Ahnung davon verleiht, wohin die Reise geht. Dies ist keine Bedrohung für die Klimawissenschaft, sondern eine Chance - auch wenn um den Preis, das der weiße Kittel und die dazugehörende Pose im Schrank bleiben müssen"
Prinzipiell finde ich es nicht schlecht, wenn man über das Erscheinungsbild der Wissenschaft und wie sie sich präsentiert, mal reflektiert. Einen nicht unwichtigen Aspekt finde ich dabei die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern. Eigentlich muss man es ja begrüßen, wenn so viele Wissenschaftler auch unter die Sachbuchautoren gehen und über ihr Feld berichten. In Wissenschaftskreisen bezeichnet man sowas schon mal verächtlich Populärwissenschaft und damit erhöht man ja nicht die Zahl der veröffentlichten Paper und den Impact-Faktor. Aber es ist auch ein Dienst an der Gesellschaft, den man in der Wissenschaftswelt ruhig etwas mehr anerkennen könnte.
Ich sage jetzt nur altbekanntes:
Die digitale Welt birgt Chancen und Risiken.
Man braucht heute keine Tagesthemen mehr (ich schätze sie dennoch), jeder kann heute seine Themen und Schwerpunkte selbst setzen.
Bezogen auf die Klimawissenschaft:
Ich muss mir von niemandem mehr im Fernsehen oder in Zeitungen Klimawissenschaft "erklären" lassen. Wenn ich will, dann kann ich mich bei Wissenschaftlern aus erster Hand informieren. Ich kann viele Paper ohne Paywall im Netz finden und lesen, ist das nicht sagenhaft, wenn man das mal mit den Zuständen vor 20 bis 30 Jahren vergleicht? Chancen ergeben sich natürlich auch für die von Obama so genannte "flat earth society", keine Frage, das ist dann die Überleitung zu den Risiken ;-)
Zu den Risiken:
Man kann sich jede beliebige Meinung im Netz bestätigen lassen, die man bevorzugt. Die Amerikaner waren nie auf dem Mond? Global warming ist ein hoax? Kein Problem, es finden sich überall Belege.
Im Grunde wiederholt sich auf dem Feld der Klimadebatte nur etwas, was Medienforscher schon seit unzähligen Jahren feststellen:
Durch die digitalen Medien geht die Schere weiter auseinander. Der eine versteht die Chancen zu nutzen, der andere macht sich noch dümmer. Als Allheilmittel wird dann ritualisiert die Vermittlung von "Medienkompetenz" in Schulen empfohlen, so richtig scheint es nicht zu fruchten.
Werner Krauß schreibt:
"Die digitalen Medien haben die Gesellschaft, aber auch die Art, wie Wissen produziert und verteilt wird, verändert."
Vor allem haben die digitalen Medien die Chance, am Wissen zu partizipieren, unglaublich erhöht. Ein riesiger Fortschritt unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit.
Grüße an alle,
Andreas
S Hader,
vielen Dank für die Replik. Ich glaube, wir nähern uns der Thematik von zwei entgegen gesetzten Richtungen an, das macht die Sache interessant.
Natürlich wird viel Unsinn behauptet, und man muss Wissenschaftlern wie Ihnen und Ihren vielen KollegInnen dankbar sein, wenn sie sich die Mühe machen, das immer wieder geduldig richtig zu stellen. In der Wissenschaft gibt es nun mal richtig und falsch, kein Zweifel, und gerade in der Klimadebatte gibt es ja die unglaublichsten Behauptungen.
Es ist aber ebenso klar, dass "die Wissenschaft" alles andere als ein immer gleich bleibendes Unternehmen jenseits der Gesellschaft wäre. Die Klimawissenschaft stand von Anfang an im medialen und politischen Rampenlicht. Ihre Geschichte hat auch mit dem IPCC, dem Nobelpreis, mit dem Weltuntergang, der vor der Tür steht, mit der Hockeystickdebatte, mit Climategate und mit den Welt-Klimagipfeln zu tun. Die Klimawissenschaft hat nicht nur über das Klima erforscht, sondern sie war immer auch ein gesellschaftliches, ideologisches und politisches Ereignis.
Das heißt nicht, dass Wissenschaftler deshalb falsch rechneten oder plötzlich Unsinn behaupten. Sondern das heißt, dass sie selbst in einer digitalen Gesellschaft und unter deren Bedingungen arbeiten. Sie sind heute nicht nur mit recht oder schlecht informierten "usern" konfrontiert, sondern sie sind selber welche.
Zum Beispiel arbeiten sie in Instituten, die immer mehr wie andere Unternehmen im digitalen Kapitalismus um Forschungsgelder, mediale Aufmerksamkeit und Einfluss konkurrieren. Und sie veröffentlichen nicht einfach in Journalen, sondern z.B. in "Science" oder "Nature". Und die achten schon darauf, dass die Artikel nicht nur "peer-reviewed", sondern auch marktkompatibel sind - d.h., die Zweitverwertung in den Massenmedien wie spiegel-online ist schon antizipert.
Dies ist nur ein Beispiel dafür dass auch das, was der ganz normale Doktorand oder die unzähligen post-doc mit befristetem Zeitvertrag forschen, nicht nur (hoffentlich)richtig, sondern eben auch medial und gesellschaftlich ist. Das Produkt von Wissenschaft in einer digitalen Gesellschaft, in der alle um Aufmerksamkeit und Einfluss ringen. Da wird dann eine Detailuntersuchung über eine Messung in der Arktis "irgendwie" zum Symbol für den nahenden Weltuntergang. Andreas hat völlig Recht, da wünscht man sich und allen anderen usern "Medienkompetenz".
HvStorch merkte oben zu Recht an, dass es hier um den Unterschied zwischen normaler Wissenschaft (also das, was Sie immer im Sinn haben) und postnormaler Wissenschaft (worüber ich rede) geht. Doch er fügt auch den Halbsatz an "sofern man im Einzelfall unterscheiden kann".
Und damit, zum Schluss, die Frage: Was, wenn man das nicht mehr unterscheiden kann? Wenn es kein zurück zum "normal" gibt? Wenn gut geforscht, richtig gerechnet, sauber vermittelt doch nur weitere Verwirrung stiftet anstatt die Debatte zu beenden? Dann sind nicht mehr allein "die Skeptiker" oder die Dummköpfe das Problem, sondern dann müssen wir unsere Vorstellung von Wissen in der digitalen Gesellschaft neu justieren. Und unsere Vorstellung davon, was eine "Nachricht" oder eine "Information" ist. Und da wird die Sache interessant, zumindest für mich.
@Werner Krauss,
"vielen Dank für die Replik. Ich glaube, wir nähern uns der Thematik von zwei entgegen gesetzten Richtungen an, das macht die Sache interessant."
Naja, dann hat die Diskussion doch einen Nutzen. :)
"Natürlich wird viel Unsinn behauptet, und man muss Wissenschaftlern wie Ihnen und Ihren vielen KollegInnen dankbar sein, wenn sie sich die Mühe machen, das immer wieder geduldig richtig zu stellen."
Okay, eine Kleinigkeit sollte ich doch noch dazu sagen. Ich selbst sehe mich selbst nicht mehr als Wissenschaftler, das war einmal. Zumindest kenne ich den "Betrieb" (wenn auch nicht die Klimawissenschaften).
"In der Wissenschaft gibt es nun mal richtig und falsch, kein Zweifel, und gerade in der Klimadebatte gibt es ja die unglaublichsten Behauptungen."
Das ist so ein Satz, wo ich innehalte und nachdenke, ob mein Ironiedetektor wieder defekt ist oder ob das jetzt tatsächlich ernst von Ihnen gemeint war. Die unglaublichsten Behauptungen, ja, aber bei Aussagen wie, es gibt bei den Wissenschaft nur richtig und falsch und keine Zweifel........sorry, da wird ein schiefes Bild von der Wissenschaft gezeichnet.
Ich stimme den weiteren Punkten zu. Das was Wissenschaftler tun findet auch Wiederhall in der Gesellschaft und den Medien und das beeinflusst auch wieder die Wissenschaft selbst.
"Und damit, zum Schluss, die Frage: Was, wenn man das nicht mehr unterscheiden kann? Wenn es kein zurück zum "normal" gibt? Wenn gut geforscht, richtig gerechnet, sauber vermittelt doch nur weitere Verwirrung stiftet anstatt die Debatte zu beenden? Dann sind nicht mehr allein "die Skeptiker" oder die Dummköpfe das Problem, sondern dann müssen wir unsere Vorstellung von Wissen in der digitalen Gesellschaft neu justieren. Und unsere Vorstellung davon, was eine "Nachricht" oder eine "Information" ist. Und da wird die Sache interessant, zumindest für mich."
Also was die Unterteilung in normale und postnormale Wissenschaft angeht, da stehe ich dem recht skeptisch gegenüber. Auch das beispielsweise an eine mediale Zweitverwertung gedacht wird, hmmmm, ich will das nicht kategorisch abstreiten. Ich habe auch in einem Fachbereich gearbeitet, wo man ganz stolz war, dass deren Ergebnisse auch Erwähnung in der lokalen Presse gefunden hat und auch mal der Bundeskanzler vorbeischaute und ein Fernsehteam da war. Das war auch alles ganz nett, aber der Chef hat es nicht überbewertet. Er ging auch nicht davon aus, dass er nun mehr Fördermittel bekommt. Vielleicht wurde der eine oder andere potentielle Investor auf diese Geschichten aufmerksam, aber in dem Fall sind es mehr die persönlichen Kontakte und frühere Kooperationen, die Wissenschaft und Industrie zusammenbringen.
Ich sehe auch nicht ganz, ob die postnormale Wissenschaft, wenn es sowas gibt, schlechtere wissenschaftliche Ergebnisse abliefert. Wenn Sie von weiterer Verwirrung stiften sprechen, dann ist das wieder die mediale Seite, um die es geht. Meine persönliche Erfahrung ist, Wissenschaftler selbst stehen radikal-neuen Erkenntnissen aus Publikationen recht gelassen und nüchterner gegenüber, als so viele Wissenschaftsjournalisten. Oh, Wissenschaftsjournalismus, das wäre auch ein Thema für sich, lieber ein anderes Mal. ;)
Die Debatte ist sehr interessant aber doch beeinflusst durch den "deutschen Blickwinkel". Ich stimme mit vielem Überein, was zur Aufmerksamkeitserzeugung gesagt wurde und wie die zunehemnede Verfügbarkeit von Informationsquellen die “alten Medien” (Nachrichtenvermittler) tendenziell obsolet macht (“cut out the middle man”).
Die Beiträge sind auf deutsch und schliessen Kommentare von Fremdsprachlern aus. Der Kontext in Grossbritannien beispielsweise ist ein anderer. Hier wird die universitäre Forschung alle 5 Jahre nach bestimmten Kriterien evaluiert. Für die kommende Evaluation wird der "impact" der Forschung zum ersten Mal eine wichtige Rolle spielen. Impact geht über Medienpräsenz hinaus indem gezeigt werden muss (unter Vorlage von prüfbaren Dokumenten), dass eine Arbeit direkten (positiven!) Einfluss auf nicht-akademische Nutzer hatte (hier ein link zu einer Universität mit der Liste von Beispielen und Definitionen). Man mag sich die Haare raufen ob der Naivität des Unternehmens, es nützt nichts, es ist beschlossene Sache. Also wird man nach Abschluss der Evaluation nächstes Jahr offiziell wissen, welches Wissen gesellschaftlich nützlich war. Falls dieser Ansatz überlebt (und auch die Institution der Forschungsevaluierung) könnte es bald sein, dass nur noch postnormale Wissenschaft förderungswürdig ist. Die Sache könnte international Schule machen, vor allem weil die britische Hochschulpolitik innovativ und strategisch vorgeht und ihren Wettbewerbsvorteil international ausspielen will. Die anderen wollen dann nachziehen.
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