Saturday, December 18, 2010

Cancún: Pfeifen in dunkler Nacht? Gastbeitrag von Reinhard Böhm


 
Originalfassung von Reinhard Böhm, gekürzt erschienen in „Die Furche“, Wien, am 16.12.2010)

Pfeifen in dunkler Nacht?

Es gehört zu einer der mir bis heute präsenten Erinnerungen aus der Volksschulzeit, dass ich einige Zeit lang Probleme hatte, beim Aufbruch in die Schule so ohne weiteres an dem dunkel gähnenden Abstieg in den Keller des Gründerzeit-Mietshauses vorbeizukommen, in dem wir damals wohnten. Der Grund war eine Vorstellung im Theater der Jugend, die die Altwiener Sage vom Basiliskenhaus in der Schönlaterngasse recht drastisch vorgeführt hatte – offenbar vermutete ich in der Zeit danach den Basilisken mit seinen glühenden Augen da unten im Keller. Und ich erinnere mich noch gut, dass eines der Hilfsmittel, an dieser Gefahrenstelle vorbeizukommen, das Pfeifen eines gängigen Liedchens war, eines der damals populären Seemannslieder von Freddy Quinn glaube ich.
Was das mit der dieses Wochenende zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz in Cancun zu tun hat, werden Sie sich fragen? 


Nun, ich hatte dieses Déja-vu aus meiner Kindheit am vergangenen Samstag, als ich die Bilder vom Abschluss dieser Großkonferenz sah mit den standing ovations für die mexikanische Außenministerin und auch die ersten Kommentare hörte. Der bedingte Reflex der meisten Teilnehmer und Kommentatoren – der Bogen reichte da von Umweltministern über Journalisten bis hin zu Greenpeace – war in selten erlebter Einhelligkeit erleichtert und positiv. Mein erster Reflex war „pfeift da jemand, um sich nicht zu fürchten“? Oder, etwas intellektueller formuliert: wird da mit Applaus und positiven Kommentaren zu überspielen versucht, dass im Grund heuer in Mexiko kaum etwas anderes herausgekommen ist, als vor einem Jahr in Kopenhagen? Und damals war der Applaus ja enden wollend gewesen.
Der Verdacht liegt nahe, dass man schon in der Vorbereitung zur heurigen Konferenz aus dem breit diskutierten und allgemein beklagten Misserfolg in Kopenhagen gelernt hat. Man hatte damals die Weltklimakonferenz in Dänemark zur absolut letzten Chance hochstilisiert, jetzt oder nie die Menschheit von der drohenden Klimakatastrophe zu retten, und dementsprechend groß war der Katzenjammer nach dem Nullergebnis. Ob natürlich die diesen Samstag vorgelegten unverbindlichen Absichtserklärungen etwas anderes sind, als das Nullergebnis vor einem Jahr, muss bezweifelt werden – in beiden Fällen gab es keine völkerrechtlich bindenden Verträge, was noch vor einem Jahr als ein unbedingtes Muss hingestellt worden war.
Oder bin ich da zu streng? Sehe ich die Dinge etwa schon wieder zu schwarz? Ist es nicht schön, dass beispielsweise die Vertragsstaaten des 2012 auslaufenden Kyoto-Vertrages damit einverstanden sind, dass es wieder zu keiner bindenden Einbeziehung wesentlicher „developed countries“ wie die USA, und auch zu keiner der „developing countries“ wie China gekommen ist – und dass die Kyoto-Vertragspartner das nicht zum Anlass nehmen, wie vorher von Japan angedroht, deshalb selbst keine weiteren derartigen bindenden Verpflichtungen zur Treibhausgasreduktion einzugehen.
Nun, vertraglich bindende einseitige Verpflichtungen ist die Gruppe der Kyoto-Vertragspartner nicht eingegangen. Aber vielleicht ist das sogar gut so, denn es eröffnet die Chance, dass es vielleicht später doch zu einem Nachfolgevertrag unter Einschluss aller Staaten kommen kann. Dass das notwendig wäre, im Hinblick auf eine tatsächliche Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen alle Länder mit ein zu beziehen, ist nicht meine laienhafte Ansicht als Klimatologe, sondern dabei folge ich der für mich schlüssigen Argumentation des deutschen Ökonomen Hans-Werner Sinn. Nach ihm führen verbleibende Schlupflöcher nicht nur zu verringerter Reduktion, sondern sie verursachen sogar eine Ankurbelung der globalen Emissionen. Es fehlt hier der Platz, diesen von Sinn „das grüne Paradoxon“ genannten Effekt verständlich zu machen, und mit Sicherheit bin ich auch nicht der nötige Experte der wissenschaftlichen Regeln von Angebot und Nachfrage eines begrenzten Gutes, wie es die fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas in einer globalisierten Marktwirtschaft darstellen.
Als gedankliche Arbeitshypothese habe ich mir aber bis auf weiteres zurechtgelegt: „Eindämmung des anthropogenen Klimawandels nur global“. Und auf diesem Gebiet ist auch die Konferenz in Mexiko gescheitert. Ich leite daraus allerdings keine fundamentale Schuldzuweisung ab. Für mich ist der hohe Anspruch, zum Klimaschutz alle Staaten der Erde „ins Boot zu holen“, unter den gegebenen Voraussetzungen der immer noch unglaublich starken Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen den Erst-, Zweit- und Drittweltstaaten wahrscheinlich unlösbar. Und wenn die Thesen des Kollegen aus München wirklich „Sinn“-voll sind, dann haben wir ein Problem, das kaum lösbar erscheint.
Dass an der These des grünen Paradoxons etwas dran ist, hat mir eine ganz aktuelle Publikation in der Dezemberausgabe der Fachzeitschrift nature geoscience vor Augen geführt, die die aktuellen Trends der globalen Treibhausgas-Emissionen zeigt und analysiert. In den Jahren 2000 bis 2008 gab es ein beschleunigtes Wachstum der Emissionen durch fossile Energieträger – und das mitten in der Zeitspanne, in der beispielsweise die EU-Staaten insgesamt recht erfolgreich ihre Reduktionen nach dem Kyoto-Vertrag realisieren konnten (Österreich ja nicht gerade, aber das fällt hier nicht ins Gewicht) .
Ist nun die Situation bei der Eindämmung der globalen Treibhausgas Emissionen tatsächlich so verfahren, und haben die Delegierten vergangenen Samstag zu Recht mit ihrem tosenden Schlussapplaus „im Dunklen gepfiffen“ um sich Mut zu machen? Die eher hilflos wirkenden Absichtserklärungen „den globalen Temperaturanstieg auf +2° zu begrenzen“ oder „im Jahr 2020 (!) einen 100 Milliarden Dollar Fonds zu errichten“, der Klimaaktionen in Entwicklungsländern unterstützen soll, deuten in diese Richtung.
Um nicht nur negative Stimmung zu verbreiten, hat der Klimatologe in mir zum Schluss doch von einer sinnvollen Maßnahme zu berichten:
Ich habe in den Cancun-Dokumenten einige Absichtserklärungen gefunden, die die Unterstützung der Industriestaaten zum Thema haben, die Entwicklungsländer bei Anpassungsmaßnahmen an Folgen durch die zu erwartende weitere globale Erwärmung erhalten sollen. Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen, und das wird auch ein starkes und rationales Engagement der Wissenschaft erfordern, das wir gerne leisten werden. Im Unterschied zum oben zitierten „Eindämmung nur global“ manifestieren sich „Klimafolgen regional bis lokal“. Hier ist noch viel zu tun, um seitens der Wissenschaft die rationale Grundlage zu liefern – für uns selbst und für einen fairen Ausgleich zwischen entwickelten und sich erst entwickelnden Volkswirtschaften. Die Mittel sind nicht unbegrenzt, und es ist zu hoffen, dass auf diesem Gebiet die Politik auf künftigen Weltklimakonferenzen erfolgreich sein kann.

4 comments:

Anonymous said...

Hier scheint der langjährige "Grünwähler" mit Herrn Professor Böhm durchgegangen zu sein.

Wie nennt man das in der Philosophie nochmal, wenn man voraussetzt, was erst bewiesen werden muss, und dann mit neuen Wortschöpfungen, darauf aufbauend neue Weltbeschreibungen vornimmt. Helfen Sie mir mal Herr v.St.!

Vor 10 Jahren sagen einige Klimaforscher (u.a. Latif), es wird bei uns merklich wärmer werden, wenig bis gar keine schneereichen Winter mehr; jetzt sagen die Klimaforscher, die letzten ertragreichen Winter seien eben Folgen einer globalen Klimaerwärmung. Giss zeigt kontinuierliche Erwärmung an; die CRU nicht, UAH auch nicht; und die Multiproxyrekonstruktionen ebenfalls nicht.

Umweltschutz ja, Klimaschutz nein. Obwohl man beides nicht schützen oder gefährden kann. Aber wenns beruhigt, machen wirs doch für die neuen Götter in einer gottlosen Zeit.

Werner Krauss said...

Ist Ihr Kommentar nicht ein klein bißchen zu arrogant, Frau Anonymous? Und dann noch schnell Herr v.St. mit einer rhetorischen Frage ins Boot holen wollen, um die eigene Dreistigkeit autoritativ abzufedern?
Nicht schön, eigentlich.

Anonymous said...

Aber nur eigentlich Herr Krauss, denn eigentlich könnten wir uns ja freuen, denn eigentlich geht es uns doch gut ... Scherz beiseite.

Dumm dreist erscheinen mir hier schon andere Kommentare zu sein, die ernsthaft auf unbewiesenen Behauptungen Luftschlösser bauen.

Wo ist denn die weltweite Klimaerwärmung in Skandinavien oder Südamerika geblieben, Herr Krauss?

Von mir getätigte Behauptungen sind eruierbar - wenn man denn will. In den frühen 70er Jahren war es die Eiszeit, dann kam die plötzliche Erwärmung, um 2000 herum europaweite Vorhersagen von keinen Wintern mehr (Latif, Jones etc.) Tourismusorte verzagten.

Jetzt sind die Winter wieder da, wer ist schuld - die Erderwärmung.

Lieber Herr Krauss, ich kann meine "Dreistigkeit" selber abfedern, keine Angst, dazu brauche ich keine Autoritäten.

Ich kann Sie aber gerne zu einem Diskurs auffordern, wenn Sie denn wollen.

Werner Krauss said...

Ach, lieber Anonymous, ich werde den Verdacht nicht los, dass Sie ein bißchen auf Krawall gebürstet sind. Aber für eine Fundamentaldebatte scheint mir hier nicht der richtige Platz - Herr Böhms Beitrag ist doch eher elegant und nachdenklich, und dem sollte man gebührend Respekt erweisen. Schließlich kann man jeden x-beliebigen Beitrag hier auf der klimazwiebel mit einer Fundamentalopposition nichtig machen. Wäre aber langweilig. Doch bestimmt findet sich an anderer Stelle auf der klimazwiebel Gelegenheit für eine solche Debatte.