Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat eine "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" seines Berichts "Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" herausgebracht und legt damit so eine Art Masterplan auf dem Weg in die Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit vor.
Der Begriff der "Großen Transformation" geht auf Karl Polanyi zurück, der damit die Herausbildung der Industriegesellschaften im 19. Jahrhundert bezeichnete. Die industrielle Revolution vollzog sich ebenso wie die neolithische weitgehend ungesteuert. Die Herausforderung der jetzigen Großen Transformation besteht hingegen im "nachhaltigen weltweiten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft". Auf den "Transformationsfeldern" Energie, Urbanisierung und Landnutzung
müssen Produktion, Konsummuster und Lebensstile so verändert werden, dass die globalen Treibhausemissionen im Verlauf der kommenden Dekaden auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen können.Auf der Grundlage wissenschaftlicher Risikoanalysen muss ein neuer Gesellschaftsvertrag gemacht werden, um den "fossilnuklearen Metabolismus" zu dekarbonisieren und durch nachhaltige und klimaverträgliche Politik zu ersetzen. "Leitplanke" auf diesem "Pfad der Nachhaltigkeit" ist das bekannte 2 Grad Ziel - wenn dies nicht eingehalten wird, siehts diesem Szenario zufolge düster aus. Wie wir auf den letzten klimazwiebel posts gesehen haben, besteht hier natürlich Diskussionsbedarf.
Auf faznet und in der Welt-online (Henryk M. Broder) gab es bereits zwei sehr kritische Stellungnahmen; beide Autoren fürchten eine Ökodiktatur "orwellschen Ausmaßes" (Broder). Meiner Meinung nach eine leichte Überschätzung eines solchen Berichtes, gegen dessen grundlegendes Ziel - die Dekarbonisierung der (Welt-) Wirtschaft - doch eigentlich nichts einzuwenden ist. Das Problem ist meiner Meinung nach vielmehr, wie dieses Vorhaben hier vorgebracht wird, und wie und von wem es umgesetzt werden soll.
Mir selbst fällt vor allem der starke Wissenschaftszentrismus auf, wie er auch schon auf der klimazwiebel verschiedentlich unter Vorzeichen wie Klimadeterminismus, Verwissenschaftlichung der Politik und ähnlichen Stichworten kritisiert wurde. Das heißt, der Bericht ist auf dem selbst-reflexiven Auge blind. Die große Transformation findet unter Führung der Wissenschaft statt, die sich selbst nicht in ihrer "science speaks truth to power" Rolle und Mitverantwortung an dem Schlamassel, den es nun zu beseitigen gilt, thematisiert (alternative Ansätze hier, insb. #4). Es ist fast anrührend zu lesen wie in diesem Bericht fast revolutionäres Anliegen (tolle Wortschöpfung: "fossilnuklearer Metabolismus") und staubtrockene wissenschaftlich-bürokratische Prosa (überall "Leitplanken", "Pfade", und ganz scheußlich: "Zivilgesellschaft" etc) Hand in Hand gehen. Das gilt auch für den in solchen Kommissionen wohl unvermeidlichen Hang, in Lebensstile und den Alltag regelnd eingreifen zu wollen. Ein satirereifes Beispiel hierfür ist der Vorschlag, dass "Kantinen der öffentlichen Hand (...) als Vorbild ein bis zwei fleischfreie Tage einlegen" sollten. Schöner kann ein bürokratischer Vorschlag zur weltweiten Großen Transformation kaum erfunden und formuliert werden - er wurde ja auch auf der klimazwiebel schon in vorauseilendem revolutionärem Gehorsam begeistert aufgegriffen! (Im Schwäbischen gibts aus anderen Gründen Freitags sowieso nur Kässpätzle!)
Darin die Gefahr der Ökodiktatur zu wittern lenkt vom eigentlichen Problem ab. Wir werden ja nicht von einem wissenschaftlich-militärisch-politischen Komplex regiert, sondern allenfalls von Herrn Kretschmann. Es sind vielmehr die Welt- und Realitätsferne und damit die drohende Bedeutungslosigkeit, die problematisch sind. Man sieht förmlich die Kästchen und Pfeile auf dem Flipchart im Konferenzraum, auf dem hier die große Transformation ausgemalt wird. Man möchte nach der Lektüre artig um wenigstens ein bißchen Gefühl für einen Aufstand anfragen. Denn dass die Große Transformation unter Leitung von Schellnhuber, Rahmstorf, Leggewie und Co gemeinsam mit Merkel gegen die Interessen mächtiger corporate industries, der Atomlobby oder der Autoindustrie etc. auf dem Verordnungsweg weltweit duchgesetzt werden wird, daran zu glauben fehlt mir dann doch die Vorstellungskraft.
8 comments:
Lieber Herr Krauss,
fast war ich geneigt, Ihr jüngstes Posting (zum FAZ-Artikel von Petersdorff) als Dornfelder-induzierten Ausrutscher abzuhaken.
Ihr Einsteig ins aktuelle Posting las sich erfrischend sachlich und unemotional (durchaus ein Wert, gerade in postnormalen Zeiten).
Leider mussten Sie diesen rationalen Hoffnungsschimmer mit dem letzten Absatz wieder relativieren....
(Wo, in drei Teufels Namen, holt man den Krauss bloß ab, kommunikativ betrachtet - eigentlich ist das seit Jahren mein Job, zielgruppenspezifisch kommunizieren, aber hier müsste ich wohl mehr Zeit investieren als ich habe...)
ok, ok, Spaß beiseite.
Das, was Sie als satirereifes Beispiel apostrohieren ist und wird zunehmend Realität. Lautstarke Minderheiten propagieren Verhaltensänderungen beim Konsumverhalten. Die Masse der Bürger interessiert es nicht, aber früher oder später gibt´s dazu ein Gesetz, Brüssel-induziert oder aus vorauseilendem Gehorsam. Denn sicher ist auch Ihnen die EU-konforme salzarme bayrische Brezn lieber als der Dritte Weltkrieg von deutschem Boden aus, oder?
Aber das sind nur klimaferne Nebenschauplätze - obgleich ich jedem Klimazwiebel-Leser nur dringend und zum wiederholten Male die Zustände in der Epidemiologie ans Herz legen möchte. Daran könnte man viel lernen über Kommunikation und Durchsetzung von ideologiegetriebenen Sonderinteressen.
Entgegen Ihrer abfälligen Bemerkungen im letzten Absatz Ihres Postings werden wir in D natürlich denn Versuch erleben, die zutiefst antidemokratische "Große Transformation" ins Werk zu setzen. Denn es gibt in unserer Parteienlanschaft zZ nichts, was dem entgegenwirken könnte. Und wenn Sie meine, irgendwelche Industrielobbys würden sich querstellen, outen Sie sich damit nur als Qualifikant für den ig-Noble-Prize in economics.
Das Kapital, werter Herr Krauss, ist wirklich ein scheues Reh. Wenn es darum geht, Subventionen zB aus dem EEG abzugreifen, sind sie da. Ansonsten wird die Produktion dahin gehen, wo die Märkte sind, danach das Engineering und später..alles. Deutschland und Europa sind aus der Mode kommende Randerscheinungen. Wenn in BaWü keine S-Klasse und keine Porsches mehr gebaut werden, dann anderswo. Da kann Herr Kretschmann seine Natur (welche eigentlich: die teilweise mindestens 2000 Jahre alte Ackerbau-Kulturlanschaft und den deutschen Wirtschaftswald seit der frühen Neuzeit?) noch so lieben. Who cares?
Deutsche Unternehmen, deren Führungspersonal seine fünf Sinne beieinander hat, sorgen schon länger für Standbeine in den Emerging Markets. Was hier (noch) hier in D hochqualifizierte Arbeitsplätze sichert und den Niedergang abfedert. Selbst die Energieversorger werden schon sehen wo sie bleiben. Wobei RWE-Grossmann ein "Problem" für seine Firma sein könnte. Der Mann glaubt doch im Ernst, mit Standhaftigkeit und Argumenten überzeugen zu können. Wie naiv :-)
Klar ist: Wer unter deutschen und EU-Vorgaben nicht mehr produzieren kann, geht ein. Diese Produktion wird in anderen Staaten mit schwächeren Umwelt- und Sozialvorgabe erfolgen. Multinational tätige "deutsche" Unternehmen nehmen Windfalls in D mit und verlagern sukzessive Aktivitäten. Umwelt- und Klimabilanz: negativ. Sozialbilanz: für D negativ, für Zielländer vermischt. Gesamtbilanz: tendenziell negativ, da D als Innovationstreiber zunehmend wegfällt.
Dringende Empfehlung an Sie als Fan des Vorsorgeprinzips und der globalgalaktische Verantwortung: beides mal zu Ende denken. Dazu gibt´s sogar schon Bücher. Auf Wunsch gerne eine Leseliste von mir.
Gute Nacht, Herr Krauss, und um diese Zeit keine Kasspatzen mehr essen, das macht kulturpessimistische Träume.
„Aufstand“ (I von III)
Werner, Sie schreiben eingangs, die „große Transformation“ des WBGU sei „so eine Art Masterplan auf dem Weg in die Nachhaltigkeit“, und Sie verlinken gegen Ende Ihrer feuilletonistischen Kritik auf eine ebenfalls umstrittene Schrift mit den Worten: „Man möchte nach der Lektüre artig um wenigstens ein bißchen Gefühl für einen Aufstand [s. Nautilus Vlg.] anfragen.“
Die 2007 ursprünglich in Frankreich von anonymen Autoren (die sich das „unsichtbare Komitee“ nennen) veröffentlichte politische Flugschrift Der kommende Aufstand (L'Insurrection qui vient), den Sie, Werner, der WBGU und uns anscheinend nahelegen möchten, ähnelt, wie die gr. Transf., tatsächlich ebenfalls einem Manifest innerhalb der „menschlichen Wüste“ (Naut. Vlg. S. 22).
Ich werde im Folgenden Inhalte des Essays durch Ausschnitte näher darstellen. In dem Buch geht es unter anderem um „manipulierte Statistiken“, „gefälschte Zahlen“ und und und. In einer deutschen Ausgabe (online) erklären die Übersetzer ihre Absichten im Vorwort folgendermaßen (unsere Hervorhebungen durch Fettschrift):
„Die Zerbrechlichkeit der verschiedenen Aspekte dieser Welt der Domestizierung und Vernutzung, ihre neusten Transformationen werden nur durchgespielt, um endlich ihre Zerstörung konkret ins Auge zu fassen. [...] Um unsere Situation zu erkennen und daraus aufzubrechen braucht es keinen Masterplan, keine eine Wahrheit, die uns offenbart werden muss. […] Was die unsichtbaren GenossInnen allerdings zu bedenken geben, ist, dass es zum Schmieden einer nachhaltigen, den absehbaren Attacken der Gegenseite gewachsenen Strategie Sinn macht, eine gewisse Koordination zwischen den einzelnen Gruppen zu kultivieren, um eine gemeinsame Verteidigung zu ermöglichen.“
Exzerpte (ich beschränke mich auf die erste Hälfte des Buches):
„Diese Gesellschaft wird bald nur noch durch die Spannung zwischen allen sozialen Atomen in Richtung einer illusorischen Heilung zusammengehalten. Sie ist ein Werk, das seine Kraft aus einem gigantischen Staudamm von Tränen zieht, der ständig kurz vor dem Überlaufen ist (vgl. Nautilus Vlg. S. 12).“
„Sie [gemeint sind die “neusten Transformatoren“ - namenlos] arbeiten also am Erhalt der existierenden Ordnung, an meiner folgsamen Anpassung an dumme Normen, an der Modernisierung meiner Krücken. Sie umfassen die Selektion der opportunen, konformen und produktiven Neigungen in mir, von jenen, die brav zu betrauern sind. »Man muss sich verändern können, weißt du.« (vgl. Naut. S. 15)“
„In den Unternehmen teilt sich die Arbeit immer offensichtlicher in hochqualifizierte Arbeitsplätze in Forschung, Entwicklung, Kontrolle, Koordination und Kommunikation, im Zusammenhang mit dem Einbringen des notwendigen Wissens in die neuen kybernetisierten Produktionsprozesse, und in entqualifizierte Arbeitsplätze zur Instandhaltung und Überwachung dieser Prozesse.
Erstere sind von geringer Zahl. Sehr gut bezahlt und dadurch dermaßen begehrt, dass die Minderheit, die sie vereinnahmt, nicht auf die Idee käme, sich auch nur ein Krümelchen davon entgehen zu lassen. Ihre Arbeit und sie verschmelzen in einer angsterfüllten Umklammerung effektiv zu Einem. Manager, Wissenschaftler, Lobbyisten, Forscher, Programmierer, Entwickler, Berater und Ingenieure hören im wahrsten Sinne nie auf zu arbeiten (vgl. Naut. S. 29).“
„Der gegenwärtige Produktionsapparat ist nun einerseits diese gigantische Maschine zur physischen und psychischen Mobilisierung, zum Abpumpen der Energie der überflüssig gewordenen Menschen, und andererseits diese Sortiermaschine, die den konformen Subjektivitäten das Überleben gewährt und all die »Risiko-Individuen« fallen lässt, all jene, die einen anderen Gebrauch des Lebens verkörpern und ihr somit Widerstand leisten (vgl. Naut. S. 33).“
namenlos
„Aufstand“ (II von III)
„[D]ie Wahrheit ist, dass wir schon alle Ersparnisse an Illusionen ausgegeben haben; wir sind am Boden, wir sind blank, wenn nicht sogar im Minus (vgl. Naut. 45).“
„Das, wovon wir reden, das sind all diese Länder, diese ganzen Kontinente, die den wirtschaftlichen Glauben verloren haben, da sie die Boeings des IWF mit Krach und Verderben haben vorbeidonnern sehen, weil sie ein bisschen von der Weltbank probiert haben. [...] »Was sind tausend Ökonomen des IWF, die auf dem Meeresboden liegen? - Ein guter Anfang«, wird bei der Weltbank gespottet. Ein russischer Witz: Treffen sich zwei Ökonomen. Fragt einer den anderen: »Verstehst du, was passiert?« Antwortet der andere: »Warte, ich erklär es dir.« - »Nein nein« widerspricht der erste, »erklären ist nicht schwer, ich bin auch Ökonom. Was ich dich frage, ist: Verstehst du es?« (vgl. Naut. S. 46).“
„Der Fortschritt ist überall im allgemeinen Verständnis zum Synonym von Desaster geworden (vgl. Naut. S. 47).“
„»Da sie so tun, als würden sie uns bezahlen, tun wir so, als würden wir arbeiten«, wurde in den Fabriken gesagt. »Wenn dem so ist, hören wir auf, so zu tun« antwortete die Oligarchie. Für die einen die Rohstoffe, die industrielle Infrastruktur, der militärisch-industrielle Komplex, die Banken und die Nachtklubs und für die anderen das Elend oder die Emigration (vgl. Naut. S. 48).“
„Eine Schrulle ersetzt die andere, es folgt die Wachstumsrücknahme. Wenn ATTAC mit ihren Abendkursen versuchte, die Wirtschaft als Wissenschaft zu retten, dann behauptet die Wachstumsrücknahme, sie als Moral zu retten. Die einzige Alternative zur vorrückenden Apokalypse: zurücknehmen. Konsumieren und weniger produzieren. Mit Freuden genügsam werden. Bio essen, mit dem Fahrrad fahren, aufhören zu rauchen und alle Produkte streng kontrollieren, die gekauft werden. Sich mit dem absolut Nötigen zufrieden geben. Freiwillige Anspruchslosigkeit. »Den wahren Reichtum entdecken im Aufblühen von geselligen sozialen Beziehungen in einer gesunden Welt.« »Aus unserem natürlichen Kapital nichts abschöpfen.« Hin zu einer »gesunden Wirtschaft«. »Der Regulierung durch das Chaos zuvorkommen.« »Keine soziale Krise generieren, die Demokratie und Humanismus in Frage stellt.« Kurz: Wirtschafter werden. Zurück zur Ökonomie von Papa, ins goldene Zeitalter des Kleinbürgertums: die Fünfziger Jahre. »Wenn das Individuum ein guter Wirtschafter wird, dann erfüllt dessen Eigentum genau seinen Zweck, ihm zu ermöglichen, sein eigenes Leben zu genießen, abseits der öffentlichen Existenz oder in der privaten Einfriedung seines Lebens.«
Apple und die Wachstumsrücknahme sind sich erstaunlich einig über die Zivilisation der Zukunft. Die Idee der einen, von der Rückkehr zur Wirtschaft von einst, ist der günstige Nebel, in dem die Idee der anderen vom großen technologischen Sprung voranschreitet. Denn in der Geschichte gibt es keine Rückkehr. Die Mahnrufe, in die Vergangenheit zurückzukehren, stellen niemals etwas anderes dar als eine der Formen des Bewusstseins der Zeit, und selten des modernsten. Die Wachstumsrücknahme ist nicht zufällig das Banner der dissidenten Werbemanager der Zeitschrift Casseurs de pub. Die Erfinder des Nullwachstums – Der Club of Rome 1972 – waren selbst eine Gruppe von Industriellen und Beamten, die sich auf einen Bericht von Kybernetikern des MIT stützten (vgl. Naut. 49ff).“
namenlos
„Aufstand“ (III von III)
„Die Situation ist folgende: man hat sich unserer Eltern bedient, um diese Welt zu zerstören, nun möchte man uns an ihrem Wiederaufbau arbeiten lassen, und der soll noch dazu profitabel sein. Die morbide Erregung, die Journalisten und Werbemanager bei jedem neuen Beweis für die Klimaerwärmung erfasst, enthüllt das eiserne Lächeln des neuen grünen Kapitalismus, jenes, der sich seit den 1970ern ankündigte, auf den man wartete und der nicht kam. Et bien, le voilá! Die Ökologie, das ist er! Die alternativen Lösungen, das ist er! Das Heil des Planeten, das ist er immer noch! Kein Zweifel: grün liegt in der Luft; die Umwelt wird das Drehmoment der politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts sein. Auf jeden Schub Katastrophismus folgt eine Salve »industrieller Lösungen« (vgl. Naut. S. 55).“
„Es heißt, dass die Umwelt das unvergleichliche Verdienst hat, das erste globale Problem zu sein, das sich der Menschheit stellt. Ein globales Problem, also ein Problem, wofür nur diejenigen die Lösung haben können, die global organisiert sind. Und diese, die kennen wir. Es sind dies die Gruppen, die seit fast einem Jahrhundert die Avantgarde des Desasters sind und fest entschlossen dies zu bleiben, zum minimalen Preis eines Logo-Wechsels (vgl. Naut. S. 56).“
„Indem sie ihre Fahne der freiwilligen Selbstbeschränkung schwenken, arbeiten sie freiwillig und konform zum »kommenden ökologischen Ausnahmezustand«. [...] Indem sie ihre Fahne der freiwilligen Selbstbeschränkung schwenken, arbeiten sie freiwillig und konform zum »kommenden ökologischen Ausnahmezustand« [...] »Es liegt an jedem Einzelnen, sein Verhalten zu ändern«, sagen sie, wenn wir unser schönes Zivilisationsmodell retten wollen. Es muss wenig konsumiert werden, um noch konsumieren zu können. Biologisch produzieren um noch produzieren zu können(vgl. Naut. S. 57).“
„Wer behauptet, dass die verallgemeinerte Selbstkontrolle uns das Erleiden einer Umweltdiktatur ersparen wird, lügt: das Eine wird das Andere in die Wege leiten und wir werden beides kriegen (vgl. Naut. S. 59).“
„Einige Tage, nachdem New Orleans vom Hurrikan Cathrina heimgesucht wurde. In dieser apokalyptischen Atmosphäre reorganisiert sich hier und dort ein Leben. Vor der Untätigkeit der Behörden, die eher mit der Reinigung des Touristenviertels »Carré français« und dem Schutz der Geschäfte beschäftigt waren, als den armen Stadtbewohnern Hilfe zu leisten, erwachten vergessene Formen zu neuem Leben Trotz den manchmal energischen Versuchen, die Zone zu evakuieren, trotz der von White-Supremacist-Milizen bei diesem Anlass eröffneten »Negerjagd«, wollten viele das Gebiet nicht verlassen. Für diejenigen, die sich weigerten, als »Umweltflüchtlinge« in alle Ecken des Landes deportiert zu werden, und für diejenigen von überall her, die sich nach dem Aufruf eines ehemaligen Black Panther entschieden, sich ihnen solidarisch anzuschließen, tauchte die Offenkundigkeit der Selbstorganisierung wieder auf. Innerhalb weniger Wochen wurde die Common Ground Clinic auf die Beine gestellt. Dieses waschechte Landkrankenhaus bietet vom ersten Tage an, dank dem unaufhörlichen Strom von Freiwilligen, immer effizientere, kostenlose Pflege an. Seit nun einem Jahr bildet die Klinik die Basis eines tagtäglichen Widerstands gegen die Tabula-Rasa-Aktion der Regierungsbulldozer, die darauf abzielt, den ganzen Stadtteil dem Erdboden gleichgemacht an den Immobilienmakler zu übergeben (vgl. Naut. S. 63).“
Mehr möchte ich hierzu vorerst nicht posten. Nur soweit aus der ersten Hälfte des Essays Der kommende Aufstand. Ich hoffe es war bis hierhin ein bisschen interessant.
namenlos
Vielen Dank, namenlos, für diese sehr schöne Auswahl an Exzerpten, die sich hervorragend anschließen an die Vision des WBGU für die "Große Transformation", an meine Kritik und auch an die von Reiner S.
Die Lektüre Ihrer Exzerpte ist durchaus "ein bisschen interessant" - inhaltlich, stilistisch und formal sicherlich ein klarer Gegenpol zur WBGU Schrift. Sie vermittelt exakt das was ich meinte mit "artig um wenigstens ein bisschen ein Gefühl für einen Aufstand anfragen" - eine Formulierung, die, wie mir inzwischen einfiel, auf einen Buchtitel von Rolf Dieter Brinkmann bezug nimmt: "Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Reise Zeit Magazin".
Genau darum geht es: um die Präzisierung eines Gefühls (der Unzufriedenheit mit dem WBGU Entwurf).
Ein Element der Präzisierung ist es, den technokratisch-autoritären Zugriff des WGBU Entwurfs zu thematisieren - was sowohl ich, Rainer S. als auch "der Aufstand" machen - wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motivationslagen bzw.oft entgegengesetzter ideologischer Basis.
Es geht zuerst mal gar nicht so sehr darum, wer denn Recht hat: Rainer S. mit seinem vermeintlich rationalen Ökonomismus; ich mit meiner Neigung zum "Vorsorgeprinzip und globalgalaktischer Verantwortung" (Rainer S.) oder die Autoren des Aufstands mit ihrer (verschwörungstheoretischen) Vision eines kapitalistischen Systems, das es zu bekämpfen gilt. Wichtig ist zuerst einmal, dass der scheinbar so rational-wissenschaftliche Entwurf des WGBU kein Deut weniger "ideologisch" ist als die anderen Entwürfe.
Schlagendes Beispiel ist hier die permanente Bezugnahme auf das 2 Grad Ziel, das alle politischen Transformations-Interventionen legitimiert. Das 2 Grad Ziel ist aber, wie hier auf der klimazwiebel schon öfters diskutiert, eindeutig ein politisch-wissenschaftliches "border object", das eher politisch "suitable" denn wissenschaftlich fundiert ist. Was sich hier als "evidence based policy" gibt, ist doch wohl eher "policy based evidence".
Es lässt sich mit Rainer S. fragen: wenn das so ist, ist dann nicht auch der ganze Klimawandelzirkus Ideologie? Oder mit Hans von Storch (wenn ich ihn da richtig interpretiere): wenn das so ist, warum dann nicht Welthunger statt CO2 als Thema der Großen Transformation wählen?
Ich bin kritisch gegenüber dem verschwörungstheoretischen Element in "der Aufstand", aber ich finde es tatsächlich "präzisierend", dass hier die Klima- und Umweltfrage als eine politische Machtfrage so offen thematisiert wird. Eine Machtfrage, die im WGBU Entwurf unter dem Mantel einer Wissenschaft versteckt wird, die sich als außerhalb der Macht / Gesellschaft / Politik stehend sieht. Das ist sie aber nicht.
Ein weiterer Gewinn, den ich aus "der Aufstand" ziehe, ist die Erweiterung der Diskussion um so etwas wie "die Gefühle". Die Präzisierung der Gefühle ist tatsächlich umso mehr von Bedeutung, wenn die rein technokratischen oder wissenschaftlich-rationalen Ansätze sich als untauglich erweisen, politisches Handeln zu leiten. Man muss tatsächlich viel (Fingerspitzen-) Gefühl entwickeln, um die Wissenschaft richtig zu situieren: sie steht immer in Beziehung zu ihrem Gegenstand, zu Interessenslagen, Akteuren und Konflikten (anstatt ihnen neutral gegenüber). Sie kann die gesellschaftlichen Konflikte nicht lösen. Zwischen neo-liberalen, revolutionären oder wissenschaftlich-technokratischen Ideologien gibt es Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen, auch nicht durch "richtige" Wissenschaft. Da hilft nur demokratische Auseinandersetzung und eine Hinwendung zu den Dingen, um die es tatsächlich geht (und da spielen ideologische Widersprüche oft gar keine so tragende Rolle, Wissenschaft hingegen eine wichtige beratende Rolle.).
Claus Leggewie hielt am Goethe-Institut Sarajevo einen Vortrag, der im Deutschland Radio Wissen (DRW) (24. Jan. 2011) ausgestrahlt wurde. Thema: Die Demokratie im Klimawandel.
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/01/24/drw_201101242004_hoersaal_-_das_ende_der_welt_wie_03ba6c15.mp3
Leggewie behauptet, er rede niemals von „Klimakatastrophe“ (DRW 16. Min.), aber er befürchtet, dass diejenigen Forscher, die Anhänger einer Klimakatastrophentheorie sind, recht haben (20. Min). Außerdem beinhaltet sein Vortrag einen „apokalyptischen Teil“ (19. Min.). Er benutzt viele Super- und Elative, und Worte wie „Sintflut“, „extrem“ („Extremwetterlagen“ und ähnliches), „dramatisch“, „Gefahr“ und „Klimakrise“. Überdies zeigt er seinem Publikum eine Grafik der Ausdehnung der arktischen Eiskappe im Verlauf von 1979 bis 2007 (und nicht eine bis 2010/2011) und beruft sich auf Klimamodelle.
Ich sehe einen Widerspruch: Er sagt zwar: „[I]ch bin nicht ein Moralist, der Ihnen sagt: 'Sie müssen!', und ich bin auch keiner, der drakonische Ökodiktaturen aufrichtet. Ich stelle anheim (39. Min.)“, dennoch scheinen einige seiner Lieblingsworte „wir müssen“, „weltweit“ und „global“ zu sein. Und wer errichtet „drakonische Ökodiktaturen“?
Woher er seine Behauptung: „Wir sind in einer Phase, in der globale Kooperation zurückgeht (24. Min.).“ her nimmt, bleibt sein Geheimnis.
Er tut so, als wisse er, wie lange CO2 in der Atmosphäre verweile und fordert schnellstes Handeln (Achtung: Verschwurbelter „Satz“): „Da, wo das CO2 nicht weggeht, wo es bleibt, über Jahrzehnte, die Halbwertszeiten sind nicht so lang wie beim strahlenden Atom, aber sie sind auch sehr lang, und deswegen haben wir nur noch, und das zeigen diese Linien sehr gut, die Sie hier haben, wenige Jahre Zeit, um die CO2 Emissionen so zu reduzieren, dass wir im Jahre 2050 in die Richtung einer Null-Emission kommen, die notwendig ist, um gefährlichen Klimawandel zu verhindern (25. Min.).“
Zum Verzweifeln: „Jeder Klimaforscher fängt mit diesem Bild an. Das ist der berühmte Hockeyschläger. Viel umstritten. Trotzdem wahr (DRW 17. Min.).“
Märchen: „Wir können, sozusagen, uns wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen (29. Min.).“
Unkenruf: „Wir haben Peak Oil längst erreicht (31. Min.).“
Scherz?: „Schwarzenegger hat es schon verstanden (37. Min.).“
Glaube?: „Das Ozonloch schließt sich wieder in den nächsten achtzig Jahren (43. Min.).“
Ohne Worte: „Das hat es noch nie gegeben, dass sich die Menschheit unter einem von der Natur diktiertes Begrenzungsziel gesetzt [sic] hat (45. Minute).“
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Die medienbeherrschende Stellung dieser Art „Change Agents“, die wie Leggewie und seine Kollegen H.J. Schellnhuber und J.P. Holdren (alle miteinander „befreundet“) der Welt nur wenige Jahre zu ihrer totalen Umstrukturierung geben (vgl. a. hier), ist zumindest frustrierend, wenn nicht beängstigend.
namenlos
Leggewies Vortrag im Goethe-Institut (vgl. Deutschland Radio Wissen; s.o.) ist meiner momentanen Auffassung nach nicht nur teilweise inkohärent (s.o.) und unverständlich („Mehr Demokratie!“ Aber wie? Mit ein paar „Change Agents?“), sondern widerspricht in einigen Punkten meiner unmaßgeblichen Ansicht nach einigen Positionen, die im WBGU-Papier gegeben werden, für das er sich auch mitverantwortlich zeichnet:
„Die Europäische Union, die Kommission, hat jede Menge Maßnahmen in der Schublade, die morgen durchgeführt werden können, und die Ihnen alles Mögliche verbieten. Das ist die Option nicht einer Ökodiktatur, aber sehr wohl eines autoritären Maßnahmenstaates, der in diese Richtung geht. Die EU kann aber auch mit Ihrer Hilfe, mit Ihrer Mitwirkung, zu einem Prozess kommen, in dem die demokratischen Qualitäten zur Geltung kommen können. Und die sind, dass wir politisch gleich sind, die sind, dass wir eine Mehrheitsregel haben, wo der Minderheitenschutz gilt, die sind, dass Demokratien nicht nur die Tyrannei der Mehrheit sind durch Wahlen, wie am nächsten Sonntag, sondern dass Wahlen eingebettet sind in Gesetzte von Rechtsstaat und Verfassungsstaatlichkeit, und dass Entscheidungen reversibel sind. Die Entscheidungen, die gefällt worden sind im Blick auf die Energieproduktion sind kaum reversibel, was zum Beispiel die Atomenergie anbetrifft, und das können Demokratien sehr schlecht ab. Das ist also die falsche Konsequenz (DRW 51. Min.f.).“
WBGU (S. 22): „Am einen Ende stehen polyzentrische Transformationsansätze mit unterschiedlichen Ambitionsniveaus und zunächst begrenzter geographischer oder sektoraler Reichweite, die darauf setzen, durch „Häufigkeitsverdichtungen“ eine unumkehrbare Gesamtdynamik zu erzeugen.“
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„Jetzt sagt die Klimaforschung, und deswegen habe ich eben von der sogenannten 2-Grad-Leitplanke gesprochen, dass wir nicht über 2 Grad hinaus sollten aus Gründen, die mit der Physik des Klimawandels zusammenhängen (DRW 18. Min.).“
WBGU (S. 2): „Es gibt einen globalen politischen Konsens darüber, dass eine rasch erfolgende Erderwärmung von mehr als 2°C die Anpassungsfähigkeit unserer Gesellschaften überfordern würde.“
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Claus Leggewie gibt im Gespräch mit Karin Fischer im Deutschlandfunk (03.04.2011) zu: „Man hat uns permanent entmündigt.“
namenlos
@namenlos #6 und #7
Vielen Dank für das "abhören" und transkibieren der wichtigen Passagen aus dem Leggewie Interview(inklusive Ihrer kurzen Kommentare)! Es ist zum Haare raufen...als ob er denen, die reflexhaft "Ökodiktatur" rufen, sobald auch nur das Wort "Energiewende" auftaucht, auch noch Argumente in die Hand liefern wollte. Damit erweisen er und seine Freunde der Sache einen Bärendienst.
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