Friday, July 26, 2013

Patrick Imhasly in der NZZ am Sonntag vom 7.Juli 2013

Noch mehr Klimaziele

Der Klimawandel führt zur Erderwärmung, bedroht aber auch Ozeane und Böden. Forscher fordern darum eine stärkere Reduktion der CO2-Emissionen. Das bringt die Klimapolitik kaum weiter. Von Patrick Imhasly

Der Klimawandel findet statt, und er stellt die Welt vor grosse Herausforderungen. Darüber sind sich die meisten Klimaforscher und Umweltpolitiker einig. Doch ab wann wird die globale Erwärmung wirklich zum Problem für uns Menschen?


In den letzten Jahren hat sich in der internationalen Klimapolitik das ZweiGrad-Ziel als eine Art magische Grenze des Erträglichen etabliert. Auch wenn dieser Wert eher ein klimapolitisches Konstrukt als eine wissenschaftlich begründete Limite darstellt, hat man sich darauf verständigt: Ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit lässt sich gerade noch in den Griff kriegen.

Doch jetzt stören Klimaforscher der Universität Bern diesen Konsens - mit einer Publikation im renommierten britischen Fachblatt "Nature", welche diese Woche online erschienen ist. Sie definiert neben dem Zwei-Grad-Ziel fünf weitere Klimaziele, die die Menschheit unbedingt im Auge behalten sollte. "Der Klimawandel bedeutet mehr als nur eine Erhöhung der Temperatur", erklärt Marco Steinacher, der Hauptautor der Studie. "Mit dem Zwei-Grad-Ziel allein wiegen wir uns in falscher Sicherheit." Um das Klimasystem umfassend vor einer gefährlichen Beeinflussung des Menschen zu schützen - wie das die 1992 verabschiedete Klimarahmenkonvention der Uno (UNFCCC) vorsieht  - , braucht es nach Ansicht der Berner Wissenschafter eine Kombination von globalen und regionalen Zielen.

Konkret schlagen die Klimaphysiker diese sechs Klimaziele vor:
  • die globale Erwärmung auf zwei Grad beschränken;
  • die Bedrohung tropischer Korallen minimieren - das Treibhausgas Kohlendioxid versauert die Meere, wenn es sich im Wasser löst, was die Skelette von Korallen angreift;
  • aus dem gleichen Grund die Zersetzung der Kalkschalen von Meerestieren wie Muscheln oder Schnecken im südlichen Ozean vermeiden;
  • den Verlust von Kohlenstoff auf Ackerflächen begrenzen - je wärmer es wird, desto mehr Kohlendioxid setzen Bodenbakterien dort frei, und der Treibhauseffekt verstärkt sich;
  • die Produktion von Nahrungsmitteln sicherstellen, zumal durch Dürren oder Überschwemmungen Anbauflächen verloren gehen dürften;
  • den Anstieg des Meeresspiegels begrenzen, der flache Küstengebiete bedrohen könnte.
Ein integrierter Klimaschutz, von dem das ganze Ökosystem Erde profitiert: Das tönt gut, doch dieses Paket ist nicht gratis zu haben. Durch Simulationen mit einem Erdsystemmodell zeigen die Berner Klimaphysiker denn auch im Detail auf, welche Gegenleistung die Menschheit dafür zu erbringen hat. "Wenn wir alle Klimaziele zusammen berücksichtigen, muss der CO2-Ausstoss künftig doppelt so stark reduziert werden, wie wenn wir einzig das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen", sagt Marco Steinacher.

Das ist eine Herkulesaufgabe, zumal verschiedene Studien zum Schluss gekommen sind, dass nur schon das Zwei-Grad-Ziel zu entschwinden drohte, wenn die Treibhausgasemissionen nicht rasch und massiv gesenkt werden. Der weltweite Ausstoss von Kohlendioxid aus fossilen Quellen ist aber laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch angestiegen "Es führt kein Weg daran vorbei: Wollen wir die Risiken für das Klimasystem vermindern, dann müssen wir bei der Reduktion der fossilen CO2Emissionen vorwärtsmachen", sagt Fortunat Joos, neben Thomas Stocker der zweite Mitautor der >"Nature"-Studie aus Bern.

"Sicheres Betätigungsfeld"

"Wie bei den meisten Studien auf der Basis von Modellen liegt die Bedeutung dieser Arbeit weniger in den konkreten Zahlen als in einer grundlegenden Erkenntnis", schreibt der ETH Klimaphysiker Joeri Rogelj in einem Kommentar in "Nature". Die Studie beschreibe eine Art "sicheres Betätigungsfeld für die Menschheit". Und er ist überzeugt: "Die Relevanz solcher Arbeiten für politische Entscheidungsprozesse kann nicht hoch genug eingeschätzt werden."

Doch genau das bezweifelt der Politikwissenschafter Oliver Geden. "Nimmt ein Politiker die Erkenntnisse dieser Studie zum Nennwert, dann müsste er sich fragen: Warum soll ich Dinge beschliessen, die noch viel unrealistischer sind als das Zwei-Grad Ziel?", erklärt der Experte für Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die Bundesregierung und Parlament berät. Geden bringt damit eine prinzipielle Diskrepanz auf den Punkt -  nämlich, dass sich die Logik der Wissenschafter fundamental von jener der Politiker unterscheidet. "Den Klimawandel nicht auf Temperatureffekte zu reduzieren, dieser Ansatz ist wissenschaftlich absolut legitim", erklärt Geden. "Aber zumindest den Entscheidungsträgern an der Spitze der Politik hilft es nicht weiter, wenn man die Komplexität erhöht."

Wissenschafter identifizieren ein Problem, erarbeiten eine Lösung, setzen sich ein Ziel und suchen dann nach Massnahmen, um dieses Ziel möglichst effizient zu erreichen. Im Politikbetrieb hingegen werden Ziele viel
weniger konsequent verfolgt: Wenn Sachzwänge es nötig machen, ändern Politiker ihre Ziele ab oder geben sie sogar ganz auf. "Politik hat immer noch die Tendenz, sehr kurzfristig orientiert zu sein", sagt Oliver Geden.

Der Weg aus dem Dilemma  

Ähnlich ernüchternde Erfahrungen hat auch der Klimaphysiker Reto Knutti von der ETH Zürich gemacht, der am neuesten Bericht des Uno-Klimarats IPCC mitarbeitet. "Die Klimawissenschaft hat immer gesagt: Ihr müsst die CO2-Emissionen reduzieren, dann wird alles gut. In der Praxis herrschen aber Zielkonflikte, darum kommt die internationale Klimapolitik nicht vom Fleck", sagt der Forscher.
Naturschützer möchten die Gletscher durch die Verwendung von Energieträgern aus nichtfossilen Quellen vor dem Abschmelzen bewahren, Vogelschützer wollen aber keine Windturbinen, und Staaten wie China denken nicht daran, sich ihr wirtschaftliches Entwicklungspotenzial von klimapolitischen Massnahmen einschränken zu lassen. "Aus diesem Dilemma gibt es keinen einfachen Ausweg", erklärt Knutti. "Es wäre naiv, zu glauben, die Wissenschaft könne diese Zielkonflikte lösen." Wie in anderen Politikfeldern führe auch in der Klimapolitik wohl nur ein langer und schmerzhafter Prozess der Konsensfindung weiter.

"Statt ständig über Klimaziele und Zeitpläne zu reden, sollten wir in der Klimapolitik pragmatisch vorgehen und uns zum Beispiel fragen: Was sind wir bereit, in den nächsten fünf Jahren zu tun?", sagt Oliver Geden. In Staaten - besonders in Demokratien -  sei es unmöglich, ein politisches Ziel während Jahrzehnten generalstabsmässig zu verfolgen. Schon bei den nächsten Wahlen kann sich die umweltpolitische Agenda ändern. Geden plädiert deshalb dafür, vom globalen Masterplan zur Rettung des Klimas durch verbindliche Grenzwerte wegzukommen. "Klimapolitisch ambitionierte Staaten sollten nicht grosse Ziele definieren, sondern versuchen, bei den Emissionen eine Trendwende herbeizuführen."

Insbesondere die Europäer stehen laut dem Berliner Klimapolitik-Experten vor der ganz praktischen Aufgabe, zu zeigen, inwiefern eine Dekarbonisierungsstrategie technologisch möglich und zugleich ökonomisch erfolgreich sein kann. Einen Schritt in diese Richtung hat auch US-Präsident Barack Obama getan, als er jüngst ankündigte, etwa durch die Förderung erneuerbarer Energien oder Abkommen mit Drittstaaten den Klimaschutz auf eigene Faust voranzutreiben.

"Wenn ein Auto gegen eine Mauer fährt, fragt sich der Fahrer nicht, wie stark er bremsen soll, er bremst einfach", erklärt Klimaforscher Reto Knutti. Wir sollten nicht lange darüber diskutieren, um wie viele Milliarden Tonnen die CO2-Emissionen gesenkt werden müssten, sondern damit anfangen. "Die Ziele, die wir damit erreichen wollen, können wir später noch justieren." Und Oliver Geden sagt: "Lässt man sich auf eine pragmatische Haltung im Klimaschutz ein, dann können nicht alle wünschbaren Klimaziele erreicht werden. Wichtiger ist, dass nach Jahrzehnten des Stillstands überhaupt etwas in Gang kommt."

Mit freundlicher Genehmigung durch Patrick Imhasly

13 comments:

hvw said...

Nice post!

Fun fact #12 about the internet: You can link to your sources!

Examples:

Steinacher et al., 2013

Supporting Information

Rogelj's comentary

Anonymous said...

Über den ältesten Beruf der Menschheit gibt es immer wieder mal Mutmaßungen. Jener des "Katastrophenwarners" dürfte einen der Spitzenplätze belegen.

Zahllos die Propheten, die vor Dürren, Missernten, Heuschreckenplagen, Fluten, Kometen usw. warnten - teilweise Recht behielten, oder grandios scheiterten.

Die Berner und Zürcher Kollegen finden sich in illustrer Gesellschaft, wenn sie im Sommerloch die alte, bewährte Trommel schlagen. Ein Auskommen war damit immer zu finden. Staatliches Geld floss schon früher reichlich und in seiner Höhe proportional zur Größe des angekündigten Verderbens, dass - damals wie heute - ohne jeden Zweifel auf das sündhafte Tun der Menschen zurückzuführen war. Die Prophezeiungen dabei stets begleitet von mehr oder weniger tauglichen Rezepten zur Beseitigung der angeblichen Ursachen.

Das Geschäftsmodell "Katastrophismus" als Job hat sich über die Zeiten nicht wesentlich verändert. Weshalb auch, es besorgt seinen Priestern überreichlich Einkommen und Ansehen.

Mit der AGW-Hypothese wäre eigentlich nicht mehr viel Staat zu machen, betrachtet man die eher verlässlichen Daten, aber sie scheint derart festgebrannt in den Köpfen, dass sich damit weiterhin bequem ein Auskommen finden lässt.
Zweites Standbein, wichtig für jeden vorsichtigen Unternehmer: die bedrohliche Versauuerung der Meere. Nachweislich völliger Blödsinn zwar, aber immer passend im Angebot, zumal die Eisbären der Erwärmung entgegen anders lautender Prognosen offenbar nur Vorteile abgewinnen.

Vielleicht sollten die Berner Wissenschaftler mal den pH-Wert ihres Hausflusses Aare näher studieren und echt auf die Alarm-Pauke hauen ...
http://www.hydrodaten.admin.ch/lhg/az/plots/naduf/7day/N2085_7.PDF ... nachdem ihre Zuständigkeit für maritime Gewässer auf Grund der geografischen Lage eher zweifelhaft erscheint ...
http://wattsupwiththat.com/2013/07/08/ocean-acidi-what

Egal, Hauptsache, Katastrophe und irgendein dagegen wirkendes Ritual: früher u. a. Vogelzüge, Lebern oder noch zuckende Menschenherzen beobachten und deuten, Opfer bringen, Ablass kaufen, beten, beschwören – heute auf Teufel komm raus CO2 vermeiden.
Hilft's was - gut, hilft‘s nichts –auch gut, denn dann hilft irgendwas anderes, – bestimmt.

Unter dem Strich gilt in kaum unterbietbarer Banalität: ja, tatsächlich das Klima ändert sich. Irgendwie merkwürdig, aber Bauern, Zimmerleute, Dachdecker, Fischer usw. scheinen das sei jeher zu wissen. Diesen "Konsens" werden auch fünf weitere "Klimaziele" kaum stören. Irgendwie die Fünf-Gewürze-Lösung für ein zunehmend dünneres, immer fader schmeckendes Unheil-Süppchen.

V. Lenzer

Hans von Storch said...

V. Lenker: "bedrohliche Versauuerung der Meere. Nachweislich völliger Blödsinn" - mögen Sie das erläutern?

S.Hader said...

"Egal, Hauptsache, Katastrophe und irgendein dagegen wirkendes Ritual: früher u. a. Vogelzüge, Lebern oder noch zuckende Menschenherzen beobachten und deuten, Opfer bringen, Ablass kaufen, beten, beschwören – heute auf Teufel komm raus CO2 vermeiden."

Lieber Herr Lenzer, zwischen Schamanismus und heutiger Wissenschaft hat sich eine Menge getan. Wenn ich jetzt Ihren Beitrag so lese, dann habe ich allerdings so meine Zweifel, ob sie diese Entwicklung in groben Zügen überhaupt erfasst haben. Ihre pauschale Kritik an Vorhersagen und Prognosen, die sie schlichtweg mit "Katastrophismus" bezeichnen, ist für das praktische Leben wenig brauchbar. Das Schöne an der Wissenschaft ist ja, so finde ich, dass sie auch funktioniert, selbst wenn man nicht an sie glaubt. ;)

Anonymous said...

@ Hans von Storch

Neben dem bereits verlinkten Essay ...

http://wattsupwiththat.com/2013/07/08/ocean-acidi-what ?

Hier eine Reihe weiterer Quellen zum Thema ...

http://www.co2science.org/articles/V16/N30/EDIT.php

http://www.co2science.org/articles/V12/N22/EDIT.php

http://www.co2science.org/subject/o/summaries/acidificationphenom.php

http://www.co2science.org/articles/V13/N26/EDIT.php


@ Hader

"zwischen Schamanismus und heutiger Wissenschaft hat sich eine Menge getan ..."
Sind Sie sich da in Fällen sicher? Und ob "Das Schöne an der Wissenschaft" sei, "dass sie auch funktioniert" wird sich auch nicht pauschal behaupten lassen.

Der Katastrophist pflegt eher selten aufrecht in die Niederlagen seiner verfehlten Prophezeiungen zu gehen, oder gar Einsicht zu zeigen. Meist wiederholt er die Voraussagen und nennt ein neues, am besten fernes Eintrittsdatum, oder er verlegt den Ort des Geschehens in abgelegene, schwer überprüfbare Regionen ... "Die Tiefe der Ozeane" etwa.

V. Lenzer

Anonymous said...

@ V. Lenzer

Blogosphäre ist schon etwas Tolles, man findet dort einfach alles, man muss nur wissen wo.

Andreas

Anonymous said...

@ Andreas

Sarkasmus ist das probate Gratismittel, um sich eine nähere Auseinandersetzung und die mühsame Lektüre von Fachliteratur vom Leib zu halten. Die mit bescheidensten rhetorischen Mitteln vorgetäuschte Pseudoexpertise und Ersatzkompetenz für alle Fälle offenkundiger Ahnungslosigkeit und aufkommender Unzulänglichkeitsempfindungen.

Idsos einzigartige Materialsammlung verdient sicher besseres.

Strengen Sie sich ein klein wenig an, bevor Sie in der Galle intellektueller Bequemlichkeit versauern ; -}

V. Lenzer

Anonymous said...

@ Andreas

Sarkasmus ist das probate Gratismittel, um sich eine nähere Auseinandersetzung und die mühsame Lektüre von Fachliteratur vom Leib zu halten. Die mit bescheidensten rhetorischen Mitteln vorgetäuschte Pseudoexpertise und Ersatzkompetenz für alle Fälle offenkundiger Ahnungslosigkeit und aufkommender Unzulänglichkeitsempfindungen.

Idsos einzigartige Materialsammlung verdient sicher besseres.

Strengen Sie sich ein klein wenig an, bevor Sie in der Galle intellektueller Bequemlichkeit versauern ; -}

V. Lenzer

S.Hader said...

@V.Lenzer

""zwischen Schamanismus und heutiger Wissenschaft hat sich eine Menge getan ..."
Sind Sie sich da in Fällen sicher?"


Ja. :)

"Und ob "Das Schöne an der Wissenschaft" sei, "dass sie auch funktioniert" wird sich auch nicht pauschal behaupten lassen."

Nennen Sie mal Gegenbeispiele.

Hans von Storch said...

Frage ist wohl, was "funktionieren" bedeutet. welche Funktion wiesen wir - als Gesellschaft - "der" Wissenschaft zu?

Anonymous said...

@ Hader

"Ja. : )"

Ihre Antwort spricht Bände. Weanerisch ausgedrückt: die Kollegen in Potsdam etc. tun wir am besten gar ned ignorieren, ok?

"Nennen Sie mal Gegenbeispiele"

Auch die Frage werden Sie mit Blick auf die Geschichte kaum ernsthaft stellen.

Um ein klein wenig auszuholen: wenn Sie sich Wissenschaftsnähe dadurch erhoffen, möglichst nah am Mainstream mitzuschwimmen, werden Sie oft erbärmlich falsch liegen – wären Sie oft erbärmlich falsch gelegen ...

Alfred Wegener bietet dafür nur eines unter zahlreichen Beispielen, Lyssenko gäbe – in negativer Hinsicht – ein weiteres.
Aktuelle Beispiele finden Sie regelmäßig hier ...

http://junkscience.com

Im Übrigen wurden helle Geister wie Kepler, Galileo, Darwin u. a. von ihren Zeitgenossen auch nicht eben freundlich aufgenommen.

Wissenschaft "funktioniert" letztlich durch Skepsis und Skeptiker – bzw. durch die schwindende Summe unwiderlegbarer Einwände. Allein sie schärfen die "Klinge der Erkenntnis" - um es pathetisch auszudrücken.

Mag sein, Sie mochten das nicht hören, aberl eider steht hier nichts besseres im Angebot.

Ihre Antwort, Herr Hader?

S.Hader said...

Herr Lenzer, richtig? Sie hatten Ihr letztes Posting nicht unterschrieben. Ja, wenn Sie unter einer nicht funktionierenden Wissenschaft verstehen, dass man zu einer bestimmten Zeit, eine aus heutiger Sicht nicht korrekte Antwort auf eine bestimmte Frage gegeben hat, dann haben Sie vollkommen Recht. Nur ändert das nicht viel an der praktischen Stärke und Funktionsweise der Wissenschaft generell. Diejenigen, die Wissenschaft betreiben, haben sich auf Arbeitsmethoden und Maßstäbe innerhalb ihrer Disziplin geeinigt. Und dieses Prinzip funktioniert ganz gut, auch wenn es in Einzelfragen immer noch zu falschen Antworten führt. Aber diese werden mit der Zeit auch revidiert.

Ich sehe von daher ihr letztes Posting nicht so sehr im Widerspruch zu meinen Aussagen. Es ist wieder mal eine Definitionsfrage, wie man "funktionieren" konkret definiert.

Karl Kuhn said...

Komisch, dass sich niemand mit den erweiterten Zielen befasst (und stattdessen wieder darüber gestritten wird, wie heile die Wissenschaftswelt ist, was mit dem Thema hier nichts zu tun hat).

Also, die erweiterten Ziel:

- die globale Erwärmung auf zwei Grad beschränken;
- die Bedrohung tropischer Korallen minimieren - das Treibhausgas Kohlendioxid versauert die Meere, wenn es sich im Wasser löst, was die Skelette von Korallen angreift;
- aus dem gleichen Grund die Zersetzung der Kalkschalen von Meerestieren wie Muscheln oder Schnecken im südlichen Ozean vermeiden;
- den Verlust von Kohlenstoff auf Ackerflächen begrenzen - je wärmer es wird, desto mehr Kohlendioxid setzen Bodenbakterien dort frei, und der Treibhauseffekt verstärkt sich;
- die Produktion von Nahrungsmitteln sicherstellen, zumal durch Dürren oder Überschwemmungen Anbauflächen verloren gehen dürften;
- den Anstieg des Meeresspiegels begrenzen, der flache Küstengebiete bedrohen könnte.

Teilweise scheinen das einfach zusätzliche Constraints/Indikatoren zu sein, bei denen dann der CO2-Ausstoß weiter reduziert werden soll.

Wenn also der Meeresspiegel ansteigt, ohne dass das 2-Grad-Ziel in Gefahr gerät, muss trotzdem CO2-Mitigation unbedingt Vorrang genießen?

Wenn das Niveau der Nahrungsmittelpreise weiter real ansteigt wie seit 2007, ist das dann ein unbedingtes Signal, dass der CO2-Ausstoß vermindert werden soll?

Wenn Ackerböden Humus verlieren und damit mehr CO2 abgeben - ist das ein Problem, das die Klimapolitik lösen muss?

Mit den letzteren beiden Punkten scheint mir, dass versucht wird, die sich Legitimation für eine Mitigation-betonte Klimapolitik aus verwandten Problembereichen herzuholen, weil das mit den Temperaturen schiefgehen könnte. Allerdings sind solche Multi-Objective-Vorhaben (Weihnachtswunschlisten) in der Regel noch wesentlich schwieriger erfolgreich umzusetzen, als das wirklich naheliegendste Problem (e.g. the most pressing constraint) zu identifizieren und erst mal daran zu arbeiten. (Und diese Problemidentifikation ist nicht nur die Aufgabe von Klimaforschern, bitteschön!)