Wednesday, February 24, 2016

Nach Paris: Das Klima der Unsicherheit

Der Winterschlaf nach Paris war wohlverdient, aber natürlich geht die Klimadebatte weiter. Aber wohin, und wovon handelt sie? Es ist mal wieder an der Zeit zu sortieren, was sich auf dem Schreibtisch inzwischen so angesammelt hat. Als Leitmotiv dient mir ein kleines Zitat aus einem Interview mit dem Ethnologen David Harvey: "The idea that if we cannot measure it then it does not exist is one of the most dangerous, foolish ideas of our times."
Die Klimawissenschaften sind zu Recht stolz darauf, den von Menschen verursachten Klimawandel als statistische Größe und physikalische Realität identifiziert zu haben. Daraus hat sich allerdings eine eigene Dynamik entwickelt, die Metrik zum Schicksal macht und alle anderen Wissensformen und Realitäten auf den Rang verweist. Dadurch entsteht eine enorme Schieflage und Verengung der Klimadebatte, die große Teile der Realität einfach ausblendet, ganz abgesehen von der Überforderung der Klimawissenschaften als einer Art Leitwissenschaft. Die Warnung von David Harvey blieb mir daher beim Sortieren meiner Artikel über die Debatte um die in Paris vereinbarten 1,5 Grad oder um syrische Klimaflüchtlinge im Sinn.

Mike Hulme kommentiert in Nature Climate Change eine folgenreiche Konsequenz aus dem Abkommen von Paris: Es mehren sich Forderungen nach einem neuen "1,5 Grad IPCC". Ist es nun Aufgabe der Klimaforschung, Szenarien für ein Ziel zu entwerfen, das viele Wissenschaftler in der Realität für völlig unerreichbar halten? Mike Hulme ist skeptisch und schlägt eine Neuordnung der Institution IPCC und einen mehr pragmatischen und policy relevanten Ansatz vor.  An anderer Stelle plädiert er dafür, den Klimawandel eher als ein kulturelles denn als rein physikalisches Phänomen zu verstehen - nach Paris bietet es sich an, auch diesen Faden weiter zu spinnen. Aus dieser Sicht stellt sich natürlich die Frage, was diese 1,5 Grad eigentlich bedeuten: sind sie beim Wort bzw. bei der Zahl zu nehmen oder sind sie nicht doch eher symbolisch zu deuten, als Dokument des Aufbegehrens kleiner Inselstaaten und Ausdruck des Willens nach einer fundamentalen Änderung? Diese Ambivalenz lag auch schon dem 2 Grad Ziel zugrunde. Oliver Geden verweist darauf, dass die 2 Grad schon eine Illusion waren und sieht eine gefährliche Kluft zwischen den Erwartungen von konsistem Handeln als kultureller Norm und den tatsächlichen Unwägbarkeiten (und Untätigkeiten?) der politischen Praxis. Eine Kluft, in der Erwartung und Handeln permanent gegeneinander ausgespielt werden können - wir kennen dieses Pingpong Spiel zu Genüge, auch hier auf der Zwiebel. Vielleicht hilft es, wie Oliver Geden vorschlägt, "die Schwerpunkte der Inkonsistenz zu verschieben"?

Zum Beispiel so: Camila Moreno, Lili Fuhr und Daniel Speich Chassé nehmen in einem Essay auf opendemocracy.net die Rolle der Klimawissenschaften kritisch unter die Lupe. Die Engführung des Klimas als einer metrischen Größe hat ihrer Meinung nach dazu geführt, dass die Klimapolitik in einer "carbon metric" Falle gefangen ist. Der "end of the pipe approach", die CO2 equivalents und der alleinige Fokus auf carbon emissions haben zu einer Klimapolitik geführt, die sich nicht mehr für Ursachen, sondern nur noch für Symptombekämpfung interessiert. Die scheinbar neutrale und objektive Klimaforschung findet sich hier als Legitimation und Motor einer neoliberalen Klimawandelpolitik wieder, die alles andere als neutral und objektiv ist, sondern auf den sogenannten freien Markt und Technologie setzt, mit Geo-engineering als ultima ratio. Was hier als Rundumschlag daherkommt hat einen wichtigen Kern: es geht nicht darum, die Qualität klimawissenschaftlicher Erkenntnisse als Wissensform zu kritisieren - diese steht außer Frage. Vielmehr geht es um die Rolle der Wissenschaft in der Politik und welchen Platz sie in der Gesellschaft neben anderen Wissensformen einnehmen sollte. Es ist ein womöglich verhängnisvoller Irrtum, wissenschaftliche Objektivität mit politischer Neutralität gleichzusetzen - auch davon erzählt die Klimadebatte nach Paris.

An eine durchaus vergleichbare Grenze stoßen die Klimawissenschaften in der Frage nach dem Klimawandel als einer Kriegsursache. Eine Frage, die gerade wieder einmal am Beispiel Syrien aktuell geworden ist und zu heftigen Debatten führt. Die Flüchtlinge müssen dabei zur Selbstfindung einer diesmal wissenschaftlichen Leitkultur herhalten,  und zwar in der ihnen zugeschriebenen Rolle als vermeintliche oder wirkliche Klimaflüchtlinge. Andreas Frey hat dazu einen großen Artikel in der FAS geschrieben und gibt einen guten Überblick über die Debatte, nicht ohne dieselbe mit einigen polemischen Argumenten anzuheizen. Doch das geht auch kaum anders, wird die Debatte doch von Politik und Wissenschaft gleichermaßen zum Anlass genommen, im Kalten Krieg zwischen Alarmisten, Skeptikern und honest brokern rhetorische Landgewinne zu erzielen. Dabei gibt es zum Forschungsstand inhaltlich wenig Neues zu sagen, trotz neuer Studien, die in den einschlägigen Wissenschaftsjournalen marktschreierisch verkauft werden. spiegel-online listet dankenswerter die links zu früheren Debatten z.B. aus dem Jahr 2013 auf - alles schon mal dagewesen. Weder mag der Nachweis gelingen, dass die Dürre in Syrien vom Klimawandel verursacht ist, noch dass die Dürre Ursache des Krieges ist. Dennoch finden sich alle drei Phänomene in Syrien, der Klimawandel, die Dürre und der Krieg. Sie verschwinden ja nicht einfach, nur weil der Nachweis des ursächlichen Klimazusammenhangs fehlt (und auch dann nicht, wenn er erbracht würde).  Vielleicht sollte man den Kalten Krieg der Meinungen einfach mal beenden und einen Weg finden, wie Empathie und Wissenschaft zueinander finden können.

Jürgen Scheffran, Leiter der CliSAP Gruppe Climate Change and Security, wird vom KlimaCampus Hamburg dazu unter dem Thema "Komplexe Krisen und das Klima der Unsicherheit" befragt. Er nutzt die Möglichkeit, anstatt ja oder nein zum Thema Klima als Kriegsursache zu sagen, die Umweltbedingungen an den Anfang einer langen Aufzählung  zu stellen, die von Flucht, regionalen politischen  Manövern und den damit einhergehenden globalen Verstrickungen handelt, die inzwischen auch nicht mehr vor unserer Haustür halt machen. Der Vorwurf des Klimadeterminismus lauert in dieser Debatte natürlich hinter jeder Ecke, und er wird auch gerne vorgebracht, wobei wir wieder beim Kalten Krieg in der Klimaforschung angekommen wären, wo das Argument des Klimadeterminismus inzwischen zum schalen Allerweltsvorwurf verkommen ist. Doch der Ausdruck "Klima der Unsicherheit", mit dem der Bericht von Jürgen Scheffran überschrieben ist, ist selbst schon ein Schritt heraus zumindest aus dem metrischen Determinismus und erweitert den Klimabegriff beträchtlich. Damit ist nicht die Unsicherheit als technischer Begriff in Wissenschaft und im IPCC gemeint, sondern eine existentielle Unsicherheit: auf welchem Planeten leben wir hier eigentlich? Wo Menschen auf Flucht vor unserer Haustür ertrinken? Keine schlechte Frage.

Was also tun, um aus diesem Dilemma herauszukommen? Das deutsche Klimakonsortium, das den Tanker Klimaforschung steuert, fordert laut spiegel-online bessere Verzahnung der Disziplinen und natürlich: mehr Forschung, um die wechselseitigen Beziehungen zwischen Migration, Klimawandel und Sicherheit besser zu verstehen. Doch ist die vielbeschworene Interdisziplinarität unter Führung der Klimawissenschaften wirklich das Allheilmittel? Aber das ist eine andere Geschichte, die den Rahmen hier sprengen würde. Es kann jedenfalls nicht schaden, die Warnung von David Harvey im Gedächtnis zu behalten: "The idea that if we cannot measure it then it does not exist is one of the most dangerous, foolish ideas of our times." Es wird Zeit, diese Realität, die bisher in der Klimadebatte nur ein Schattendasein führte, endlich zur Kenntnis zu nehmen.


66 comments:

Anonymous said...

kann man die radikale Frage stellen(?): braucht man die Klimawissenschaften im Speziellen überhaupt noch (in diesem Umfang)? Eigentlich ist es ja klar: es wird Probleme geben. Große Probleme. Nun muss man sich nur noch entscheiden, will man was tun oder nicht. Das kann die Klimawissenschaft eh nicht entscheiden.

In Australien bspw. hat der oderste Manager des CSRIO beschlossen, dass Klimamodellierung und -monitoring nicht mehr nötig sind und will die Gelder dafür kürzen und 300 Leute oder so feuern. Das soll eine Hinwendung zum "Mitigation of the climate change" sein, nicht mehr messen sondern was tun. Was? Warum? Und ob das gut ist/war, kann man dann leider nicht mehr beantworten... aber was soll's, klingt aber erstmal "gut".

Also braucht man die Klimawissenschaften noch?

Beste Grüße,
W.A.I.I.M.H.N

PS: ich wollte den Extrempunkt fragen... weniger extrem wäre: die Änderung der Rolle der Klimawissenschaften: von einer Führungsrolle in eine Dienstleistungsrolle? Bisher war die Führung notwendig, denn nur die Klimawissenschaften konnten auf das Problem überhaupt aufmerksam machen. NIEMAND anders. Aber ist sie noch notwendig?

Werner Krauss said...

W.A.I.I.M.H.N

gute Frage, auf die ich keine einfache Antwort weiß! Ich teile Ihre Meinung eher nicht, dass NUR die Klimawissenschaften auf das Klimaproblem aufmerksam machen konnten und sich daraus deren Führungsrolle ableitet. Ich neige eher zu der Annahme, dass der Nachweis der Treibhausgasemissionen bei der Erwärmung ein wichtiger Baustein war in der KOLLEKTIVEN Produktion von Klimawissen. Ohne die Umweltbewegungen z.B. wäre wohl weder danach geforscht noch wäre dieses Wissen auf fruchtbaren Boden gefallen. Diesen Anteil der Gesellschaft sollte man nicht einfach unterschlagen, genausowenig wie die Geschichte des Klimawandels.

Der Führungsanspruch leitet sich meiner Meinung nach eher aus dem Aufstieg von big data und damit gefütterten Fantasien der Steuerung von Gesellschaften ab, von der immer wichtiger werdenden Rolle von Experten in der Politik und dem Wunsch, das Klimaproblem durch marktkonforme und technologische Maßnahmen lösen zu können. Daher reden wir heute über Co2 Äquivalente, Emissionshandel und Geo-engineering und weniger über environmental justice, Wirtschaftsinteressen, Geopolitik oder betrügerische Autofirmen, wenn es ums Klima geht. Dafür aber werden laufend Umfragen erstellt, wie wichtig "den Menschen" der Klimawandel ist - um sich gleichzeitig darüber lustig zu machen, wenn sie aus Klimagründen mit dem Fahrrad fahren oder nur noch Grünzeug essen.

Ganz nebenbei wurde das kritische Denken, die humanities, die qualtitative Grundlagenforschung immer weiter marginalisiert - nicht zuletzt in interdisziplinären Projekten, wo anwendungsorientiert kurzfristig quantifizierbare Daten produziert werden müssen, was weiter zur intellektuellen Verarumung der Forschung und der Klimadebatte geführt hat. Viele meiner KollegInnen in Sozial- und Geisteswissenschaftler, mit denen ich auf Vorträgen und in Diskussionen geredet habe, meiden so gut es geht den Kontakt mit dem "Führungsanspruch" der Klimawissenschaft, aus genau diesem Grund. Ob sie sich das leisten können, ist eine andere Frage, eine Macht- und oft auch Überlebensfrage für diese Disziplinen. Was die Klimawissenschaften befürchten - Kürzungen, Streichungen, Marginalisierung - das haben Disziplinen wie die Ethnologie längst hinter sich.
Von daher wünsche ich den Klimawissenschaften weder eine Führungs- noch eine Dienstleisterrolle, sondern weiterhin genug Mittel für Grundlagenforschung, genauso wie den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Und zu guter letzt: die Frage nach dem "Was tun" wird an vielen Orten und auf vielen Ebenen entschieden und fällt überall unterschiedlich aus. Während Wissenschaftler sich über Klimaflüchtlinge den Kopf zerbrechen, mobilisieren Bürgermeister Unterbringung und Lebensmittel. Es ist nicht die Wissenschaft allein, die die Gesellschaft rettet. Etwas Bescheidenheit und Empathie steht da allen Wissenschaften gut an.

Werner Krauss said...

.. und natürlich ebenfalls beste Grüße und nochmal vielen Dank für die Frage, W.A.I.I.M.H.N (wofür steht das? Was Auch Immer Ich MAL ????)

Anonymous said...

Hallo Werner,

wie meinen Sie das?

Geisteswissenschaftler, mit denen ich auf Vorträgen und in Diskussionen geredet habe, meiden so gut es geht den Kontakt mit dem "Führungsanspruch" der Klimawissenschaft, aus genau diesem Grund.

Ich hätte jetzt naiv vermutet, beide Gruppen betrachten komplementäre Aspekte der Klimadiskussion und daher schätzt jede Gruppe die Beiträge der anderen. Mangelt es den Klimaforschern an Respekt? Weil sie zu zahlengläubig sind?


@ Was auch immer das heißen mag ;-)

Bisher war die Führung notwendig, denn nur die Klimawissenschaften konnten auf das Problem überhaupt aufmerksam machen. NIEMAND anders. Aber ist sie noch notwendig?

Bei uns sicherlich nicht. Wie sieht es aber in den USA aus, wo eine Partei, die den nächsten Präsidenten stellen will, klimawissenschaftliche Erkenntnis ignoriert bis negiert? Schwierige Frage.

Umstrittener hier ist die Frage, inwieweit sich Klimawissenschaftler in die Diskussion über Klimapolitik einmischen dürfen/sollen. Ich habe damit keine Probleme, je mehr sich in die gesellschaftliche Diskussion einbringen, desto besser. Probleme hätte ich nur dann, wenn sie in dieser Diskussion aus ihrer Fachexpertise eine Führungsanspruch herleiteten.

Vielleicht passt zur heutigen Zeit besser, dass Klimawissenschaft die Klimapolitik begleitet, nicht führt. Die Politik schreibt z.B. ein 1,5°-Ziel in den Pariser Vertrag, die Wissenschaft untersucht begleitend, inwieweit dieses Ziel erreichbar ist.


PS:
An CSIRO dachte ich auch gerade, allerdings als Beispiel für Science for the people und by the people. War die Begründung aber nicht etwas anders? Ich habe folgendes Argument im Kopf: die politikrelevante science steht, wir widmen uns nun verstärkt der ADAPTION. Das können die Vertreter der people so entscheiden, sie sind die Geldgeber. Ich wundere mich aber über die Kurzsichtigkeit. Für bestmögliche Adaption braucht man bestmögliches Wissen über die regionalen Klimafolgen. Das findet man nicht unbedingt in der Weltliteratur, da bedarf es australischer Forschung. HvS hat ja über ähnliches in Bezug auf Ostsee oder Küstenschutz hier schon berichtet.
Und ich finde es bedenklich, wenn die people die Grundlagenforschung vernachlässigen und nur noch Gelder nach dem anwendungsorientierten Nutzen verteilen, Werner hat dieses Grundübel für die Geisteswissenschaften hier auch schon benannt.


Viele Grüße,
Andreas

Werner Krauss said...

Hallo Andreas,

Sie geben eine mögliche Antwort schon selbst, indem Sie schreiben:

"Für bestmögliche Adaption braucht man bestmögliches Wissen über die regionalen Klimafolgen. Das findet man nicht unbedingt in der Weltliteratur, da bedarf es australischer (naturwissenschaftlicher) Forschung."

Der Führungsanspruch lautet: Naturwissenschaft vor Weltliteratur. Dagegen erheben vieler meiner KollegInnen und auch ich Einspruch. Die Weltliteratur handelt von den Menschen und der Welt, in der sie leben. Diese belebte Welt ist nicht einfach ein Anhängsel, das in die physische Umwelt "bestmöglich" eingepasst werden kann. Sondern das ist die Welt, in der auch Naturwissenschaftler vorkommen und Schmetterlinge sammeln (eine literarische Anspielung, man kann auch sagen: Klimafolgen eruieren). Erst auf dieser Ebene kann es den gleichberechtigten Wissensaustausch geben, den sie vorschlagen. Zum Glück findet dieser AUCH manchmal statt, aber es ist oft ein weiter Weg bis dorthin.

Werner Krauss said...

P.S.: Natürlich heißt das nicht, dass ich die Kürzungen für die Klimaforschung in Australien gutheiße - darauf bezog sich ja Ihr Beispiel. Aber selbst in der wohl berechtigten Klage schwingt dieser Führungsanspruch mit, s.o.

chrisz78 said...

David Harvey hat da das Pferd beim Schwanze aufgezäumt: Die überall nur allzu deutliche Gefahr ist der Wahn, alles was mess bar ist, sei deswegen auch relevant (meistens sogar "gefährlich"). Zentimeterweiser Anstieg der Weltmeere, Zehntelgrade Temperaturanstieg pro Jahrzehnt, ein paar Mikrogramm Glyphosat im Bier - alles wissenschaftlich pseudo-legitimierte Ausreden für immer neue drakonische Verordnungen und Verbote. So wurde Wissenschaft von der bereichernden und befreienden Aufklärung zum Fortschrittsfeind.

Dass dagegen alles nicht Messbare (logischerweise also auch nicht durch Beobachtung quantifizierbare, denn das wäre ja auch eine rude Art von Messung) grundsätzlich bedeutungslos ist, selbst wenn es existiert, ist eigentlich zu offensichtlich und banal, um sich darüber lange aufzuhalten....

Anonymous said...

@ Chris

Dass dagegen alles nicht Messbare grundsätzlich bedeutungslos ist, selbst wenn es existiert, ist eigentlich zu offensichtlich und banal, um sich darüber lange aufzuhalten....

Vielleicht lohnt doch ein etwas längeres Verweilen. Denken Sie mal an Schönheit, Kreativität oder Liebe. Oder meinetwegen auch an den Zustand von Schrödingers Katze in der Kiste.

Ich stutzte beim Harvey-Zitat auch, aber eher deshalb, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemand so plump denken könnte, dass er alles nicht messbare für bedeutungslos hält. Im Kontext des verlinkten Zitats wurde mir dann klar, was Harvey wirklich meint. Er hält es für naiv, nur auf Basis gegenwärtiger Daten zu entscheiden. Datenbasierte Extrapolation in die Zukunft funktioniert häufig nicht (auch beim Meeresspiegelanstieg). Hätte jemand das Ergebnis von Paris vorhergesagt aufgrund seiner Erfahrungen mit bisherigen Gipfeltreffen?

Grüße,
Andreas

Günter Heß said...

@#1

Es ist ja nicht die Klimawissenschaft die die Führung übernimmt.
Stattdessen sind es die Gewissenschaftler.
Laut Schellnhuber sucht sich der Klimawandel selbst seine Chronisten und transformiert sie in Aktivisten die dann diese Führung übernehmen.
Diese Aktivisten sind dann eine Kombination aus Naturwissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Ökonom sowie einsichtsreichem Menschen mit überlegenem Gewissen.
Im Grunde ein "homo superior" mit überlegenem Wissen und Gewissen. Selbstverständlich haben die dann die Führung.

Günter Heß said...

Lieber Herr Krauss,

sie schreiben:
„Der Führungsanspruch lautet: Naturwissenschaft vor Weltliteratur. Dagegen erheben vieler meiner KollegInnen und auch ich Einspruch. Die Weltliteratur handelt von den Menschen und der Welt, in der sie leben. Diese belebte Welt ist nicht einfach ein Anhängsel, das in die physische Umwelt "bestmöglich" eingepasst werden kann. Sondern das ist die Welt, in der auch Naturwissenschaftler vorkommen und Schmetterlinge sammeln (eine literarische Anspielung, man kann auch sagen: Klimafolgen eruieren).“

Volle Zustimmung.

Meine Wahrnehmung ist wie folgt.
Wer auf einem Spezialgebiet der Klimaforschung arbeitet oder eine NGO dazu vertritt und sich Klimaexperte nennt, der wird auch zu anderen Themen wie Ökonomie, politische Massnahmen und notwendige gesellschaftliche Veränderungen befragt.

Geistes- oder Sozialwissenschaftler wie Sie werden kaum gehört. Darüber hinaus findet ein kontroverser Diskurs bzw. eine kritische Diskussion der Vorschläge der Klimaexperten nicht statt.

Wenn man mal einen Geisteswissenschaftler dazu hört ist es meistens ein Theologe der eine Moralpredigt hält.

Korrigieren sie mich wenn ich falsch liege, aber Moral ist kein Argument in der Sozialwissenschaft, oder?

Meine Frage. Liegt es nicht an den Geistes- und Sozialwissenschaften selbst, dass die keinen kritischen Diskurs zum Beispiel hinkriegen über die Massnahmen die von den Klimaexperten vorgeschlagen werden. Zum Beispiel wie wirkt ein Klimafonds auf die Gesellschaften in Afrika. Oder, warum ist Äthiopien nach 50 Jahren Entwicklungshilfe immer noch nicht widerstandsfähig gegen Dürren. Müsste man vielleicht auch mal die NGOs und die UN Institutionen und ihre Massnahmen kritisch hinterfragen oder begleiten wie es in den 60iger und 70iger Jahren mit den staatlichen Institutionen geschah.
Haben sich die Geistes- und Sozialwissenschaften vielleicht selbst in eine Ecke gearbeitet, so dass sie nicht gehört werden?
Massnahmen in Klimapolitik, Entwicklungspolitik oder Energiepolitik scheinen so ein bisschen sakrosankt zu sein, weil sie mit guter Absicht geschehen.
Ihre gesellschaftlichen Auswirkungen werden nicht diskutiert, ja sogar ausgeblendet.
Das ist jetzt meine subjektive Wahrnehmung. Mich würde jetzt ihre Wahrnehmung dazu interessieren.

Grüße
Günter Heß

Günter Heß said...

Zu Äthiopien.

Ich habe die beiden unterschiedlichen Betrachtungen gefunden.

Ein Land das Nahrungsmittel exportiert
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/wachstumsmaerkte/aethiopien-vom-agrarstaat-in-die-moderne/12574322-4.html


Ein Land für das die Welthungerhilfe um Spenden wirbt.


https://www.menschenfuermenschen.at/spende-projekte-aethiopien/entwicklungshilfe-oesterreich-aethiopien/hunger-not-hilfe-spende-aethiopien/

Unterschiedlicher könnte das nicht sein. Öffentliche Diskussion dazu nicht existent.

Anonymous said...

Man mag es bedauern, dass Zahlen eine solch dominierende Rolle erlangt haben. Aber braucht man nicht auch immer eine Metrik, um den Erfolg des gesellschaftlichen Tuns zu bewerten? Mir kommt da auch sofort Syrien in den Sinn, wo die Diskussion um Flüchtlingszahlen zur Metrik erfolgreicher Politik geworden ist und die Ursachen der Migration völlig vergessen lässt.

Vielleicht ist es ja manchmal auch so, dass die gewählte Metrik die unpassende ist. Z.B. gibt es Vorschläge, dass bei Klimaverhandlungen ein Karbonpreis die zielführendere Metrik sei.

Klimawissenschaft hat einen Führungsanspruch, wenn es um die Bestimmung von Zahlen geht. Doch wie der Weg in eine karbonneutrale Welt aussehen soll, kann sie nicht beurteilen.

Ach ja, in Äthiopien scheint sich in den letzten 30 Jahren auch viel verändert zu haben, siehe http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-02/aethiopien-hunger-duerre-el-nino-entwicklungshilfe. Die genannten Zahlen zeigen es, die Zahlen zeigen aber nicht alles, schon klar.

PS:
Die scheinbar neutrale und objektive Klimaforschung findet sich hier als Legitimation und Motor einer neoliberalen Klimawandelpolitik wieder, die alles andere als neutral und objektiv ist, sondern auf den sogenannten freien Markt und Technologie setzt, mit Geo-engineering als ultima ratio.
Das muss ich erst mal sacken lassen. Bislang hörte ich nur den Vorwurf, Klimapolitik mache sich zum Büttel einer Ideologie, die eine links-grün-kommunistische Ökodiktatur anstrebt. Klimapolitik sei geradezu ein Angriff auf das kapitalistische Gesellschaftsprinzip.

Andreas

Werner Krauss said...

Andreas #8,

das haben Sie aber schön gesagt und auf den Punkt gebracht, vielen Dank! Das Interview mit David Harvey zeigt klar, dass es sich hier um ein generelles Problem handelt, nicht nur in den Klimawissenschaften, sondern auch in der Ethnologie.

Werner Krauss said...

Günter Heß #10,

vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihrer Wahrnehmung kann ich in vielen Punkten zustimmen. Es gibt tatsächlich eine lange Tradition in Ethnologie, Geographie und verwandten Wissenschaften, die sich mit den Folgen von Naturschutz-, Klima-und Entwicklungspolitik beschäftigen und durchaus UN Institutionen, NGOs und die Rolle von wissenschaftlichen Experten kritisch hinterfragen. Auch der kritische Diskurs findet durchaus statt, wenn auch oft am Rande der klimapolitischen Debatte - manchmal berichten wir ja auch darüber auf der Zwiebel.

Der Klimawandel ist nicht nur eine Herausforderung in Sachen Umweltmanagement, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. Der Glaube an die magische Macht objektiver Fakten hat oft den Status einer Religion, genauso wie der Glaube, dass der Markt es schon richten wird. Doch die Dringlichkeit der Probleme in Syrien, Äthiopien und anderswo, die unübersehbar auch unsere sind, erfordern es ganz einfach, genauer hinzusehen und hinzuhören. Oft genug sehen wir uns dann selbst im Spiegel des Fremden und dass unser Glaube an die Allmacht objektiver Fakten oft genauso Teil des Problems wie Beitrag zu dessen Lösung ist. Es bedarf vielleicht einer neuen Art von Wissenschaftsverständnis sowie eine Menge Taktgefühl und Empathie um herauszufinden, wann, wo und wie genau welches Wissen wirklich helfen kann. Das ist jetzt kein moralisches Gerede, hoffe ich?

Günter Heß said...

@Werner Krauss,

sie schreiben:
"Der Glaube an die magische Macht objektiver Fakten hat oft den Status einer Religion, genauso wie der Glaube, dass der Markt es schon richten wird."

Da stimme ich zu, würde es aber noch ergänzen. Es kommt noch hinzu der Glaube, dass es der staatliche Eingriff oder der Eingriff von NGOs mit guter Absicht richten wird.

Ich denke, dass es vor allem eine Debatte darüber braucht, warum denn trotz 50 Jahre Entwicklungshilfe die Probleme immer noch die Gleichen zu sein scheinen.
Daraus könnte man vielleicht lernen wie man es besser machen kann.
Gespannt wäre ich wo sie denn kritischen Diskurs darüber beobachten, denn da wäre ich für einen Lese- oder Fernsehtip dankbar.

S.Hader said...

@Günter Heß: "Da stimme ich zu, würde es aber noch ergänzen. Es kommt noch hinzu der Glaube, dass es der staatliche Eingriff oder der Eingriff von NGOs mit guter Absicht richten wird."

Dann sei daran erinnert, dass es auch einen Glauben gibt, dass die freien Marktkräfte alleine es schon richten werden. :) Herr Krauss hatte es schon erwähnt.

Bei der Diskussion muss man schon aufpassen, dass man nicht in so einen Grundton verfällt, der da lautet "Glauben und Religion machen immer nur die Anderen". Das passiert sehr schnell, wenn AGWler und Gegner miteinander diskutieren. Und ich habe leider bei solchen Debatten ganz selten den Satz gelesen "ja, auch ich muss aufpassen, meine Methodik nicht zum Dogma zu erklären".

In der Tat kann man die Frage stellen, warum die Probleme bei der Entwicklungshilfe dieselben sind. Dabei kann man auch die Frage stellen, ob das an der Entwicklungshilfe selbst liegt und nicht auch an der internationalen Politik, die man zeitgleich betreibt. Die einen schöpfen das Wasser aus dem Boot, die anderen bohren neue Löcher in den Rumpf. Deshalb bin ich auch auf die Umsetzung von Paris 2015 gespannt, weil die gesteckten Ziele auch im Widerspruch zu innenpolitischen Wirtschaftszielen in den Industrieländern stehen. Da frage ich mich auch, wer schneller sein wird, die Wasserschöpfer oder die Bohrer.

Günter Heß said...

Lieber Herr Hader,

ich denke das ist nicht der Punkt. Um ihre AGWler geht es gar nicht. In einem hitzigen Diskurs bringt jeder mehr oder weniger seine Meinung als Dogma oder ähnliches rüber. Entscheidend ist, dass ein kritischer Diskurs stattfindet und alle Meinungen auf den Tisch kommen. Kritik bedeutet ja Wertung und die kann man belegen, dann darf sie auch einseitig sein.

Das Problem das ich ansprach ist die Beobachtung, dass es diesen kritischen Diskurs zu bestimmten Themen nicht gibt bzw. ich ihn vielleicht nicht bemerke.

Ich wünschte mir eben, dass es dieser kritische Diskurs unter Ethnologen und Geisteswissenschaftler den Herr Krauss ansprach, es auch in die Medien schaffen würde. Vermutlich bin ich es leid immer nur Politiker, Experten und Gewissenschaftler zu hören.

Ihr Bild vom Wasserschöpfen und Löcher bohren ist ja im Grunde schon ein beliebter Glaube. Ich beobachte zum Beispiel nicht, dass sich die Entwicklungshilferezepte groß ändern, wenn die Bundesregierung wechselt.

Das ist dann auch mein Punkt. Diese Rezepte scheinen mir gar nicht kritisch hinterfragt zu werden. Allerdings ich lasse mich gerne mit Gegenbeispielen widerlegen.

Wobei ich den Niebel nicht gelten lassen würde, den habe ich selbst gemerkt, wobei ich glaube, dass er nur Sprüche in der Presse gemacht hat, aber im wesentlichen nichts geändert hat.

Den Zeitartikel vom Andreas fand ich schon ganz gut. meines Erachtens zeigte er zu mindestens, dass die Kleinbauernförderung nicht die Ursachen beseitigt, sondern eine Hilfsaktion ist. Der Artikel zeigt auf, dass die chinesische Entwicklungshilfe durchaus erfolgreich ist. Vielleicht kann man ja von denen lernen.

Werner Krauss said...

S.Hder,

ja, da haben Sie Recht, mit "Religion" habe ich wirklich einen Ladenhüter aufgetischt. Danach wird meine Argumentation aber wieder besser, hoffe ich doch!

Werner Krauss said...

Günter Heß,

ein Klassiker des Genres "Kritik an Entwicklungspolitik" ist das Buch des Ethnologen James Ferguson mit dem Titel "The Anti-Politics Machine: Development, Depoliticization and Bureaucratic Power in Lesotho". Auf wikipedia ist eine ganz schöne Zusammenfassung mit den wichtigsten Argumenten:
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Anti-Politics_Machine

Ebenso eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente durch den Autor hier:

http://stuz-muk.de/wp-content/uploads/2014/07/Ferguson-The-Anti-Politics-Machine.pdf

Dieser Ansatz gewinnt heute, bald dreißig Jahre später, im Kontext der Fantasien über Expertengesteuerte Klimaadaption noch einmal an Relevanz. Es bietet sich an, mit diesem Ansatz das Konzept der Adaption in einen historischen Kontext zu stellen, nämlich den der Entwicklungshilfe. Es ist daher höchste Zeit, das Konzept der Adaption, das für eine gewisse Zeit als notwendige Korrektur zum alleinigen Fokus auf Mitigation durchaus seine Berechtigung hatte, kritisch zu hinterfragen.
Ich nehme mir mal vor, in nächster Zeit ein paar neure Beispiele hier zu posten.

Werner Krauss said...

P.S. Anti-Politics Machine ist von 1994, das sind gut 20 Jahre und nicht beinahe 30.

Günter Heß said...

@Werner Krauss

Danke für das Ferguson Beispiel. Ich würde es begrüßen, wenn sie hier weitere Beispiele posten.

Was mich in diesem Zusammenhang prägte ist die folgende Aussage die ich mal vor etwa 20 Jahren hörte von einem Entwicklungshilfeexperten. "In manchen Ländern dürfen wir ohne Waffenlieferungen keine Entwicklungshilfeprojekte durchführen." Leider kann ich es nicht zitieren, ist also nur Hörensagen.

Was ich auf der Seite des BMZ lese ist folgendes:
"Kein Staat kann die brennenden Probleme der Gegenwart allein bewältigen."

Da würde mich mal ihre Meinung interessieren. Nimmt das nicht die politischen Akteure in den Ländern denen wir helfen wollen vom Haken.

Dazu noch meine Fundamentalkritik wenn ich das BMZ so lese. Machen wir die Entwicklungszusammenarbeiten nicht mehr für uns selbst statt für die Länder denen wir helfen wollen?

Und eine weiter Frage. Gibt es eine NGO-Industrie die im Grunde von der Entwicklungshilfe lebt?

S.Hader said...

@Günter Heß: "Was mich in diesem Zusammenhang prägte ist die folgende Aussage die ich mal vor etwa 20 Jahren hörte von einem Entwicklungshilfeexperten. "In manchen Ländern dürfen wir ohne Waffenlieferungen keine Entwicklungshilfeprojekte durchführen." Leider kann ich es nicht zitieren, ist also nur Hörensagen."

Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine solche Maßgabe gibt und das ist natürlich schon traurig. Ich will damit auch sagen, vom Grundsatz finde ich Entwicklungshilfe richtig, auch wenn ich damit nicht jede Praxis gutheiße. Ich würde in vielen Punkten Entwicklungshilfe viel weitfassender machen, auch beim Klimaschutz. Dem Weltklima und auch den Ländern wäre mehr gedient, wenn man umweltfreundliche (ja, auch Kohle-)Kraftwerke in Ländern wie China oder Indien baut. Aber ich glaube, wir kommen gerade ziemlich vom ursprünglichen Thema ab.

Günter Heß said...

@S. Hader

Ich denke nicht, dass wir vom Thema abkommen. Ich habe die Entwicklungshilfe als Beispiel benutzt.
Oben im Artikel steht:
"Die Flüchtlinge müssen dabei zur Selbstfindung einer diesmal wissenschaftlichen Leitkultur herhalten, und zwar in der ihnen zugeschriebenen Rolle als vermeintliche oder wirkliche Klimaflüchtlinge."

Gehört es nicht auch zu unserer Leitkultur, dass es eine dritte Welt gibt die rückständig ist und in der wir Entwicklungshilfe leisten, weil wir uns mitschuldig fühlen.

Insofern sehe ich eben Parallelen. Wir fördern das was unseren Zielen und unserer Leitkultur entspricht.
So werden sich keine selbständigen Gesellschaften entwickeln, sondern abhängige Gesellschaften, meine ich. Interessieren würde mich der Diskurs dazu unter Geisteswissenschaftlern und Sozialwissenschaftlern.

Interessant wäre es andere Konzepte zu bewerten. Ein Freund von mir schlug vor eine Lotterie zu veranstalten in der jeder der in Afrika lebt einmal im Jahr ein Los bekommt.
Unsere Entwicklungshilfe wird über diese Lose ausgeschüttet, um die Wirtschaft anzukurbeln.

So ähnlich könnte man es mit Klimaprojekten machen. Die Anträge werden eingereicht bewertet und wenn sie für gut befunden werden bekommen sie ein Los. Die Projekte die kein Geld über das Los bekommen können ja von den Staaten selbst finanziert werden.

Werner Krauss said...

Günter Heß,

doch, das weicht ein bißchen vom Thema ab. Flüchtlinge als Streit um wissenschaftliche Leitkultur: damit bezog ich mich auf den ewigen Kampf unter manchen Klimaforschern, Stichworte: Alarmismus, honest broker, Skeptiker - jeder kann am Beispiel Flüchtlinge zeigen, dass er und nicht die anderen Recht haben.

Das für und wieder und wie der Entwicklungshilfe, das überfordert diesen thread hier vielleicht wirklich. Vielleicht lohnt es sich aber, die in wikipedia oder in dem Kurztext aufgelisten Punkte von Ferguson sich durch den Kopf gehen zu lassen. Anyway, vielen Dank für Anregung und Diskussion!

Karl Kuhn said...

"Weder mag der Nachweis gelingen, dass die Dürre in Syrien vom Klimawandel verursacht ist, noch dass die Dürre Ursache des Krieges ist. Dennoch finden sich alle drei Phänomene in Syrien, der Klimawandel, die Dürre und der Krieg. Sie verschwinden ja nicht einfach, nur weil der Nachweis des ursächlichen Klimazusammenhangs fehlt (und auch dann nicht, wenn er erbracht würde)."

Außerdem gibt es auch noch keinen Nachweis, dass Volksmusik Fußpilz verursacht und Fußpilz Demenz. Trotzdem sind alle diese Phänomene in Deutschland vorhanden und verschwinden auch dann nicht, wenn der Nachweis eines Zusammenhangs nicht gelingt. Sie sollten deshalb mit größtmöglicher Empathie ernstgenommen werden. Was wäre denn gewonnen, wenn man einen Zusammenhang nachweisen könnte? Volksmusik ist halt da, auch wenn sie nicht messbar ist. Wer das ignoriert, spielt mit dem Feuer.

Werner Krauss said...

Karl Kuhn,

das ist ja ein bescheuerter Kommentar. Wieso schreiben Sie denn sowas?

Anonymous said...

So, ich habe es sacken lassen.

Camila Moreno, Lili Fuhr und Daniel Speich Chassé nehmen in einem Essay auf opendemocracy.net die Rolle der Klimawissenschaften kritisch unter die Lupe. Die Engführung des Klimas als einer metrischen Größe hat ihrer Meinung nach dazu geführt, dass die Klimapolitik in einer "carbon metric" Falle gefangen ist. Der "end of the pipe approach", die CO2 equivalents und der alleinige Fokus auf carbon emissions haben zu einer Klimapolitik geführt, die sich nicht mehr für Ursachen, sondern nur noch für Symptombekämpfung interessiert.

Das hat mich zunächst sehr verwirrt. Ursache der Erwärmung ist ja CO2 und Mitigationspolitik geht direkt die Ursache an.

Mir scheint, die Autoren sehen die tiefere Ursache (ähnlich wie Naomi Klein) in unserer Konsumgesellschaft, in unserem kapitalistischem System. Und diese Ursache hätte Paris angehen sollen.

Ich bin da sehr skeptisch. Würde man Klimaverhandlungen mit einem Wechsel des gesellschaftlichen Systems verknüpfen wollen, dann hätte man auf Jahrzehnte hinaus keine Einigung im Konsens erzielen können, das wäre die betonierte Selbstblockade. Mehr noch: die allermeisten Menschen wollen Konsum und Wohlstand, Politik gegen die Menschen wird nie funktionieren.

Wer das Pariser Abkommen auf die versprochenen Zahlen (die nicht erreicht werden) reduziert, unterschätzt es. Spannender wird sein, was Paris für den Bauern in Äthiopien oder den deutschen bzw. polnischen Bergmann mittelfristig bedeuten wird. Das können nicht einmal die abschätzen, die den Vertrag unterzeichnet haben.

PS:
Mit Syrien ist es so wie mit Klimawandel und Artensterben. Klimawandel ist ein zusätzlicher Stressfaktor. Manche kommen damit klar, andere kollabieren. Monokausale Betrachtungsweisen sind dämlich, ähnlich ungeeignet wie der Begriff "Klimaflüchtling".

Andreas

Günter Heß said...

@Werner Krauss

sie schreiben:
"Ist es nun Aufgabe der Klimaforschung, Szenarien für ein Ziel zu entwerfen, das viele Wissenschaftler in der Realität für völlig unerreichbar halten?"

Nun es gab ja auch 4 Wissenschaftler um James Hansen die das Ziel für erreichbar halten. Nur deren Vorschläge werden nicht mehr diskutiert. Wird das in den Geisteswissenschaften auch diskutiert, warum eine Technologie ausgeblendet wird.

Ich finde es immer wieder interessant, das bestimmte Themen ausgeblendet und vermieden werden.
Das zieht sich im Grunde durch ihre Zitate.

Anonymous said...

Was macht den Wutbürger so wütend? Eine Frage, der man schwer mit Zahlen bekommt. Ich schätze, es hat damit zu tun, dass man in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr zu Hause ist. Aber dafür gibt's ja die Kumpels aus Blogs, Facebook und Co, da gibt's immer gegenseitige Bestärkung der eigenen Wahrnehmung. Vielleicht täte mal ein Moment der Besinnung gut, Günter.

Andreas

Günter Heß said...

@Andreas

Echt jetzt. Was unterscheidet die heutige Zeit den von 1983 oder 1986/87 als die Grünen die Wutbürger waren. Auf den Demonstrationen in den 80igern wurden härtere Sprüche gebracht als das heute der Fall ist. Gewalttätiger war es auch von beiden Seiten. Wackersdorf Tango und Steine und Stahlkugeln hat man wohl heute vergessen. Ich nicht.
Ich denke Wutbürger ist heutzutage eine Beschimpfung für Menschen die den Mut haben abseits vom Mainstream friedlich eine Meinung zu vertreten. Danke also für das Kompliment.

Wobei ich gar nicht wütend bin. Ich habe lediglich in den Zeilen und den Zitaten von Herrn Krauss einen unterschwelligen Bias entdeckt für den Er meines Erachtens einen blinden Fleck hat.

Ich denke es ist 2016 passend zu erinnern, dass der Liberalismus eines Wilhelm Röpke, ein mutiger Mann, die soziale Marktwirtschaft hervorgebracht hat.

Ein Liberalismus dem wir unseren Wohlstand zu verdanken haben. Ich glaube deshalb, dass viele Länder Afrikas von diesem Liberalismus profitieren könnten.

Die Gedanken und Rezepte dieses Liberalismus könnten sowohl in der Klimapolitik als auch in der Entwicklungspolitik helfen, wird aber ausgeblendet meiner Beobachtung nach.

Ich persönlich denke, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften einen kritischen Diskurs vermissen lassen der uns dringend fehlt.

Diese Lücke wird leider von Moralaposteln geschlossen. Werner Krauss scheint mir kein Moralapostel zu sein. Gerade deswegen vermisse ich Leute wie ihn in der öffentlichen Diskussion, obwohl ich nicht seiner Meinung bin.

Anonymous said...

https://de.wikipedia.org/wiki/Wutb%C3%BCrger

- "Wutbürger" hörte ich zum ersten Mal im Zusammenhang mit Stuttgart21. Damals waren es noch die "Guten", die Retter des Juchtenkäfers. Heute sind es plötzlich die "Bösen" die Rechten, die Ängstlichen usw...

- Die Dürre ist ein zusätzlicher Stressfaktor und sollte nicht ausgeblendet werden? So einfach ist es m.E. leider nicht. Man muss abwägen zwischen sinnvollen und unsinnigen Maßnahmen. Kein Kampf gegen den Klimawandel wird einen Bürgerkrieg beenden. Der Raubbau an Ressourcen, wie z.B. dem Grundwasser in Syrien, wird dadurch auch nicht beendet:

http://www.faz.net/aktuell/wissen/klima/gibt-es-schon-heute-klimafluechtlinge-14081159.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

„Das kaschiert die wahren Fluchtursachen“

Yeph

Werner Krauss said...

Andreas #27,

ja, da haben sie ganz Recht, die AutorInnen sehen die Ursache nicht im Co2, sondern in einer Wirtschaftsweise, die CO2 Emissionen hervorbringt. Irgendwoher kommen die Emissionen ja. Und die ultima ration einer CO2 basierten Klimapolitik ist die Anpassung der Natur an das Wirtschaftssystem (und nicht umgekehrt) - Stichwort geo-engineering, so zumindest die AutorInnen. Naomi Klein und so illustre Figuren wie der Papst oder Evo Morales und noch ein paar andere sehen das auch so. Der Kapitalismus ist kein Naturgesetz, und ob er den Menschen Wohlstand und Konsum ermöglicht, ist doch ziemlich davon abhängig wo man wohnt. Es war auch ein Erfolg von Paris, dass Klima vermehrt mit sozialer Ungleichheit zusammen gedacht wird - die "unmöglichen" 1,5 Grad sind auch Ausdruck davon, dass mehr als nur business as usual nötig ist. Im Übrigen ist es reine Propaganda, dass Menschen "Konsum und Wohlstand" wollen und alles andere Politik "gegen die Menschen" sei. Sheila Jsanoff wies einmal darauf hin, dass es auch zum honest brokering gehört, die Vorannahmen zu überprüfen, auf denen solche Thesen beruhen. Dann wird deutlich, dass Klima- und Wirtschaftswissenschaften alles andere als ideologisch neutral sind (selbst wenn ihre Berechnung objektiv korrekt sind).

"Wer das Pariser Abkommen auf die versprochenen Zahlen (die nicht erreicht werden) reduziert, unterschätzt es. Spannender wird sein, was Paris für den Bauern in Äthiopien oder den deutschen bzw. polnischen Bergmann mittelfristig bedeuten wird. Das können nicht einmal die abschätzen, die den Vertrag unterzeichnet haben."

Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu!

Stichwort "Klimaflüchtling": Klimawandel ist ein zusätzlicher Stressfaktor wie Wirtschaft oder Politik - kommt eben immer drauf an. Wer nicht von Klimaflüchtlingen reden mag, sollte auch nicht von Wirtschaftsflüchtlingen oder Arbeitsmigranten reden. Manche kommen halt mit Armut klar, andere nicht. Gar nichts mehr sagen? Als Ethnologe schlägt man halt immer vor genau hinzugucken, wer wann wo warum was sagt. Auch bei denen, die so souverän den Begriff abbügeln. Diese Diskussinen finden ja nicht im luftleeren Raum statt. Aber ich stimme Ihnen wie meist zu: ein schwieriger Begriff, ich vermeide ihn auch.

Werner Krauss said...

Günter Heß,

ich habe ja meinen Post mit "Klima der Unsicherheit" überschrieben und meinte damit, dass Unsicherheit nicht nur ein technischer Begriff zur Einschätzung von Aussagen in der Klimawissenschaft ist, sondern sich in viele Bereiche ausbreitet. Ich habe auf Jürgen Scheffrans Beitrag verwiesen, der eine Kette von Ereignissen auflistet, die den schönen Begriff von Schäuble (?) "Rendevous mit der Globalisierung" am Beispiel Syrien und Flüchtlinge drastisch illustriert. Das Wort "komplex" trifft diese Schilderung wohl, und das äquivalente Gefühl ist Unsicherheit. Da ist der Wunsch nach Klarheit, nach Führung, nach einer Ideologie, nach Grenzziehung groß. Das alles steckt in dem Begriff "Klimawandel", befürchte ich, und das macht die Debatte darüber so schwierig, ganz zu schweigen einen angemessenen Umgang damit.
Wir können hier ja nicht alles vom Liberalismus über Entwicklungshilfe bis zum Wutbürger diskutieren, nur weil ich meinen Schreibtisch aufgeräumt habe. Aber mich freut, dass sich hier doch einiges widerspiegelt, was derzeit so in der Luft liegt.

Anonymous said...

@ Werner Krauß

"die AutorInnen sehen die Ursache nicht im Co2, sondern in einer Wirtschaftsweise, die CO2 Emissionen hervorbringt."

Aber wie man die Ursache Wirtschaftsweise bekämpft, da habe ich bei den Autoren jetzt nichts gefunden. Oder irre ich da? Ehrlich gesagt, mir fällt da auch gar keine Möglichkeit ein. Fehlt mir Kreativität und Phantasie, um mir ein anderes Gesellschaftsmodell vorzustellen?

Andreas

Werner Krauss said...

Andreas,

dann sind Sie Opfer des "EPISTEMICIDES" geworden, wie die AutorInnen die Fähigkeit der (metrischen) WISSENSCHAFT nennen, andere Gesellschafts-, Wirtschafts- und Lebensformen zum Verschwinden zu bringen, zu marginalisieren oder unsichtbar zu machen. Dem stellen sie nicht EINE Alternative gegenüber (Sozialismus, Revolution), sondern das Bestreben, andere Wissensformen überhaupt sicht- und vorstellbar zu machen, die "Umwelt, soziale Beziehungen und Selbstverständnis" (Guattari) anders als rein rechnerische und vermarktbare Größe konzipieren. Der Kapitalismus, die 1% Gesellschaften und die zehn Großkonzerne, die die globale Lebensmittelproduktion und Vermarktung beherrschen, sind kein Naturgesetz und keine evolutionäre Notwendigkeit und auch nicht die einzige Möglichkeit, wie sich das Zusammenleben auf diesem Planeten regeln lässt. Es lohnt sich auf die zu hören, die unter die Räder kommen, und auch auf die, die auf einer anderen Lebensweise bestehen (äthiopische Kleinbauern? Stammesgesellschaften auf Neu Guinea? Indios in Bolivien? Hausbesetzer in Hamburg?) Der kosmopolitischen Philosophin Isabelle Stengers aus Belgien zufolge kann man der "monoculture of the mind" (Vandana Shiva) nur eine Welt entgegensetzen, die sich aus vielen verschiedene Lebens-, Wissens- und Wirtschaftsformen zusammensetzt. In dieser Welt hat dann die Wissenschaft (nun ohne Großbuchstaben) die Aufgabe, diese Diversität mit wissenschaftlicher Expertise zu unterstützen und zu voller Blüte zu verhelfen. Klingt doch auch toll, oder? Ist was anderes als nur drauf zu setzen, dass VW die in Paris vereinbarten Normen ohne zu mogeln umsetzt und dann auszurechnen, welchen Carboneffekt das hat und was man damit verdienen kann. Ist auch nicht schlecht, reicht allein aber vielleicht nicht aus. (Nun ja, das ist jetzt alles etwas aus dem Handgelenk geschüttelt, aber vielleicht regt es Ihre Fantasie ja ein bißchen an.)

Freddy Schenk said...

Wir hatten hier vom Bolin Center for Climate Research in Stockholm eine sogenannte Beobachterin (observer) in Paris. Laut ihrer Beobachtung war das Beharren einiger Länder auf dem 1.5K-Ziel das Thema, welches den Gipfel am meisten aufgehalten hat. Dadurch wurden zahlreiche andere Punkte entsprechend nicht wie geplant diskutiert. Man fragt sich in der Tat, was das bringen soll und welche Absicht dem zugrunde lag.

Günter Heß said...

@Andreas

Ich kann mir schon eine anderes Gesellschaftsmodell vorstellen.

Die intellektuelle Diskussion dreht sich aber vor allem um Schuldzuweisungen („The blame game“) nach meiner Beobachtung. Die Vergangenheit wird unter die Lupe genommen und alle Beobachtungen die als „schlecht“ bewertet werden einem „Schuldigen“ zugeordnet. In dem oben genannten Fall „Wirtschaftsweise“ genannt. Das ist vergangenheitsbezogen und rückwärts gewandt. Der erhobene Zeigefinger von der Kanzel passt zu autoritären Gesellschaften. Nicht umsonst ist Säkularisierung ein notwendiger Schritt für eine demokratische Gesellschaft.

Damit sich aber Gruppen von Menschen in eine positive Richtung ändern muss man nach vorne blicken. Dazu muss man die Vergangenheit wertschätzen und auf das Erreichte stolz sein. Das ist meine praktische Erfahrung aus Organisationsänderungsprozessen. Wer „Schuldige“ sucht erreicht gar nichts mit Menschen. Die Botschaft muss sein wohin wir uns verbessern. Der Diskurs sollte meines Erachtens deshalb darum gehen mit welchen Lösungen wir uns verbessern wollen.

Wir haben zum Beispiel einen Großteil der Milleniumsziele erreicht und trotz hyperexponentieller Bevölkerungsentwicklung nimmt der Hunger in der Welt ab.
Darauf kann man aufbauen und formulieren wo die Reise hingehen soll.

Darauf aufbauend müsste man verschieden Lösungsansatze entwickeln für eine Welt ohne Hunger und Kriege. Welche Bausteine sind dafür notwendig und was ist die Plattform, Nationalstaaten oder Staatengemeinschaften oder die UN oder evtl. dezentrale Regionen unter Kommunalverwaltung und wie ist die Zusammenarbeit geregelt und wie die notwendige Gewaltenteilung?

Früher habe ich mal gedacht es könnten Staatengemeinschaften wie die EU mit selbstverwalteten Regionen sein.

Und was mir eben fehlt ist eine Diskussion darüber die ohne Schuldzuweisung auskommt. Als Beispiel. Eine EU die von oben herab einzelne Staaten rügt wird meines Erachtens keinen Erfolg in dieser Richtung haben. Das gilt auch für Klimawandelpolitik.

Werner Krauss said...

Günter Heß,

nun ja, Sie haben sich doch für kritische Diskurse aus den Geisteswissenschaften interessiert, und solche kritischen Stimmen habe ich in meiner Antwort an Andreas #35 zumindest angedeutet. Das ist nicht von der Kanzel geredet, sondern von einem anderen Standpunkt aus argumentiert. Entweder man interessiert sich dafür und nimmt es als Anregung, oder man lässt es bleiben. Man kann ja nicht allen Gedanken folgen. Aber etwas Respekt haben die von mir zitierten Autoren schon verdient. Erst nachfragen und dann einfach wegbügeln: das ist dann doch etwas unhöflich.

Werner Krauss said...

P.S. was natürlich nichts gegen Ihre eigenen Überlegungen heißt. Sie berühren dasselbe Problem, das sich die von mir zitierten AutorInnen auch stellen: Die Frage, wie man Globalisierung bzw. globale Phänomene und konkrete Orte, wo die Menschen leben, zusammen denken kann. Soll man vom Lokalen und oft Widerständigen ausgehen, oder vom Globalen her denken? Ich lese gerade ein Beispiel des Ethnologen Eriksen, das ilustriert dieses Problem:

"Think about it: say you are in small town or village in the Andes in Peru and you notice there is something odd with the water. It is not the way it used to be, you notice the glaciers are melting, and then you know that mining company has opened an operation venue nearby. You think the mining company must be to blame, because they probably pumped out all the water and they destabilized the local climate, and so you march up to them telling them "look, you are taking away our water, we need compensation", and they come out and they say "I'm sorry but it is not us, it is global climate change". Where do you go to address that question? Do you write to Obama, do you write a letter to the Chinese?"

Nicht einfach.

hvw said...

Vielleicht fehlt da einfach mal eine Art Spickzettel, der häufig vorkommende Fragen behandelt, z.B.:

Für Sozialwissenschaftler:

An wen wende ich mich, wenn ich Fragen zur lokalen Wasserversorgung habe?

a) Obama - falsch

b) "die Chinesen" - falsch

c) einen Hydrologen -richtig


Für Klimawissenschaftler:

Zu welchen Themen kann ich öffentlich dozieren ohne ausgelacht zu werden?

a) Klima - richtig

b) Konfliktforschung - falsch

c) Weltwirtschaftsordnung - falsch


haha.

Spass beiseite.

Auf Ihrem Schreibtisch sieht's ja aus, Herr Krauss ... aber irgendwie hängt und passt ja auf einmal auch so viel wieder zusammen. Was ist das eigentlich mit dem "Führungsanspruch der Klima(Natur?) wissenschaft". Wer erhebt den denn? Die Klimawissenschaftler, die spekulativ eine Kausalkette von CO2-Equivalenten zu Migrationsbewegungen herstellen? Das ist doch OK, solange das der Form genügt, kann man doch die wildesten Sachen postulieren - wer weiss wozu es nützt. Das passiert doch in anderen Fächern auch dauernd und gehört zu den interessanteren Seiten der Wissenschaft. Ist nicht eher die Reaktion anderer Klimawissenschaftler seltsam, die darauf antworten, in Presseerklärungen oder Blogs, und zustimmend oder ablehnend den Eindruck erwecken, sie wüssten mehr als andere über die Ursachen von Kriegen? Oder sind es triviale Äusserungen von tatsächlichen Experten ("Klimawandel nur ein Treiber von Migration und Konflikt unter vielen"), die aber mit dem Label "Klimawandel" versehen durchaus PR-Punkte abholen können?

Manchmal kommt es mir vor, als ob ein ganz doofes Kommunikationsproblem eine Rolle spielte: Wenn die klimabewegten nicht-Naturwissenschaftler anfangs einfach mal deutlich sagen würde: "Ja, ohne steigende CO2-Konzentrationen gäbe es kein Problem und ohne Senkung der CO2-Emissionen gibt es keine Problemlösung. Vielen Dank liebe Naturwissenschaftler für euren Beitrag, das haben wir verstanden." Dann würde der zweite Satz, "Und wenn wir uns jetzt mit echt komplizierten Lösungsmöglichkeiten beschäftigen, zu denen ihr höchstens gaaanz marginal etwas beitragen könnt, dann bleibt bitte in eurer Ecke da hinten und übt leise Differentialgleichungen bis ihr was gefragt werdet", vielleicht positiver als gedacht angenommen werden.

Moreno et al. (vielen Dank für diesen sehr interessanten Hinweis) könnten da auch ein bisschen deutlicher sein, auch wenn in der Vollversion (https://www.boell.de/en/2015/11/09/carbon-metrics) klar wird, dass sie kein Problem mit den naturwissenschaftlichen Ergebnissen haben. Ihre Hauptaussagen haben imho auch nichts mit der Propagierung alternativer Wirtschaftsformen zu tun, sondern gehen wesentlich tiefer. Ihre Analogie zur Funktion des GDP erklärt, nebenbei bemerkt, die Verwirrung von Herrn Heß in #11 ob der scheinbar widersprüchlichen Informationen über Äthiopien. Beim Abstrahieren, Verstecken und Kommodifizieren durch die Verengung der Betrachtung auf einfach zu berechnende Indikatoren (GDP, CO2eq, ökol. Fussabdruck, Life Cycle Impact, ecosystem services, ...) scheint der daraus folgende Fokus auf nur ganz bestimmte Handlungsoptionen nur ein Effekt zu sein. Der andere ist das automatische folgende Erheben bestimmter Wissenschaften zu den einzig kompetenten und das Marginalisieren der anderen, die traditionell etwas zu den entsprechenden Themen zu sagen hatten. Mal die Liste oben angeguckt: Alles Ökonomie. Verlierer: Ethnologie, Geographie, Ökologie ... und auch die Klimawissenschaften, meiner Meinung nach, denn deren wenige speziellen, kleinräumigen, "genau hinschauenden" Ergebnisse müssen genauso weggebügelt werden. Eine Untermenge des "Epistemicides", beschränkt auf die Akademie. Herr Krauss, sie berichten von problematischen Kontakten mit dem "Führungsanspruch" der Klimawissenschaft. Sehen sie solche Probleme auch mit der Wirtschaftswissenschaft? Können sie Moreno et al.'s Behauptung, dass die Ökonomen den Ethnologen seit den 50er Jahren die Butter von der Stulle genommen haben unterschreiben?

Anonymous said...

@ hvw

Was ist, wenn die allermeisten Klimaforscher überhaupt keinen Führungsanspruch wollen, ihnen dieser Führungsanspruch aber von anderen zugewiesen wird?

In Paris wurden über 1,5°- oder 2°-Ziele verhandelt und damit verbundene Emissionsmengen in Gt CO2, die dann wiederum von der Spannweite der Klimasensitivitäten der verwendeten Modelle abhängen und vielem mehr. Man betrachtet CO2 als Problem und die verwendete Zahl des Zieles als Lösung desselben. Das ist der implizite Führungsanspruch, den z.B. Sie mit Sicherheit gar nicht erhoben haben.

Man könnte einen alternativen Standpunkt einnehmen. Ist nicht die wichtigere Frage, wie man eine Veränderung vor Ort konkret einleiten könnte? Wie kann Afrika sich entwicklen, ohne den Weg Chinas zu beschreiten? Wie kann man den Menschen in Indien dazu helfen, ein besseres Leben ohne Kohle zu führen? Wie kann Entwicklung vor Ort stimuliert werden? Welche Art eines globalen Vertrages liefert dazu einen passenden Rahmen?

Das sind Fragen, deren Antworten jenseits klimawissenschaftlicher Erkenntnis liegen. Und deren Beantwortung weitgehend unabhängig davon ist, ob die Klimasensitivität nun 2,5 oder 3° beträgt. Vielleicht war das gemeint: Leute, die diese Fragen beschäftigen, brauchen den engen Kontakt mit der Klimaforschung nicht mehr, diese hat alles, was benötigt wird, bereits geliefert.

Mein impulsiver Reflex nach erstem Lesen entsprach exakt ihrem Beitrag. Ich fühlte einen ungerechtfertigten Angriff auf Klimawissenschaft. Irgendwie war der Schreibtisch von Herrn Krauß dann wie ein Wein: je länger man die Impulse und die einem fremden Standpunkte auf sich einwirken lässt, desto mehr entfaltet sich der Geschmack.

Grüße,
Andreas

Günter Heß said...

@Werner Krauss

sie fragen:
„Soll man vom Lokalen und oft Widerständigen ausgehen, oder vom Globalen her denken?“

Ja, beides, würde ich aus meiner empirischen Erfahrung heraus sagen. Wenn man nicht vor Ort hinschaut, alle Meinungen aufnimmt und die Widerstände berücksichtigt wird man mittelfristig die Menschen abhängen. Auf der anderen Seite sollte man global denken, damit es zu einer effizienten Zusammenarbeit der unterschiedlichen lokalen Regionen kommt.
Dass ganze bleibt aber ein dynamisches Wechselspiel das ausgehandelt werden muss. Zur Not Tag für Tag, Fall für Fall.
Das liegt daran, dass nur vor Ort das richtige Bild existiert. Zentralistische Entscheidungsstrukturen sind ineffizient aufgrund der Logistik und der fehlenden bzw. zu beschaffenden Information. Gibt es allerdings Regeln die nur lokal gelten und auch noch unterschiedlich sind wird die Zusammenarbeit behindert. Ich denke jeder von uns kann Beispiele dafür in Europa gerade beobachten.
Effiziente Regeln wiederum sollten den Charakter von Richtlinien haben und nicht von Gesetzen, damit man sich an die Gegebenheiten vor Ort adaptieren kann.
Auf ihr Minenbeispiel projiziert heißt das, dass die lokale Regierung der Ansprechpartner ist, weder Obama noch China.
Was das für die Klimawandelpolitik bedeutet. Vielleicht können wir das ja herausarbeiten. Ich muss da nochmal darüber nachdenken.
Aber eine gute Frage die ihr Kollege da gestellt hat.

Werner Krauss said...

Günter Heß,

ich hab nur mal kurz gegoogelt, aus Neugier: Wahrscheinlich handelt es sich bei Eriksens Beispiel um eine nordamerikanische Mine in La Oroya. Der Besitzer wurde auf Kompensation verklagt wegen Blei etc im Trinkwasser, was zu Missbildungen und Fehlgeburten führte. Er beruft sich aber auf das NAFTA Abkommen, betrachtet die Kompensation als Handelshemmnis und macht die peruanische Regierung verantwortlich. Das mit Gletscher und Wassermangel kommt noch dazu, das betrifft dann, soweit ich das verstehe, die Wasserversorgung in Lima etc. (Das alles ohne Gewähr, kurze google Recherche).

Die Ethnologin Kim Fortun hat einen ähnlichen Fall untersucht, nach der Katastrophe in Bhopal, wo Union Carbide wg fehlender Umweltgesetze und billiger Arbeitskraft produzierte. Tausende von Opfer wurden nie entschädigt, ein ewiger hin und her zw. USA, Union Carbide und Indien. Kim Fortun war dort über ein Jahr und hatte beschlossen, in ihrer Feldforschung Geschädigten zu helfen ihre Ansprüche geltend zu machen. Dafür schrieb sie an indische und amerik. Anwälte, intervenierte bei Umweltbehörden und versuchte, den Opfern eine Stimme zu verleihen. Keine dieser Darstellungsformen, die sie alle in ihrer Monographie ausführlich darstellt, repräsentierte die Lebenswirklichkeit dieser Leute in der dritten Welt angemessen, wie sie schreibt. Doch gleichzeitig gelingt es ihr dadurch, die vielfältigen Netzwerke und Verflechtungen zwischen den USA, Indien und Bhopal darzustellen, die zu dieser Katastrophe führten. Der Diskurs, wie man den Armen in Indien etc helfen kann - der ja auch die Klimadebatte beherrscht - kehrt sich hier um und verweist auf "uns", die wir so gerne den anderen helfen. Wir propagieren die Handelsabkommen, die Konzerne sind amerikanisch oder europäisch, wir bekommen die billigen Waren etc. Durch solche minutiösen, langandauernden und durchaus auch gezielt Partei ergreifenden (Feld-)Forschungen kehrt sich der Blick um, und wir, die Beobachter, die Helfenden, geraten mit ins Visier bei diesem Rendevous mit der Globalisierung.

Auch wenn in diesem Beispiel Klimawandel keine Rolle spielt: es macht vielleicht verständlich, wenn viele Ethnologen reserviert reagieren, wenn es um große Forschungsprojekte geht, wo bestmögliche Adaption in den Entwicklungsländern eruiert werden soll. In diesen Projekten ist die Lebenswirklichkeit der Menschen in einem kleinen Fenster untergebracht, meist tituliert mit "andere Wissensformen" - aber der Bogen zurück, welche Rolle unsere Gesellschaften, das Machtungleichgewicht und die impliziten Normen spielen, kann dort oft kaum thematisiert werden. Das heißt überhaupt nichts gegen die Klimawissenschaften, sondern das ist eine leise Kritik an einer Konzeption von globaler Klimaforschung, die die bestehenden Verhältnisse aufrecht erhält anstatt selbstkritisch in Frage zu stellen.

Werner Krauss said...

hvw,

sehr erfreut, dass Sie sich hier einschalten - meine Antwort an Günter Heß bezieht auch Ihre Kommentare mit ein, hoffentlich.

Dieser thread ufert etwas aus, es ist schwierig, hier die Fäden immer wieder zusammen laufen zu lassen. Aber vielen Dank an alle, es macht auch großen Spaß und gibt viel zu denken.

Günter Heß said...

@Werner Krauss

Sehr interessant. Danke

Sie schreiben:
„In diesen Projekten ist die Lebenswirklichkeit der Menschen in einem kleinen Fenster untergebracht...“

So ähnlich war mein Eindruck als ich im Internetauftritt des Entwicklungshilfeministerium die Ziele und das Vorgehen las. Ich hatte das Bauchgefühl, dass wir im Grunde die Projekte von hier aus initiieren und lenken und die Länder im Grunde „überreden“ die Projekte durchzuführen die in unser Bild passt. Wie gesagt nur ein Bauchgefühl.

Ich teile deshalb diese Reserviertheit und kann mir das gut vorstellen. Auch in Europa kann man in der Förderlandschaft dieses Thema beobachten. Die Förderprogramme können exzellent genutzt werden von großen Firmen und Forschungseinrichtungen wie FHGs und den großen Ländern. Für KMUs und kleine Länder gehen die Projekte manchmal am Bedarf vorbei. Ich wurde zum Beispiel mal in ein EU-Projekt von einem wichtigen Kunden nachdrücklich „eingeladen“, obwohl ich die Beteiligung in der Antragsphase ablehnte, weil wir nichts davon hatten. Allerdings wurden die Ergebnisse meiner Abteilung dringend gebraucht, um die Meilensteine zu erreichen. Außer zusätzliche Arbeit bei Berichten hatten wir auch weiter nichts davon. Die Förderung die ich eigentlich gebraucht hätte gab es nicht. Allerdings hatte ich wenigstens viel Spaß und sammelte Erfahrungen bei den Projektreviews mit der EU.
Da kann ich mir gut vorstellen, dass einige große Länder vom Klimawandelfonds stark profitieren, aber kleine Länder und vor allem die Menschen vor Ort nichts davon haben.

Wenn ich diese Erfahrung, was falsch sein kann, auf die Förderung von Klimawandelprojekten übertrage dann denke ich, man sollte die Förderung konkret auf die Länder beschränken und die Verbesserung der Lebenswirklichkeit, den Aufbau von Infrastruktur und Verwaltung, einer vor Ort selbst gewählten Kulturlandschaft und Lebensweise sowie die Klimawandelziele gleichberechtigt und mit gleichem Anteil als förderfähige Teilaspekte aufnehmen.

Projekte die ausschließlich klimawandelrelevante Ziele beinhalten halte ich für problematisch.
Als Beispiel. Was nützt es einen Wald zu schützen und Geld als Förderung dafür zu bezahlen, wenn die lokale Bevölkerung wächst und Brennholz als erneuerbare Energiequelle hat. Dann ist es vielleicht sinnvoll zunächst ein Blockkraftwerk zu bauen und zu fördern, die Bevölkerung also mit Energie zu versorgen, den Wald dadurch zu schützen und erst später in einem 2. Projekt darüber nachzudenken, ob man das Blockkraftwerk durch andere erneuerbare Energien ersetzen kann. Das kann ich hier zentral aber nicht wissen. Das geht nur lokal.


S.Hader said...

Zu dem was zuletzt Herr Heß geschrieben hat, vielleicht wäre dem Klimaschutz mehr gedient, wenn man China die Technologien für hocheffiziente Kohlekraftwerke schenken würde. Ein Vorschlag, den ich mir nicht selbst ausgedacht habe, sondern von Prof.Ganteför stammt. Es würde die zukünftigen CO2-Emissionen in China erheblich drosseln. Erstaunlicherweise wurde dieser Vorschlag bei den Energiewende-Gegnern nie ernsthaft diskutiert. Ist wohl auch nicht verwunderlich, denn man tut sich mit dem Verschenken generell schwer. Man würde die EEG-Umlage auch dann ablehnen, wenn diese zu 100% bedürftigen Menschen in der dritten Welt zugute käme. Die Energiewende abzulehnen, weil sie den eigenen Geldbeutel belastet, wird da als legitime Begründung angesehen.

Werner Krauss said...

Letzten Sonntag in der F.A.S. war ein schöner Artikel über den engen Zusammenhang zwischen Statistik und Politik und was passiert, "wenn die Menschen der Politik nicht mehr vertrauen". Dort geht es um das Missverhältnis, das sich manchmal auftut, zwischen "Zahlen und Gefühle(n)", so der Titel des Artikels. Statistiken sind nicht nur korrekte Rechenleistungen, sondern auch Schubladen, denen Vorannahmen zugrundeliegen - und in die die Wirklichkeit nicht immer ganz hineinpasst.
Die Inflationsrate sinkt, der Preis fürs Brötchen steigt, der Statistiker verzweifelt und will, dass der Bürger Statistiken richtig lesen lernt. Wir kennen das irgendwie aus der Klimadebatte, oder? Der Bürger muss lernen die Klimastatistiken richtig zu lesen, um angemessen zu handeln. Doch der Artikel hinterfragt auch die Statistiken, auf welchen Vorannahmen sie eigentlich basieren und ob sie wirklich die Wirklichkeit abbilden. Die Autorin Yvonne Staat bringt ein historisches Beispiel aus einem anderen Kontext, das auch für die Klimastatistik erhellend ist:

"Als die Statistiker Großbritannises im neunzehnten Jahrhundert die neue Kolonie Britisch-Indien vermessen mussten, fühlten sie sich überfordert. Wie sollten sie je passende Schuladen finden für diese fremde indische Wirklichkeit, wenn sie ja noch nicht einmal wussten, was in Indien als "Familie" galt, was als "Haushalt" - und von welchem Alter an in Indien ein "Kind" kein "Kind" mehr war? Irgendwann hielten sie die Fremdheit, das Chaos, nicht mehr aus. Sie beschlossen, mit denselben Schubladen zu arbeiten, mit denen sie bei sich zu Hause gearbeitet hatten. Sie fügten jedoch eine neue Schublade hinzu, die bei ihnen zu Hause keine Rolle spielte: "Religion". Sie waren nämlich überzeugt, dass die Kultur Indiens eine tief religiöse Kultur war. In diese Schubalde zwängten sie dann die indische Wirklichkeit hinein. Sie trennten vieles, das über die Jahrhunderte zusammengewachsen war, sie verwandelten die unscharfen Grenzen zwischen Hinduismus und Islam in klare Trennlinien. Sie taten es über viele Jahre und so gewissenhaft, dass die indische Wirklichkeit tatsächlich irgendwann begann, die Form der Schubladen anzunehmen.
So hatte alles seine Ordnung. Aber es war eine Ordnung, die nicht die Wirklichkeit abbildete."

Hier schließt sich der Kreis zu meinem Eingangsstatement, dass in der Klimadebatte "Metrik zum Schicksal" wird: alles muss in die Schublade Co2 passen, der ganze Klimawandel, und das wird dann so gewissenhaft gemacht, dass sich das Klimaabkommen darauf reduziert und die Form dieser Schublade annimmt. Das mag, wie Andreas zu REcht irgendwo oben anmerkt, seinen Nutzen haben - die Weltgemeinschaft kann sich darauf einigen und ein Abkommen machen. Aber es hat auch entschieden Nachteile, siehe Indien: der Krieg gegen das Co2 ist vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss und zeitigt zugleich ganz neue Realitäten. Vielleicht bedarf es auch der Frage nach Wirtschaftsweisen, Lebensformen, Ungleichheiten, Gefühlen etc, die statistisch nicht so leicht erfassbar und dennoch real sind, um der Klimapolitik Hand und Fuß zu verschaffen.

S.Hader said...

@Werner Krauss: "Wir kennen das irgendwie aus der Klimadebatte, oder? Der Bürger muss lernen die Klimastatistiken richtig zu lesen, um angemessen zu handeln."

Absolut. Das macht zwar die Debatte trocken, aber Klima ist erstmal ein statistisches Konstrukt und trotzdem hat es eine Bedeutung für unser Leben. Politik scheint immer noch für die meisten Menschen eine Bauchsache zu sein. Man vertraut ganz stark seinen Gefühlen und fühlt sich oft noch bestätigt, wenn Statistiken zu falschen Schlussfolgerungen führen (da falsch angewendet). Ein vernünftiger Umgang mit den Bauchgefühlen wäre es, so meiner Ansicht nach, wenn man immer wieder diese mit objektiven Zahlen vergleicht und eigene Thesen überprüft. Mal ein Beispiel, die AfD will nächsten Monat ihr Parteiprogramm verabschieden. Keine Angst, ich komme jetzt nicht mit deren Klimawandelansichten. Aber mal eine andere Aussage herangezogen: "Die Innere Sicherheit in Deutschland nimmt immer mehr ab." Das ist die Prämisse, um daraus die Forderung nach mehr staatlicher Sicherheit abzuleiten. Aber wenn man sich die Statistiken anschaut, findet man keine Bestätigung, im Gegenteil. Langfristig gesehen wird so wenig hierzulande gemordet, ausgeraubt, gestohlen usw. wie schon lange nicht mehr. Dafür umso mehr im Fernsehen. Klar, wenn man anfängt, über jede Kindstötung einzeln zu berichten, was man früher nicht machte, entsteht der Eindruck, die innere Sicherheit nimmt ab. Aber hier könnte die Statistik aufklären und beruhigen zugleich. Aber dann passt auch die ganze politische Idee, die man auf der Prämisse aufbauen will, nicht mehr.

Ihr Posting, Herr Krauss, zeigt schön, dass diese Vereinfachungen und falschen Annahmen auch bei anderen Gruppen zu finden sind. Und auch die Vereinfachung, alles was zählt ist CO2 kann zu falschen Schlüssen führen. Letztlich müssen wir bei jeder Vereinfachung vorsichtig sein und deren Dekodierung kennen, um wieder das gesamte Bild zu erhalten.

Günter Heß said...

Lieber Herr Krauss,

sie schreiben:
„Statistiken sind nicht nur korrekte Rechenleistungen, sondern auch Schubladen, denen Vorannahmen zugrundeliegen - und in die die Wirklichkeit nicht immer ganz hineinpasst. 
Die Inflationsrate sinkt, der Preis fürs Brötchen steigt, der Statistiker verzweifelt und will, dass der Bürger Statistiken richtig lesen lernt.“

Ich denke das ist ein wichtiger Punkt. Eine Statistik ist nur eine Art die Wirklichkeit zu beschreiben. Der Bürger muss sie nicht lesen und kann eine andere Methode wählen.
Er ist frei auf sein Bauchgefühl zu hören und danach zu entscheiden und zu handeln. Das ist nicht besser oder schlechter als aufgrund einer Statistik zu entscheiden oder zu handeln.

Wir Menschen haben individuell subjektive Indikatoren, um die Wirklichkeit zu bewerten. Indem wir diese Bewertung vornehmen wird diese subjektive Bewertung für uns selbst sehr real. Dazu kommt, dass unsere Lebenswirklichkeit lokal ist. Globale Statistiken bilden diese Lebenswirklichkeit dann eben auch nicht ab. So kommt es, dass die subjektive lokale Bewertung der Lebenswirklichkeit entscheidend wird.

Auf ihr indisches Beispiel zurückgeführt. Der Bau eines modernen Kohlekraftwerkes in einer indischen Region verbessert unmittelbar die Lebenswirklichkeit der Menschen dort.

Die Metrik CO2 Emission ist da in der Tat nicht der Weisheit letzter Schluss.

Anonymous said...

Hallo allerseits, vielen Dank für Ihre sehr gute Diskussion hier. Wow! Mein Ausruf am Anfang "braucht man noch die Klimawissenschaften" kam einerseits aus Frust und Resignation aber auch andererseits auch aus Erkenntnis, hoffe ich. Schön, dass sie aus Frust so viel gemacht haben. :)

Warum Frust: nicht, weil man nicht auf die Naturwissenschaften, Zahlen usw. hört, sondern mit welcher Gehässigkeit, Dreistigkeit und auch Motivation gegen die Wissenscahft gekämpft wird. Und wenn man dann vergleicht, mit welcher (relativen und absoluten) Offenheit die Klimawissenschaften arbeiten, dann gibt es nur Resignation. Da kann man schlicht nichts mehr machen. Wenn alles offengelegt ist und man trotzdem zu hören bekommt, dass alles Betrug ist, dann geht nichts mehr. Ich bin nicht betroffen, da ich erstens kein Klimawissenschaftler bin und zweitens auch nicht mehr in der Wissenschaft tätig bin, traurig ist es aber trotzdem. Und nein, die Opfer sind nicht selbst schuld!

Aber die Erkenntnis: man kann die Klimadebatte nicht nur mit hübschen, perfekt dokumentierten Zahlen und Kurven ausschließlich führen. Diese sind Grundlagen, Hilfen, meinetwegen Grenzen und Möglichkeiten. Die Debatte ist doch komplexer... Komplexer und schwieriger als "Klimamodelle".

CO2 ist ein gesellschaftlicher Punkt. Ich bin ja da Optimist und glaube, man kann es technisch lösen und das ohne Kernkraft. :) Wenn das eben nicht geht, gibt es ein paar andere Möglichkeiten wie Anpassen, so gut es geht oder auch gesellschaftliche Entwicklungen. Diese Entwicklungen können sicher andere Wissenschaftler als Klimawissenschaftler besser begleiten. Andere Klimawissenschaftler haben einen anderen Weg gewählt, bspw. Jim Hansen demonstriert eben gegen Kohlekraftwerke usw. und legte dafür seine Position nieder. Finde ich sehr gut und konsequent.

Nichtdestotrotz sind Monitoring, Grundlagenforschung, Projektion usw. sehr, sehr wichtig für Entscheidungen und man sollte die Klimaforschung weiter in dem Umfang betreiben. Ich denke, das CSRIO liegt falsch mit ihrer Entscheidung.

Ich könnte jetzt noch was von AfD und Teaparty schreiben, aber das führt zu weit, oder? Ich glaube, eine Motivation der AfD oder Teaparty-Sympathisanten, ist auch eine Motivation der "Skeptiker". Gegen die da oben oder ein diffuse Unzufriedenheit.

@Günter
Schellnhuber ist ein Guter. Ihre Kritik ist weder fundiert noch ist sie irgendwie ehrlich. Sorry, da werden wir auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.


Beste Grüße,
W.A.I.I.M.H.N

Wie auch immer ich mich heute nenne...

PS: die Diskussion ist so gut, weil eben Hans von Storch und seine Jubeltruppe nicht mit machen.

Günter Heß said...

@W.A.I.I.M.H.N

Natürlich ist Schellnhuber ein Guter, da sind wir vollkommen einer Meinung.
Er hat gute Absichten, keine Zweifel.

Mein Kommentar war nur die Beschreibung aus seinem Buch Selbstverbrennung.

Dieser Satz:
"Laut Schellnhuber sucht sich der Klimawandel selbst seine Chronisten und transformiert sie in Aktivisten die dann diese Führung übernehmen."

steht sinngemäß in dem Buch: Selbstverbrennung.

Werner Krauss said...

Leider ist der F.A.S. Artikel nicht online, darum hier noch einmal ein Auszug. Es geht um Dieter Sarreither, den Chef des Statistischen Bundesamtes:

"Sarreither spricht nie von Menschen, sondern immer nur von Bürgern. Ganz automatisch, darüber denkt er nicht nach. Er denkt den Menschen immer in Bezug zum Staat, mit Rechten und Pflichten. Sarreithers Sätze beginnen oft so: „Wir befähigen den Bürger . . .“ Er meint, dass die Menschen erst mit Hilfe der Statistik in der Lage sind, ihre Rechte wahrzunehmen. Darauf ist er stolz. Er würde sich selbst niemals als jemanden beschreiben, der Angst vor Machtverlust hat. Oder als jemanden, der mithilft, die Macht der Politik zu sichern; der mit der Politik im selben Boot sitzt. Er sagt: „Statistik ist Wissen, und Wissen ist Macht. Indem unsere Statistiken für alle zugänglich sind, verhelfen wir den Bürgern zur Macht.“
Er übersieht, dass das Wissen in einer Statistik etwas ist, was hergestellt werden muss. Dass er selbst wesentlich daran beteiligt ist, dieses Wissen herzustellen. Dass seine Macht deshalb immer ein bisschen größer ist als die Macht der Menschen, die dieses Wissen nur nutzen. Die Zahlen sind ja nicht einfach so da, wie vom Himmel gefallen. Damit Sarreither und seine Leute etwas so Unübersichtliches wie die Wirklichkeit messen können, müssen sie zuerst Kategorien bilden, in die sie dann die Wirklichkeit einsortieren wie in Schubladen. Erst wenn alles schön geordnet in den Schubladen liegt, können sie mit Zählen beginnen. Sarreither und seine Leute zimmern diese Schubladen nicht allein, denn das letzte Wort hat das Parlament, das meistens auch noch irgendwo einen Nagel einschlagen will. Wie die Schubladen am Ende aussehen, wie groß oder klein sie sind, was alles hineinpasst – das ist immer Ausdruck eines bestimmten Weltbildes, man könnte auch sagen: bestimmter Interessen.

Und nie passt die ganze Wirklichkeit hinein, immer bleibt etwas übrig. Manchmal wird es zurechtgestutzt, damit es doch noch hineinpasst. Manchmal bleibt es einfach liegen. Ein Beispiel: In der Statistik spielt die Kategorie oder Schublade „Familie“ eine wichtige Rolle. Lange Zeit war diese Schublade in Deutschland so gebaut, dass in ihr nur Ehepaare mit oder ohne Kinder Platz hatten sowie alleinerziehende Mütter oder Väter, die noch mit ihren Kindern zusammenwohnen. Alle anderen, etwa schwule Paare mit Kind oder Patchworkfamilien, hatten keinen Platz. Und was keinen Platz hat, erscheint in keiner Statistik. Wird nicht zu Wissen. Es hatte erst Platz, als einer von Sarreithers Vorgängern 2005 eine neue, größere Schublade baute, der er den Namen „Familiale Lebensformen“ gab."

Günter Heß said...

@Werner Krauss

sie zitieren:
„Er übersieht, dass das Wissen in einer Statistik etwas ist, was hergestellt werden muss.“

Genau das ist der Punkt. Wer schreibt der bleibt, sagt man beim Karten spielen.

Wie das funktioniert zeigt ein Spiegelartikel:

„Bereits jetzt haben nach Angaben des WWF weltweit mehr als 780 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.“

Der Satz impliziert eine Verschlechterung. War es schon der Klimawandel?

Schaut man auf die WHO Seite:

„In 2015, 91% of the world’s population had access to an improved drinking-water source, compared with 76% in 1990.“

Der Satz impliziert eine Verbesserung. War es der Klimawandel? Oder kommt der noch und macht alles wieder schlechter?

Beide Aussagen in Anführungszeichen stimmen. Ja, beide Aussagen beschreiben sogar die gleiche Wirklichkeit. Die Implikationen, Interpretationen und die Fragen aber sind subjektiv. Beide Aussagen können obwohl sie auf den gleichen Daten beruhen völlig unterschiedliche Politiken unterstützen.

Ergo. Wer die Information hat, die Statistik veröffentlicht und die Interpretation übernimmt hat die Macht entsprechend zu beeinflussen wie ihr Artikel auch berichtet.

Eine Statistik ist also mitnichten eine objektive Datensammlung oder Datenbeschreibung, sondern wie der FAS Artikel richtig aussagt, lediglich ein Produkt das aus den Rohdaten hergestellt bzw. interpretiert wird. Und selbst die Rohdaten sind nicht schubladenfrei.

Werner Krauss said...

Günter Heß,

vielleicht könnte man folgende vorläufige Definition wagen: Statistiken sind weder Wahrheit noch objektives Wissen, sondern soziale Praktiken im jeweiligen Kontext ihrer Herstellung und politischen Verwendung. Naja, klingt noch ein bißchen hölzern, aber kommt einem vernünftigen Umgang damit vielleicht doch nahe.

Ein Versuch: So ließen sich auch die beiden von Ihnen gebrachten Beispiele sinnvoll verwenden. Natürlich ist es Besorgnis erregend, dass so viele Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser sind. Wenn man noch die Tendenz hinzuzieht, dass Wasser zunehmend priviatisiert und zur Ware wird, dann haben wir es hier mit einem nicht mehr hinnehmbaren Problem zu tun, das dringend einer politischen Lösung bedarf - so könnte man zumindest argumentieren.
Die andere Aussage, dass 91% Zugang zu Trinkwasser haben und damit mehr als früher, muss man im Zusammenhang mit der ökomodernistischen Theorie betrachten, wie sie zum Beispiel vom breakthrough Institute vertreten wird und Fortschritt durch die Verbreitung von Technologie und Marktwirtschaft / Wachstum sieht. Also ein konträrer Ansatz, aber innerhalb dessen genauso konsistent wie der im Argument zuvor.

Der Klimawandel findet ganz unabhängig davon statt und ist wohl in beiden Ansätzen als auch unabhängig ein Problem, das dringend einer Lösung bedarf.

Wird so ein Schuh draus? Statistiken in argumentativen Zusammenhängen.

Günter Heß said...

Werner Krauss,

Ich denke ja, dass da ein Schuh daraus wird, dass man Statistiken in argumentativen Zusammenhängen betrachten muss.

Sie schreiben:
Statistiken sind weder Wahrheit noch objektives Wissen, sondern soziale Praktiken im jeweiligen Kontext ihrer Herstellung und politischen Verwendung.

Ich würde das ergänzen:
„Statistiken sind weder Wahrheit noch objektives Wissen, sondern soziale Praktiken und wissenschaftliche oder politische Werkzeuge im jeweiligen Kontext ihrer Herstellung und politischen Verwendung.“

Wobei sie wahrscheinlich sagen, dass ein wissenschaftliches oder politisches Werkzeug auch nur eine soziale Praktik ist.

Sie schreiben aber auch:
„Der Klimawandel findet ganz unabhängig davon statt und ist wohl in beiden Ansätzen als auch unabhängig ein Problem, das dringend einer Lösung bedarf.“

Auch das ist zum Teil ja nur das Ergebnis eines argumentativen Zusammenhangs und von verschiedenen Statistiken.

Was die Zukunft betrifft sogar nur ein Ergebnis das auf virtuellen Daten beruht und das man auch im Kontext der Herstellung und politischen Verwendung betrachten muss.

Es sind ja die Folgen bzw. vermuteten Folgen des Klimawandels die aufgrund einer politischen Entscheidung einer Lösung bedürfen. Das ist also ebenfalls eine Frage der politischen Verwendung. Auch die Entscheidung erst mal die Trinkwasserprobleme und Energieprobleme zu lösen ist eine mögliche politische Entscheidung für ein Land.

Interessant ist es meines Erachtens wie man eine Argumentation aufbauen kann die unabhängig von der Statistik ist.
Das geht meines Erachtens nur lokal. Man muss vor Ort gehen und konkret die Lebenswirklichkeit beobachten und das Problem das einer Lösung bedarf konkret beschreiben ohne eine Statistik zu benutzen.


Zum Beispiel: Im Land XY gibt es Menschen die keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser haben.
Das ist ein konkretes Problem das jetzt einer Lösung bedarf die das Problem sicher abstellt und zwar völlig unabhängig von Statistik. Nur vor Ort lassen sich dann auch der Umfang und die Art des Problems feststellen.

Denn der Trinkwassermangel der 780 Mio Menschen (9%) kann lokal durchaus andere Ursachen haben die andere Lösungen brauchen. Darüber sagt die Statistik nichts.

hvw said...

Ist der wahrgenommene Unterschied zwischen den Aussagen im Spiegel und bei der WHO bzgl. Zugang zu sauberem Wasser nicht hauptsächlich dem Themenkomplex "journalistischer Anspruch - Lobbyismus - Medienkompetenz - Rhetorik" zuzurechnen? Daß das Veröffentlichen von Zahlen im Spiegel zu "soziale[n] Praktiken im jeweiligen Kontext ihrer Herstellung und politischen Verwendung" zählt unterschreibe ich sofort.

Statistik als wiss. Feld oder professionelle Tätigkeit ist natürlich auch eine "soziale Praktik". Genauso wie Herzoperationen auch.

Hier kommt ein bisschen Deja-Vu an: Nachdem die sozialkonstruktionistische Relativierung naturwissenschaftlichen Wissens im Zusammenhang mit Klimawandel nicht überzeugen konnte, probieren wir es mal mit der Statistik. Wenn sich (pseudo-)Statistik so gut zur Propaganda eignet, dann sicher auch deshalb, weil das Werkzeug an sich so erstaunlich mächtig, nützlich und allgegenwärtig ist, und als "amtliche Statistik" ein unverzichtbarer Grundpfeiler für demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung darstellt. Und das liegt auch daran, daß das der Statistik zugrunde liegende Streben nach Objektiviät eben schon erfolgreich ist.

Kritik am medialen Statistikmissbrauch - gerne. Kritische Betrachtung wie die Wahl der verwendeten Typologien, Klassifikationen, Definitionen, Analyseeinheitein etc. das Ergebnis beinflusst - auch gerne. Aber bitte auch Vertändnis für ein mildes Lächeln als einzige Reaktion, wenn Frau Staat ihre Überzeugung kundtut, daß "Er [Sarreither, Präsi DESTATIS] übersieht, dass das Wissen in einer Statistik etwas ist, was hergestellt werden muss. Dass er selbst wesentlich daran beteiligt ist, dieses Wissen herzustellen." Bloß weil man selbst gerade etwas gemerkt hat, heisst das nicht, daß andere das nicht schon wissen - und seit Jahrhunderten darüber nachdenken ;).

Werner Krauss said...

Günter Heß,

Sie schreiben: "Wobei sie wahrscheinlich sagen, dass ein wissenschaftliches () Werkzeug auch nur eine soziale Praktik ist."

Das "nur" kommt mir hier komisch vor. Natürlich ist Statistik eine singuläre Praxis, die sich von anderen Wissensformen unterscheidet, z.b. durch die Verwendung wissenschaftlicher Methoden etc. Sie ist keinesfalls "nur" wie andere, so wie andere Wissensformen (religiöse, alltägliche, traditionelle, juristische etc) ebenfalls singulär und unvergleichlich sind. Selbstverständlich können komplexe Probleme kaum ohne wiss. statistische Hilfe gelöst werden. Meine Argumentation richtet sich lediglich gegen Statistik als Reduktion von Komplexität, gegen ihre Deklaration als "höhere" Wissensform und als ein Machtmittel, andere Wissensformen als "nur" sozial, minderwertig und allenfalls zu dulden darzustellen - wie dies tatsächlich häufig geschieht. Statistik als soziale Praxis heißt, sie als Kulturtechnik und Teil unserer Strategien zu verstehen, mit denen wir den Alltag bewältigen. Das ist etwas anderes als Statistik dem Alltag als "Wirklichkeit", "Vernunft" oder "objektives Wissen" entgegenzusetzen. Deshalb bin ich keineswegs gegen Statistik, ich bin nur gegen ihre Fehleinschätzung und Fehlverwendung als Politikstrategie, indem man z.B. Klimawandel (und damit Adaption etc) auf ein statistisches Problem reduziert.

Und wer Wasserprobleme z.B. bei Dürren heute lösen will, kommt am Klimawandel nicht vorbei, und sei es, dass die globalen Verbindungen, in die lokale Probleme eingebunden sind, entlang dieser Schiene verlaufen. Und das wohl nicht ohne guten Grund, siehe die Klimaverhandlungen in Paris und die symbolische (nicht statistische) Bedeutung der 1,5 Grad.

Werner Krauss said...

hvw,

Statistik ist immer medial, ohne "Kontext" - sei es Spiegel, Forschungsbericht, Dissertation - kommt sie nicht vor. Und Ihr mildes Lächeln: der Zusammenhang besteht darin , dass sich Herr Sarreither laut Frau Staat (witziger Name in diesem Zusammenhang) sich Menschen nur als Bürger in Bezug auf den Staat vorstellen kann, so wie andere Wissenschaftler sich immer auf ominöse "stakeholder" beziehen, wenn sie ihre Statistiken anwenden möchten. Ist das auch banal?

hvw said...

Herr Krauss,

"Statistik ist immer medial, ..."
ich schrieb "medialer Statistikmissbrauch", also das, was regelmässig im SPON u.ä. Medien zu besichtigen ist. Ja, eine Dissertation ist auch ein Medium. Aber eines, in dem in der Regel seriös erzeugte statistische Ergebnisse objektiv präsentiert werden. Hoffe ich. Und ich hoffe, die Unterscheidung "seriöse statistische Aussage" und "als Statistik verkleidete Rhetorik" in die Debatte einbringen zu können.

"... dass sich Herr Sarreither laut Frau Staat (witziger Name in diesem Zusammenhang) sich Menschen nur als Bürger in Bezug auf den Staat vorstellen kann, .... Ist das auch banal?"

Nein, das finde ich schon eine interessante Beobachtung, die auf die Grenzen dessen hinweist, was amtliche Statistik fassen kann. Die sagt schon schlaue Sachen, die Frau Staat (und schreibt auch sehr gute andere Texte), was aber nichts am Fremdschämpotential der von mir zitierten Stelle ändert.

"Stakeholder", Akteure, ja wo ist denn hier schon wieder das Problem? Sammelbegriff statt explizite Aufzählung?

Günter Heß said...

@Werner Krauss

Dann habe ich sie missverstanden. Ihr Wort „soziale Praktik“ kam bei mir als „nur“ an. Deshalb Danke für die Klarstellung.
Meine Ergänzung ist deshalb meines Erachtens auch passend und stellt den Punkt klar:
„Statistiken sind weder Wahrheit noch objektives Wissen, sondern soziale Praktiken und wissenschaftliche oder politische Werkzeuge im jeweiligen Kontext ihrer Herstellung und politischen Verwendung.“


Wichtig finde ich vor Allem diese Aussage:
„Statistik als soziale Praxis heißt, sie als Kulturtechnik und Teil unserer Strategien zu verstehen, mit denen wir den Alltag bewältigen. Das ist etwas anderes als Statistik dem Alltag als "Wirklichkeit", "Vernunft" oder "objektives Wissen" entgegenzusetzen.“

Das ist eine wichtige Fundamentalkritik bzgl. der Verwendung von Statistik.
Ich denke das darf man nicht verwechseln mit der Unterscheidung von „seriöser statistischer Aussage“ und als „Statistik verkleidete Rhetorik“ wie sie hvw in die Debatte einbringt. So habe ich sie nicht verstanden.

Im Gegenteil. Der Alltag sagt für 780 Millionen Menschen, dass sie kein sauberes Trinkwasser haben unabhängig von der Statistik. Das 1.5 ° Grad Ziel bedeutet, dass es Nationen gibt die sich von einem Klimawandel bedroht fühlen, ob jetzt die Klimawissenschaftler Recht haben oder nicht. Das ist politische Wirklichkeit geworden. Eine seriöse Statistik die eine Verbesserung (76% auf 91%) anzeigt ändert nichts daran, dass 780 Millionen Menschen kein Trinkwasser haben. Eine statistische Vorhersage bzgl. der Erreichbarkeit des 1,5 Grad Zieles, ändert nichts daran, dass sich Nationen bedroht fühlen.

Politische Lösungen müssen die objektiven und subjektiven Lebenswirklichkeiten der Menschen mit einbeziehen.

Werner Krauss said...

hvw,

Günter Heß hat ja bereits dankens- und auch bewundernswerter Weise eine Antwort auf Ihren Vorschlag gegeben. Da kann ich eigentlich nichts hinzufügen - eine erneute Aufteilung in Wissenschaft und "Rhetorik" würde alles vorher Gesagte und Gedachte hinfällig machen. Vielleicht lesen Sie nochmal rückwärts in diesem thread, wo dieser Gedanke Schritt für Schritt entsteht - zumindest in meiner Lesart.

Schöne Debatte, großer Spaß! Vielen Dank allerseits für kollektives Denken!

Quentin Quencher said...

Mein Dank vor allen an Günter und Werner Krauss für die interessante Diskussion.

hvw said...

"eine erneute Aufteilung in Wissenschaft und "Rhetorik" würde alles vorher Gesagte und Gedachte hinfällig machen."

Ja, da haben Sie recht, besser vorsichtig sein. Diese "Fundamentalkritiken bzgl. der Verwendung von Statistik" sind ziemlich empfindlich. Wribbeln sich ganz sich leicht wieder auf, wenn man sie an Spiegel-Artikeln festmacht.

Werner Krauss said...

hvw,

welche spiegel Artikel meinen Sie eigentlich? Ich bin ein bißchen erschöpft von dieser Diskussion hier und habe in einem neuen Post die Perspektive von der Vermessung der Welt zur Vermessung der Wissenschaft verschoben. Vielleicht könnten wir dort uns weiter unterhalten?

Günter Heß said...

@Werner Krauss

Ich denke sie haben Recht das bisher erreichte so stehen zu lassen und den Gedanken woanders wieder aufzugreifen.
Ich möchte mich trotzdem an dieser Stelle für die Einsicht in die Denkweise von Geisteswissenschaftler bedanken. genau danach hatte ich ja auch im Grunde gefragt.

Für mich habe ich gelernt, dass man interessante Perspektiven gewinnt wenn man sich von den Denkweisen des eigenen Fachgebietes löst und vor allem, wenn man "moralische" Wertungen wie seriös und unseriös aussen vor lässt.

hvw said...

Herr Krauss,

> welche spiegel Artikel meinen Sie eigentlich?

Konkret Herrn Heß' Beispiel (#53) an (unter?) der die Relativität von
Statistik hängt. Soll aber ganz allgemein audrücken, dass "dieser
Gedanke", der sich mir einfach nicht so richtig zu erkennen geben
will, auf der Verwechslung des kritisierten Dinges (quantitative
Betrachtung, Statistik, etc.) und dem unangemessenen und falschen
zitieren dieses Dinges (Spiegel schreibt x % blabla ...) beruht.

Sorry, dass ich hier ein bisschen sarkastisch geworden bin. Ich sehe
eben die hier zelebrierte Auffassung (Statistik und Bauchgefühl zur
Entscheidungsfindung sind austauschbar (Heß, 49), Statistik ist
prinzipiell nicht objektiv, sollte nicht zur Reduktion von Komplexität
eingesetzt werden, hat mit Vernunft genauso viel zu tun wie religöse
"Wissensformen" (Krauss, 57), ...) einfach als die eine Seite einer
Medaille. Die Medaille heisst "Unwillen und/oder Unvermögen, über das
Wie, Was, Warum und Wo von Statistiken, Indizes, quantitativen
Betrachtungen nachzudenken." Und die andere Seite ist das Ignorieren
von jeglichem Wissen, das nicht mindestens auf eine Ordinalskala
passt. Da sind wir uns einig.

Wenns kompliziert wird, werden wir radikal. Seh ich gerade als
grundsätzliches Attitüdenproblem in Gesellschaft, Politik und
Wirtschaft.

Nun gut. Neuer Artikel, neues Glück!