Saturday, December 8, 2012

Lesernachfrage: Numerische Fehler in Modellen

Mich erreichte vor einiger Zeit diese Nachfrage:

Sehr geehrter Herr Kollege von Storch,
kürzlich hatten wir ... einen Vortrag von XXX über Klimamodelle. Auf meine Frage nach einigen mathematischen Aspekten hat er mich an Sie verwiesen. Es geht um Folgendes:
1. Soviel ich weiß, verwendet man für Klimavorhersagen Wettervorhersagemodelle, die zwar wegen des chaotischen Charakters des Systems keine langfristigen Vorhersagen liefern können, aber man nimmt an, dass doch gewisse statistische Größen ( Mittelwerte, Varianzen, vielleicht sogar Extremwerte ) richtig vorhergesagt werden. Ist dies eigentlich in einem geeigneten mathematischen Sinn gesichert? Oder gibt es nur modellmäßig-empirische Evidenz hierfür?
2. Selbst wenn man Diskretisierungsfehler kurzfristig klein halten kann, könnte es nicht sein, dass sie langfristig doch einen "bias" in die Ergebnisse produzieren? Und selbst wenn man versucht, durch Korrekturen mittels Erhaltungssätzen das zu verhindern, könnten nicht doch die räumlichen Verteilungen Schaden nehmen?
Wenn über Klimamodelle gesprochen wird, gibt es so viele physikalisch relevante Aspekte, dass von diesen mathematisch und numerisch begründeten Problemen wenig die Rede ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie mich auf eventuelle Antworten zu diesen Fragen hinweisen könnten.
 

Da ich denke, dass solche Fragen auch andere Menschen bewegen, beantworte ich sie hier.


Vorab sei mir der Hinweis gestattet, daß unser nunmehr 13 Jahres alte Buch immer noch aktuell ist, und für gebildete Laien eine gute Grundlage zur Beurteilung von der Konstruktion, Verwendung und dem Nutzen von Klimamodellen gestattet:

von Storch, H., S. Güss und M. Heimann, 1999: Das Klimasystem und seine Modellierung. Eine Einführung. Springer Verlag ISBN 3-540-65830-0, 255 pp.

Anspruchsvoller ist das Buch

Müller, P., and H. von Storch, 2004: Computer Modelling in Atmospheric and Oceanic Sciences - Building Knowledge. Springer Verlag Berlin - Heidelberg - New York, 304pp, ISN 1437-028X

Nun zur Sache selbst: Gefragt wird nach mathematischen Aspekten der Klimamodellierung, wobei implizit die Annahme gemacht wird, es gäbe einen Satz von Differentialgleichungen, die das Klimasystem – oder zumindest die Dynamik der Atmosphäre oder des Ozeans – beschreiben würde.

Diese Annahme ist falsch, zunächst in dem trivialen Sinne, daß der Grenzübergang „Δx gegen 0“ keinen Sinn macht. Welchen Sinn sollte eine räumliche Diskretisierung von Δx = 10-1000 m machen? Gravierender ist aber, daß die Gleichungen nicht geschlossen sind, daß es bei jeder Diskretisierung wichtige beitragende Prozesse gibt, die nicht dargestellt werden können (man denke an Konvektionswolken oder die Wechselwirkung von Strahlung mit Wolkentropfen), aber nicht vernachlässigt werden können. Man hilft sich dann mit dem Konzept der Parametrisierung, d.h. mit einer halb-empirischen Darstellung der erwarteten Wirkung dieser Prozesse, wobei angenommen wird, dass diese Wirkung konditioniert ist durch im Modell aufgelösten Zustandsgrößen. Diese Konditionierung kann die Form eines bedingten Erwartungswerts annehmen (etwa, wenn die vertikale Stabilität soundso groß ist und die Windscherung so, dann ist die Freisetzung von Wärme durch eine Konvektionszelle in der Vertikalen soundso hoch), oder auch aus einer geeigneten konditionierten Wahrscheinlichkeitsverteilung gezogen werden.

Die Formulierung der Parametrisierung ist nicht eindeutig und kann auf verschiedene Weise geschehen, wobei die Wahl durch den Erfolg der Simulation mit dem Modell motiviert wird. Dies bedeutet, daß die Formulierung der Differenzengleichung (oder eine spektrale Formulierung in einem Funktionenraum, wenn man den Galerkin-Ansatz bevorzugt) von der Auflösung (entweder in Form eines Δx oder der Dimension des Funktionenraumes) abhängt, und ein Grenzübergang wiederum nicht gemacht werden kann, weil man eben keine Vorschrift hat, wie denn die Gleichung aussieht, wenn man die Auflösung z.B. verdoppelt. Insofern operiert die Klimaforschung nicht mit Differentialgleichungen sondern mit Differenzengleichungen.

Wenn gelegentlich Differentialgleichungen formuliert werden, dann um eine kompakte bequeme Schreibe zu haben. In der Mathematik wird dies üblicherweise nicht verstanden – weil man –wie oben gesagt- axiomatisch von der Existenz eines Satzes von Differentialgleichungen ausgeht, anhand dessen man dann das Problem abarbeiten könnte. Es erstaunt also nicht, dass die numerische Mathematik seit den 1960er Jahren eine untergeordnete Rolle bei der Entwicklung von Klimamodellen spielt.

Dennoch sollten die Differenzengleichungen natürlich auf eine Art geschrieben werden, dass sie Sinn machen, etwa Erhaltungseigenschaften genügen. Hier ist die Mathematik gefragt. Die wesentlichen Unterschiede in den Klimamodellen stammen aber vom Einsatz verschiedener Parametrisierungen (wobei „Prozeßwirkung=keine Wirkung“ naturgemäß der häufigste Ansatz ist). Zusammen mit dem chaotischen Charakter der Gleichungen – aufgrund der vielfältigen nichtlinearen Terme etwa in der Advektion oder bei den Phasenübergängen – entstehen so im Laufe einer Integration laufend statistische „Fehler“, die aber nicht wirklich stören, weil ja die entstehenden Trajektorien im Phasenraum ohnehin als stochastische Realisationen verstanden werden (vgl. Konzept des Statistischen Klimamodells von Hasselmann, 1976), und Varianz auf allen räumlichen Skalen generiert wird.

Natürlich sind numerische Fragen, wie räumlich ungleichmässige Gitterverfeinerungen, adaptive Gitter, Erhaltungseigenschaften, Integrationsgeschwindigkeit von großer praktischer Bedeutung und laufen bei der Fortentwicklung von Klimamodellen immer mit.

Die Überzeugung, daß die Klimamodelle in der Lage sind, die Statistik des Wetters und seines Wandels (also das Klima und sein Wandel) realistisch darzustellen, ist meiner Meinung nach rein empirisch begründet; wegen des Problems eines unmöglichen Grenzübergangs mit einer dazugehörigen "wahren Lösung" sehe ich auch keine Möglichkeit, dies theoretisch zu beweisen. Ein einfaches Beispiel für diesen Erfolg ist die Simulationsleistung, die jahreszeitliche Schwankungen (ziemlich) richtig darzustellen. Der Jahresgang- mit bei uns kaltem Winter und warmen Sommer - erscheint uns als triviale Eigenschaft, aber wenn es um die Simulation in einem hochgradig nichtlinearen System geht, dann ist das beileibe keine Trivialität mehr.

1 comment:

Günter Heß said...

Sehr geehrter Herr von Storch,

Danke für diese zusammengefasste Aussage.

Mit freundlichen Grüßen
Günter Heß